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Endlich wieder analog (er-) leben

Es ist aus. Vorbei. Wir haben es überlebt: 2020. Ein Jahr, das an Katastrophen nur schwer zu übertreffen ist und ein Jahr, das uns für Generationen prägt. Die Pandemie war nur der Auslöser für einen gesellschaftlichen Wandel, der jetzt beginnt.

Viele denken beim 1.1.21 an die Abschaffung des Soli für viele, andere an Werbung auf Whatsapp und wieder andere an Disney+, das unter dem Namen hulu, nun auch in Deutschland Gewinne abwerfen soll, aber die wirklich signifikanten Neuerungen sind andere.

Das Zuhause wurde als Büro etabliert und legitimiert. Spätestens jetzt ist man ohne Rechner aufgeschmissen und das Buch der Ethik und Moral, wird neu geschrieben werden.

Sind soziale Kontakte eher hilfreich oder schädlich? Ist die Gesichtsmaske, die unser ganzes Dasein völlig veränderte nur ein symbolisches Accessoire der Solidarität oder konstruktives Hilfsmittel? Sind Subventionen für VW und CO wichtiger als Beatmungsgeräte in Krankenhäusern? Wie gleich ist gleich und wie legitim ist Gleichbehandlung aller, wenn jede Gesellschaftsschicht andere Bedürfnisse hat?

Was wird aus der Kultur, deren Stellenwert durch den Lock-down nicht nur definiert wurde, sondern auch seine ganze Existenz bedroht? Wird NETFLIX zum Kinoersatz oder Replacement des Lichtspielhauses? Etabliert sich das Theater in Virtual Reality Brillen daheim? Werden Museen zu Abteien der Moderne mit Artefakten vergangener Kreativinterpretationen, die sukzessive in der Bedeutungslosigkeit versinken?

Oder nutzen wir 2021 als den Impuls des Erwachens, wenn die Tore geöffnet werden und die Sonne uns ihr Lächeln schenkt, um all das scheinbar Überflüssige neu zu entdecken? Haben wir die Zeit der Einsamkeit mit Lethargie verschwendet oder mit Gedanken genutzt, die jetzt umgesetzt werden wollen, um den Impuls des Erwachens mit zu gestalten?

Kurz: Sind wir bereit für 2021 – für die Zukunft, die jetzt beginnt und die nicht danach fragt, ob wir bereit sind, sondern wie ein Bus der Stadtwerke irgendwann plötzlich kurz hält und die Gelegenheit zur Partizipation bietet, wer nicht zusteigt, wird abgehängt.

Und auch die Zukunft wird teuer. All die Hilfspakete des vergangenen Jahres möchten kompensiert werden, aber es liegt an uns, der Verantwortung zu erliegen oder der Notwendigkeit mit Neugierde und Inspiration zu begegnen.

2021 werden die Karten neu gemischt. Biden wird amerikanischer Präsident mit einem Trump im Rücken, der die Versöhnung der USA nicht erleichtern wird. Das Verhältnis zu China wird interkontinental neu eingestuft, und ist Russland der Mephisto im Scholastiker-Kostüm oder nur Putin? Und was wird aus Großbritannien?

Wird die Insel in der Nordsee zur europäischen Enklave von Wirtschaftsflüchtlingen oder zum Hiob der EU, dessen Pubertätsgebaren in Johnsongestalt von der Bevölkerung  entlarvt und vor allem entmachtet wird?

Und wie schön wird der nächste Sommer? Erwarten uns lächelnde Gesichter und flatternde Kleider oder Hosenanzüge und Gesichtsmasken? Ersetzt der Trainingsanzug jetzt auch den von C&A oder schaffen wir Herren es, uns inmitten der Krise oder deren Folgen neu zu erfinden? Wird aus dem Beckham für Arme ein echter Mann oder verschüchtertes Baby, das sich kaum mehr traut, einer Frau die Tür auf zu halten?

Und lassen wir unsere Jugend im Angesicht ihrer Vergänglichkeit endlich mal Freiraum oder oktroyieren wir sie noch intensiver mit Pflichten und Aufgaben, an denen wir schon gescheitert sind?

Ich hoffe, dass wir das Lachen nicht verlernt haben. Diese 16 Muskeln im Gesicht, die so viel leichter zu stimulieren sind als die vielfache Anzahl jener, die ein brummiges Antlitz gestalten.

Werden wir endlich von der ewigen Konnotation der unterstellten Boswilligkeit befreit und schaffen es, positiv in die Zukunft zu schauen?

2021 bietet jetzt noch 364 Morgen, die mit einem Lächeln begonnen werden können. Und 2021 bietet 52 Wochen in denen Geschichte geschrieben werden kann.

Ich freue mich auf Begegnungen, die in Erinnerung bleiben, ob ein flüchtig, charmantes Lächeln in der Fußgängerzone, tiefsinnige Gespräche im Freundeskreis oder sympathisch kranke Scheiße im öffentlichen Raum - ich will 2021 endlich wieder analog (er-) leben, und das wünsche ich Ihnen auch.

 

Bild und Text: adolf.muenstermann@gmail.com