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Ein liebenswerter und widersprüchlicher Weltstar

Musikwissenschaftler Eberhard Hüppe zum 250. Geburtstag des Komponisten Ludwig van Beethoven.

Münster - Musiker mit Weltgeltung und – wie man so sagt – ein Mensch mit Ecken und Kanten. Schon die privaten Umstände von Ludwig van Beethovens Leben deuten auf eine ebenso schwierige, wie „ungebändigte“ (Goethe), liebenswerte und nicht zuletzt widersprüchliche Persönlichkeit hin.

Wenige Beispiele mögen genügen: die Katastrophe des Gehörverlusts, die unerfüllte Sehnsucht nach einer geliebten Ehefrau, das Scheitern an der Erziehung des Neffen Karl. Und letztlich die Kuriosität, in Wien während 35 Jahren in 88 Wohnungen gelebt zu haben.

Bei keinem Komponisten zuvor hat der von der Romantik genährte Gedanke, Werk und Leben müssten sich gegenseitig entschlüsseln lassen, so durchgreifend und nachhaltig gewirkt. So herrscht weder ein Mangel an Anekdoten und Fälschungen, noch an Stilisierungen, die zwischen den Extremen des tragischen Heroen und des Popstars hin und herschwingen.

Das gängige Beethoven-Bild ist bestimmt von einigen wenigen Werken, die sprichwörtlich geworden und in die Alltagsästhetik eingewandert sind. Gleich, ob man Klassikhörer ist oder nicht: allen voran „die“ Fünfte und „die“ Neunte (womit in der Regel die Hymne „Ode an die Freude“ gemeint ist). In der Klaviermusik stehen „die“ Pathétique und „die“ Mondscheinsonate an der Spitze der populären Werke. Zum pianistischen Kanon zählen „die“ Waldsteinsonate und „die“ Appassionata.

Die Stellung Beethovens im Musikleben ist eine historisch gewachsene, wenn auch nicht immer eine unumstrittene, worüber einige zeitgenössische Rezensionen Zeugnis ablegen. „Bizarr“ ist eines der Worte, die in Bezug auf Beethovens Werke besonders gern gebraucht wurden. Und doch haben die hohen spieltechnischen und ästhetischen Anforderungen seiner Musik letztlich eine Überzeugungskraft bewiesen, die es attraktiv machte, sich dem Unerhört-Neuen zu öffnen.

Nahm er als einer der herausragenden Pianisten seiner Zeit auf die Weiterentwicklung des Klaviers Einfluss, so übten die neuen Klaviere umgekehrt Anreize auf sein Klaviermusikschaffen aus, die Grenzen des Pianistisch-Machbaren zu erweitern, und zwar bis zur Anmutung der Unspielbarkeit der Großen Sonate B-Dur für das Hammer-Klavier op. 106.

Auf dem Gebiet des Streichquartetts und der Symphonik gilt er als Vollender Haydns und Mozarts. Er ist auch derjenige, der gefestigte Gattungskonventionen durch sein eigenes Werk selber durchbrach, zum Leidwesen ideengeschichtlicher Überzeugungen. Allein das Wort Vokalsymphonie gerät schon zum Paradox. Ein Teil der musikästhetischen Konflikte des 19. Jahrhunderts ist darauf zurückzuführen, dass man sich ›seinen‹ Beethoven aussuchen kann.

Viel ist von dem humanistischen Gehalt der Musik Beethovens die Rede. Dem homo politicus begegnen wir bei der Streichung der Widmung der 3. Symphonie Es-Dur op. 55 an Napoléon Bonaparte als Absage an Despotie. Gleiches in der Botschaft des Fidelio, politische Willkür nicht (er)dulden zu wollen. Schließlich in dem mit Schillers Worten gegebenen Bekenntnis der 9. Symphonie d-Moll op. 125 zur gleichen Würde aller Menschen, eine promesse de bonheur, die heute mehr denn je der Einlösung harrt.

Beethovens hohen gesinnungsethischen Maßstäben ist die arbeitsethische Selbstverpflichtung seines Künstlertums unbedingt an die Seite zu stellen. Ihr verdanken wir das Werk. Die Skizzenbücher zeigen das sukzessive Optimieren musikalischer Ideen teils über mehrere Jahre.

Zu erwähnen sei auch der Papierverbrauch (über 40 Seiten!) für das 16-taktige Variationsthema der Sonate E-Dur op. 109: das sublime Ergebnis rechtfertigt den Aufwand. Anderen Autographen sieht man die Unzufriedenheit mit sich selbst an. Spektakulär, ja radikal ist die Verwüstung der ersten Reinschrift der Sonate A-Dur für Klavier und Violoncello op. 69. In irgendeiner Weise setzte sich jeder Komponist des 19. Jahrhunderts mit Beethoven auseinander, und sei es nur, wie etwa Chopin, um einen Bogen um ihn zu machen. Der Modernität Beethovens nähert man sich, wenn es unbequem oder rätselhaft wird.


Dr. Eberhard Hüppe ist Organist und Pianist sowie WWU-Kultursoziologe. Er ist Honorarprofessor für Musikgeschichte und Instrumentenkunde an der WWU-Musikhochschule.

Quelle: WWU Münster. Dr. Eberhard Hüppe. Dieser Artikel stammt aus der Unizeitung wissen|leben Nr. 7, 11. November 2020.