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Katholiken reden anders über Corona als Protestanten

Die Corona-Pandemie wirkt sich laut einer Studie der Universität Münster unterschiedlich auf evangelische und katholische Radiobeiträge des WDR-Jugendsenders "1live" aus.

Münster - Die Corona-Pandemie wirkt sich laut einer Studie der Universität Münster unterschiedlich auf evangelische und katholische Radiobeiträge des WDR-Jugendsenders 1live aus. Vor einem Jahr, am 16. März 2020, trat in Nordrhein-Westfalen der erste Lockdown in Kraft. Auch Gottesdienste in Präsenz wurden ausgesetzt. Welche sprachlichen Spuren das in der Verkündigungssendung „Kirche in 1live“ vor allem im Wortschatz hinterlässt, haben jetzt Sprachwissenschaftlerinnen der Westfälischen Wilhelms-Universität (WWU) Münster untersucht. Die Ergebnisse werden in Kürze im Herder-Verlag veröffentlicht.

„Die Texte zeigen einen konfessionsspezifischen Wandel durch die Coronakrise“, betont Projektleiterin Dr. Anna-Maria Balbach vom Germanistischen Institut der WWU. Zwar hätten beide Konfessionen Hoffnung und Trost spendende Themen aufgegriffen. Die evangelischen Autoren hätten dies jedoch seltener mit einem Coronabezug verknüpft als die katholischen. Ein eindrückliches Beispiel dafür geben der von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Studie zufolge die Begriffe Zeit, Tag und Jahr. Während die evangelischen Autoren sie vorrangig als Zeitangaben in ihrem eigentlichen Sinne benutzten, verwendeten katholische Autoren sie häufig zur Umschreibung der aktuellen Situation, etwa in der Formulierung ‚in dieser verrückten Zeit‘ oder ‚sollte es in einem halben Jahr immer noch so schlimm sein‘.

In den evangelischen Radioverkündigungen würden andere Wörter in einem neuen Corona-Kontext gebraucht. Anna-Maria Balbach nennt beispielsweise das Wort ‚Freiheit‘, bei der momentan vor allem darauf hingewiesen werde, dass sie eingeschränkt sei. „Das Wort ‚Gott‘, das am häufigsten verwendete Nomen in evangelischen Radiopredigten, taucht dagegen kein einziges Mal in einem thematisch auf Corona ausgerichteten Beitrag auf.“

Eine Beobachtung, die sich aktuell in vielen Medien zeige, bestätigen die Forscherinnen konfessionsübergreifend auch für ihr Textkorpus. „Plötzlich dominierten Wörter das Vokabular, die zuvor kaum oder gar nicht vorkamen, etwa ‚Hamsterkäufe‘“, berichtet Anna-Maria Balbach. Zudem gab es mehrere Wortschöpfungen wie beispielsweise ‚Quarantänelifestyle“. Erstmals beobachteten die Wissenschaftlerinnen zudem Vulgarismen wie ‚Scheiß‘ oder ‚ist kacke‘ im Wortschatz der Radioverkündigungen.

Hintergrund und Methode

Die Sprachwissenschaftlerinnen haben 118 katholische und evangelische Radioverkündigungen aus der ersten Coronawelle von März bis Juli 2020 analysiert und mit den Beiträgen aus den Vorjahren verglichen. Untersucht wurde vor allem die Frequenz bestimmter Formulierungen und grammatischer Muster. Die coronabezogene Studie ist Teil des Forschungsprojekts „Sprache und Konfession 500 Jahre nach der Reformation“. Insgesamt wurden in dem Projekt über 10.000 Radiopredigten verschiedener Sender aus den Jahren 2014 bis 2020 erfasst und für computergestützte linguistische Analysen aufbereitet. Kooperationspartner ist Computerlinguist Jan Oliver Rüdiger vom Leibniz-Institut für Deutsche Sprache (IDS) in Mannheim.

WWU Münster (upm/bhe)

Foto: WWU - Anna-Maria Balbach. Franziska Nebeling, Projektleiterin Dr. Anna-Maria Balbach, Vera Talpos, Nadine Schlump und Kooperationspartner Jan Oliver Rüdiger vom Leibniz-Institut für deutsche Sprache untersuchten sprachliche Spuren der Corona-Pandemie in Radiopredigten.