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Also sprach Tyler Durden

Fight Club, einer der provokantesten Filme unserer Zeit, war im Kino ein absoluter Flop. Ähnlich wie „the big Lebowski“, erwuchs seine Kraft im Untergrund von Video und Streaming. Fight Club spielt mit Nietzsches „Gott ist tot“ und zeigt, was im „worst case“ daraus erwachsen würde.

Der Erzähler, dargestellt von Edward Norton, ist ein postmodernes Subjekt im Großstadtjungle der USA. Sein Geld verdient er als Versicherungsagent, der Autounfälle auf eine mögliche Fehlerursache des Herstellers untersucht, um die Kosten von Rückrufaktionen zu eruieren. Ausgegeben wird es für IKEA Bullshit und anderen Zivilisationskram.

Frei von jeglichem Glücksgefühl und gefangen in der Sinnkrise eines modernen Mannes zündet er im Affekt seine Wohnung an und sucht Unterschlupf bei Tyler Durden, alias Brad Pitt. Dieser stellt alles dar, wovon Männer träumen: er sieht gut aus, ist radikal und lebt die Kultivierung des „worst cases“ von Nietzsches „ also sprach Zarathustra“ indem er den düsteren Drang zur Selbstoptimierung auslebt, den man in der Philosophie auch Hedonismus nennt.

Tyler macht, was sich der moderne Mann nicht traut, da ihm Emanzipation und Überfluss das identitätsstiftende Moment eines jeden Mannes, erschaffen durch Zerstörung, Anfang und Ende, genommen wurde.

Dem Mann im 21. Jahrhundert ist es verboten, er selbst zu sein. Reduziert auf funktionieren und unbefriedigend getröstet vom schnöden Mammon. Als der Erzähler merkt, dass Tyler Durden sein „neuer ego“ ist, haben die Ideen seines radikalen Ichs bereits Feuer gefangen. Die Welt brennt, in Kaufhäusern, Restaurants und dreckigen Spelunken. Der verunsicherte Mann erfindet sich in alter Attitüde des brachialen neu. Er zelebriert die Sehnsucht nach Maskulinität in exzessiver Gewalt und animalischem Sex.

Wenn Gott tot ist, ist alles erlaubt, denn jegliches moralische Korrektiv ist obsolet. Erlaubt ist, was gefällt, denn Verantwortung hat sich erledigt.

Maria Singer (Helena Bonhem Carter, ex-Frau von Tim Burton) wird die „Partnerin“ von Tyler Durden. Er erweckt in Maria das Gefühl von Wahrhaftigkeit, er begehrt und fickt sie, wie es sich der Erzähler nie trauen würde. Beide finden im Zusammensein die Lust, die Ihnen durch die Sattheit unserer Postmoderne abhandenkam. Getroffen in Selbsthilfegruppen für Hodenkrebspatienten, denn hier schien es, dass man zumindest als man selbst genügen kann. Sie standen beide vor dem Nichts und hier hörte man ihnen zu. Das Leben war wertlos, weil es nichts mehr gab, für das es sich zu leben lohnt.

Aber dennoch gibt es das moralische Gewissen im Menschen, auch ohne Gott. Instinktiv spürt der Mensch eine Verantwortung für die Gemeinschaft in sich. Aber als der Erzähler das bemerkt, ist es bereits zu spät. Sein extremes Ich hat nicht nur Besitz von ihm, sondern einer ganzen Bewegung übernommen.

Der finale fünfte Akt des Films, die Detonation der wichtigsten Kreditkarteninstitute wurde bereits eingeleitet und der Erzähler kann, erbärmlich zugerichtet mit Marla im Arm, nur noch in einer Sinfonie von Musik zu einem gigantischen Feuerwerk der Zerstörung betrachten, was das ausgehende 20. Jahrhundert aus ihm gemacht hat.  

Regisseur David Fincher hat sich mit Fight Club zum Dostojewskij der Popkultur einer neuen Zeit gemausert. Ein Leo Tolstoi der Moderne, dessen Vita immer wieder den Finger in die Wunden unserer Zeit legt.

Ganz großes Kino, gerade jetzt zu Weihnachten, wo immer mehr Menschen die Theodizee-Frage*2 mit einem Gott zu versöhnen suchen. Vielleicht ist das Bild von Gott tot und „wir haben ihn getötet“ Nietzsche), aber vielleicht ist Gott auch nur viel mehr als ein banales Abziehbild oder eine Idealfigur unserer selbst.

Christen sprechen vom freien Willen, der Fluch und Segen zugleich ist. Wir haben die Wahl, ob wir uns von Egomanie oder Gnade leiten lassen. Gott ist da, wo Leben ist, und Leben ist überall um uns herum. Es liegt an uns, das Sein aus seiner selbst heraus zu schützen und nicht aus Angst vor einem rachsüchtigen Gott im Jenseits.

Schauen Sie doch mal in die Mediatheken von Netflix oder amazon. Dieser Film tritt einem immer wieder in die Magengrube und ist nicht nur für Männer ein absolutes Muss.

 

Bis morgen,

 

Text und Bild: adolf.muenstermann@gmail.com

 

*1 Hedonismus: Lebenssinn ist Selbstzweck im Glücklich-sein (es gibt positive und negative Facetten, die mal so und mal so glorifiziert werden)

 

*2 die Theodizee-Frage: Wie kann es einen Gott geben, wenn es so viel Grausamkeit gibt