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Taufliegen passen Aktivität an "weiße Nächte" an

Ein Forscherteam zeigt, warum sich eine natürlich vorkommende Genvariante bei Taufliegen in Richtung Norden ausbreitet.

Evolution findet in der Natur permanent und überall statt. Dennoch ist es für Biologen immer wieder spannend, Evolution „in Echtzeit“ zu beobachten. Ein aktuelles Beispiel betrifft die innere Uhr, also den angeborenen Schlaf-wach-Rhythmus, der Taufliege Drosophila melanogaster: Bei Taufliegen verbreitet sich eine bestimmte Variante eines „Uhr-Gens“, die vermutlich vor 300 bis 3000 Jahren erstmals in Südeuropa auftrat, in Richtung Norden, beispielsweise nach Skandinavien und innerhalb Skandinaviens. Forscher beobachten dieses Phänomen zwar, konnten es aber bislang nicht vollständig erklären. Ein Team um die Neurobiologen Prof. Dr. Ralf Stanewsky und Dr. Angélique Lamaze von der Westfälischen Wilhelms-Universität (WWU) Münster hat auf der Basis von Laborstudien erstmals eine Erklärung für dieses Phänomen gefunden.

Im Fokus der Studie, die nun in der Fachzeitschrift „Nature Communications“ veröffentlicht wurde, stand ein spezielles Uhr-Gen mit der Bezeichnung „timeless“. Gemeinsam mit einem zweiten Uhr-Gen („period“) steuert es den circadianen Rhythmus der Taufliege, der ungefähr 24 Stunden dauert. Dieser Rhythmus wird anhand äußerer Zeitgeber wie Licht und Temperatur permanent mit der Umgebung synchronisiert. Die Forscherinnen und Forscher untersuchten, warum sich eine spezielle Variante des Uhr-Gens timeless, nämlich das ls-tim-Allel, so rasch nach Norden ausgebreitet hat.

„Wie der Mensch stammt auch Drosophila ursprünglich aus Afrika südlich der Sahara und breitete sich nach Norden bis zum Polarkreis aus“, erläutert Angélique Lamaze. „Dort erleben die Fliegen lange Sommertage oder sogar nahezu konstantes Licht, sogenannte weiße Nächte.“ Konstante Beleuchtung stört die Funktion der inneren Uhr, weil sie über eine molekulare Reaktionskette den permanenten Abbau des Uhr-Proteins TIMELESS auslöst. Damit geht der circadiane Rhythmus verloren.

Allerdings können Temperaturzyklen diese Auswirkungen der dauernden Beleuchtung überwinden. So zeigten die Experten, dass Fliegen mit dem evolutionär neuen ls-tim-Allel bei Licht- und Temperaturbedingungen, die einen skandinavischen Sommertag nachahmen, ihren circadianen Rhythmus anhand der Umgebungstemperatur synchronisieren. Ein Indikator dafür war die Bewegungsaktivität der Insekten. Bei konstanter Beleuchtung und einem täglichen Temperaturzyklus zwischen 16 und 25 Grad Celsius waren die Fliegen mit dem ls-tim-Allel in der zweiten Hälfte der warmen Phase, also quasi am frühen Abend, besonders aktiv. Bei konstanter Beleuchtung und Temperatur gab es dagegen keinen Verhaltensrhythmus. Im Gegensatz zu den ls-tim-Fliegen zeigten jene Taufliegen, die nur die ursprüngliche Genvariante (s-tim) tragen, keine Verhaltensanpassung – weder mit Temperaturzyklus noch bei konstanter Temperatur.

Neue Genvariante erhöht Fortpflanzungserfolg

„Aus evolutionsbiologischer Sicht lässt sich die Verhaltensanpassung gut erklären“, unterstreicht Angélique Lamaze. „Der Sommer ist die Fortpflanzungszeit der Insekten. Tiere, die in ihrem Verhalten synchronisiert und zur gleichen Tageszeit paarungsbereit sind, haben bessere Chancen, sich zu begegnen und fortzupflanzen. Da ls-tim diese Synchronisation auch in nördlichen Regionen ermöglicht, ist das wahrscheinlich ein entscheidender Grund für die Verbreitung und den evolutiven Erfolg dieses Alleles.“

Das Forscherteam wies auch nach, dass bereits eine einzige Kopie des ls-tim-Allels ausreicht, um die Synchronisation bei „skandinavischen Bedingungen“ zu ermöglichen, was zusätzlich zur schnellen Verbreitung des neuen Allels beiträgt. Zum Hintergrund: Taufliegen besitzen wie beispielsweise auch Menschen jedes Gen in gleicher oder ähnlicher Ausführung zweifach – eine Kopie von jedem Elternteil.

Die neue Genvariante bringt ein leicht von der ursprünglichen Form abweichendes Protein hervor, das bei Beleuchtung besonders stabil ist und daher die molekulare Reaktionskaskade, die sonst den Abbau des Uhr-Proteins TIMELESS auslöst, kaum in Gang bringt. Dies, so die Schlussfolgerung des Teams, ist eine Voraussetzung dafür, dass der Temperaturzyklus den circadianen Rhythmus der Taufliegen bei Dauerbeleuchtung wiederherstellen kann.

Die Neurobiologen setzten eine Kombination aus Verhaltensexperimenten sowie moderne genetische und immunhistochemische Methoden ein. Unter anderem verglichen sie Fliegenstämme mit unterschiedlicher genetischer Ausstattung im Hinblick auf ihr Verhalten bei simulierten skandinavischen Sommernächten und die Aktivität der Uhr-Gene in verschiedenen Hirnneuronen.

Finanzierung

Die Arbeit erhielt finanzielle Unterstützung durch den britischen Biotechnology and Biological Sciences Research Council (BBSRC), durch den Europäischen Forschungsrat (Pojekt „Comparative INsect CHRONobiology/ CINCHRON) sowie durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG). Angélique Lamaze erhielt außerdem eine Förderung im Rahmen des Stipendienprogramms „Women in Research“ (WiRe) der WWU Münster. 


WWU Münster 

Bild: Taufliegen, die zur gleichen Tageszeit paarungsbereit sind, haben bessere Chancen, sich zu begegnen und fortzupflanzen. / WWU / © Studiotouch – stock.adobe.com