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Motor des Fortschritts

Erinnern Sie sich noch daran, wie komisch es war, als man mit 15 oder 16 anfing, Sie zu Siezen? Und wie merkwürdig es sich ähnlich, viele Jahre später anfühlte, wenn man Sie wie selbstverständlich Duzte? Was ist meanwhile passiert?

Als kleiner Junge war es immer ein Wunschtraum, endlich gesiezt zu werden. Dieses Gefühl von Respekt, das man als Kind nicht haben konnte. Immer hieß es: „Dafür bist du noch zu klein“ oder „davon hast Du keine Ahnung“. Mich hat das wahnsinnig gemacht. Für mein Empfinden waren meine Gedanken ebenso klug und durchdacht wie die von Erwachsenen und meine Fehlerquote war ebenso groß. Manchmal redete ich eben Blödsinn, aber meist wusste ich zumindest, warum ich wie zu welcher Meinung gekommen war; ähnlich wie meine Eltern, aber ihren Aussagen wurde immer mehr Souveränität unterstellt als mir, nur weil die Gedanken mehr theoretische Zeit zum reifen hatte. Dabei ist das doch nur ein Indiz dafür, dass man zu blöd war, um selbige schon mit 15 zu haben.

Natürlich war ich klein, aber bestimmt nicht doof, weshalb unterstellte man dennoch, dass die Qualität geringer war? Nur weil es nicht von ähnlich vielen Zweifeln begleitet wurde? Ist es nicht ein notwendiges Indiz des Fortschrittes, dass optimistisch konnotierte Meinungen vehement verteidigt werden, auch wenn sie nicht an allen Zweifeln, die möglich wären, geschliffen wurden? Braucht ein Wandel nicht Mut zum Fehler? Sind nicht radikale Postulate deshalb so kraftvoll, weil sie sich signifikant vom Rest unterscheiden. Aussagen von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen sind und waren nie Disput geschult, aber voller Optimismus und Elan, angefüllt von Hoffnung, dass so etwas noch nie formuliert wurde.

Ihre Radikalität macht sie so besonders. Ihr bedingungsloser Drang zum Umdenken ist doch der Motor des Zeitenwandels. „Alle sagten, es geht nicht, bis einer kam, der es einfach gemacht hat“, dieser Spruch hängt in diversen Küchen und Gästeklos, obwohl keiner danach lebt und viele negieren, dass derjenige höchst wahrscheinlich keine 40 sondern eher 14 war bzw. ist. Keine Angst vor dem Gefühl der Endlichkeit oder dem Verlust von Reputation konnotierten die Überzeugung. Keine Erfahrung ließ einen den Gedanken intelligibel versanden. Es war doch möglich, sonst wäre es doch nicht formuliert worden. Ein Kind glaubt nicht an Grenzen, die auf Erfahrung beruhen. Grenzen sind maximal physikalisch gesetzt, alles andere war und ist möglich. Computer, Smartphones, Autos, bei all diesen Erfindungen und vielen mehr, war die Mehrheit echauffiert, glaubte an medizinische Unmöglichkeit aus Angst, dem drohenden Ende schneller ins Auge zu blicken, nur weil ihnen die Phantasie fehlte, den Gedanken die Freiheit zu schenken, die Sartre so wichtig war.

Im Moment, wenn sie aber zur erwarteten Prämisse wird, ändert sich das. Plötzlich glaubt man, die Weisheit mit dem großen Löffel gefressen zu haben. Man weiß ja, wovon man spricht. Dabei haben weder Groß noch Klein eine Ahnung davon, was sie da postulieren. Sie glauben, hoffen und denken, dass sie richtig liegen, dabei halten sie sich nur an Konventionen fest, die einen vor dem Abgrund schützen, die Möglichkeit des Benefits unkonventioneller Ideen wird negiert. Wie erfolgreich Frauke Petri mit ihrem Opportunist kam, sehen wir ja jetzt.

Wir geißeln Mutige für ihre Souveränität doch eigentlich nur, weil wir nicht den Mut haben, unsere Ideale zu leben. Ich bin kein Petry Fan, aber ich hoffe, dass es noch viele Menschen gibt, die sich trauen anders zu denken, auch wenn das impliziert, dass viele dabei auf der Strecke bleiben, aber eine gute Idee kann doch nur dann Wirklichkeit werden, wenn es immer wieder Menschen gibt, die es riskieren, eine zu haben und sie umzusetzen. 90 Prozent scheitern, aber zehn Prozent erlangen die nächste Stufe. Aber ohne die anderen 90 Prozent, könnte sich auch die Quintessenz nicht durchsetzen. Die nicht mainstreamfähigen Ideen, sind Korrektiv, Motivator und Grundbedingung von Fortschritt. Es heißt doch auch „ habe den Mut, Dich deines eigenen Mutes zu bedienen" und nicht „Habe die Erfahrung, deine Logik anzuwenden“.  

Wenn man Geduzt wird, gibt einem das Gegenüber doch eigentlich nur die Hochachtung und die Billigung, unkonventionell zu denken. Man sagt, Du bist noch nicht etabliert, Du darfst noch träumen. Auch wenn das Gegenüber das nicht bewusst postuliert.

Wir sollten uns freuen, wenn wir geduzt werden, weil wir dann noch nicht alt sind. Und wenn man uns Siezt, dann liegt es an uns, wie relevant die Ideen des jüngeren Ichs für unsere Meinung sind. Habe Mut zum inneren Kind zu stehen, habe Mut, dich duzen zu lassen, habe Mut du selbst und somit völlig anders zu sein. Nur wer das kultiviert, hat meines Erachtens am Ende auch das Recht dazu, über andere zu urteilen, denn er oder sie oder es, ist selbst bereit, zu scheitern und deshalb berechtigt zu kritisieren. Nicht um Ideen zu töten, sondern immer mit der Intention, sie zu verbessern, denn wenn es gut läuft, profitiert eine ganze Gesellschaft davon und wenn es versandet, sind wir alle am Prozess gewachsen.  

Einen schönen 2. Advent.  

Text: adolf.muenstermann@gmail.com

Bild: Pixabay