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Uli Jost-Blome

Interview Bönte von „Kirche + Leben“ blickt er auf veränderte Ansprüche und Voraussetzungen im Bereich der Weltkirche zurück und erklärt, warum die Weltgemeinschaft eine Lerngemeinschaft ist.

Münster (pbm). Es gibt ein Schwarz-Weiß-Foto, auf dem der kleine Uli mit seiner Tante Paula am Kaffeetisch sitzt. Der Sechsjährige liest der Dominikanerin aus dem Buch Struwwelpeter vor. Die Tante, Schwester Helmwarda, war Missionarin in Tansania und die Begegnungen mit ihr nicht nur herzlich, sondern immer faszinierend und exotisch. Allein die Luftpost von ihr aus Afrika verbreitete den Geschmack der großen, weiten Welt, erinnert sich Uli Jost-Blome heute, fast 60 Jahre danach. Es waren diese Begegnungen mit seiner Tante, die ihn letztlich über einige Stationen in die Fachstelle Weltkirche im Bischöflichen Generalvikariat in Münster brachten. Nach 15 Jahren gibt der 65-Jährige Ende November die Leitung dort ab und geht in den Ruhestand.

Es war ein romantisches Bild damals. „Diese Menschen waren Vorbilder“, sagt Jost-Blome. „Sie gaben für ihren Glauben alles hier auf, gingen in andere Kulturen, zu fremden Menschen, in unbekannte Landschaften.“ Etwas von dieser Romantik ist bis heute geblieben. Sie war ein wichtiger Impuls für ihn, seinen Blick in die Weltkirche weiter zu schärften, sagt Jost-Blome. Die Blickrichtung blieb, die Auseinandersetzung aber wurde politischer. „Meine Gelenkstelle war meine Studentenzeit“, beschreibt er die wohl prägendste Phase seines Lebens in Sachen Entwicklungsarbeit.

In den 1970er Jahren studierte er in Münster Theologie, Germanistik und Geschichte auf Lehramt. „Meine WG und die Arbeit in der katholischen Studentenbewegung waren wie weitere Studienfächer für mich.“ Sein Engagement galt dem fairen Handel, Eine-Welt-Kreisen und Entwicklungshilfe-Projekten. Es war auch die Zeit, als er das erste Mal selbst in ein Entwicklungsland aufbrach. Mit einer Studienkollegin ging es 1976 drei Monate nach Kenia – im Rucksack ein paar Kontaktadressen und eine „riesige Portion Neugier und Naivität.“ Was sie dort erlebten, ist bis heute das Herz seiner Arbeit geblieben: „Viele einfache Begegnungen in unterschiedlichen Kulissen.“ Im Nobelhotel in Mombasa, im Slum in Nairobi, im Reichenviertel der Großstadt, im weit abgelegenen kleinen Dorf…

„Ohne diese Nähe geht es nicht – sie ist eine unverzichtbare Grundlage für das gegenseitige Verstehen“, ist Jost-Blome überzeugt. Auch 2020 ist das für ihn noch so. Eine Zeit, die von jenen Tagen in Kenia eigentlich Lichtjahre entfernt zu sein scheint. Denn gerade die Ansprüche, Voraussetzungen und Möglichkeiten weltkirchlichen Engagements haben sich in den vergangenen Jahrzehnten massiv verändert, sagt Jost-Blome. „Klimafragen, Entschuldungskampagnen, religiöse und ethnische Konflikte, Kriege, Globalisierung...“ zählt er auf. „Es ist immer komplexer geworden – ein Schwarz-Weiß-Denken gibt es nicht mehr.“

Jost-Blome gestaltete die Auseinandersetzung mit diesen Rahmenbedingungen mit, egal in welcher Position und Funktion. Anfangs als Gemeindeassistent der Katholischen Hochschulgemeinde (KHG), dann als Referent für Politische Bildung und Politik des Bistums, später als Dozent für Politik, Zeitgeschichte für Internationale Gerechtigkeit in der katholischen Akademie Franz-Hitze-Haus. Und zuletzt in der Fachstelle Weltkirche. Bei aller Konstanz, Jost-Blome sagt, dass er sich immer wieder neu ausrichten musste. Vor allem durch das Zusammenwachsen der Kontinente in der Globalisierung. Die unmittelbare Wechselwirkung des eigenen Handelns für Menschen in aller Welt habe den Blick auf die vielen Fehlentwicklungen noch einmal geschärft. „Wenn wir hier an etwas ziehen, schreien in einem fernen Land die Menschen – das wissen wir jetzt.“ Gerade in der Klimafrage und nicht zuletzt bei den Auswirkungen der Corona-Pandemie sei ihm das noch einmal bewusst geworden.

Begegnungen die Spuren hinterließen: Uli Jost-Blome mit seiner Tante, der Ordensschwester Helmwarda aus der Mission. (Foto: privat)

Umso wichtiger ist es für Jost-Blome, dafür einen „katholischen Spiegel“ zu entwickeln. „Wir müssen deutlich machen, dass es sich bei der Weltgemeinschaft um eine Lerngemeinschaft handelt, um eine Solidargemeinschaft und um eine Gebetsgemeinschaft.“ Eine „internationale Nächstenliebe“, nennt er das, um dann energisch zu werden: „Die ist katholische DNA und wir haben als Akteure in der Weltkirche verdammt noch mal die Pflicht, das immer wieder anzumerken.“ Jost-Blome ist sich bewusst, dass die Menschen aus den Entwicklungsländern zumeist als Bittsteller kommen. „So ist die Situation in der Welt, keiner hat sich das so ausgesucht.“ Umso wichtiger sei es, dem Gegenüber nicht als Pate, sondern als Partner zu begegnen. „Ihm zeigen, dass auch wir etwas von unserer Zusammenarbeit haben.“

Aber was? Seine Antwort kommt ohne Zögern: „Ein sinnerfülltes Leben. Wir wissen doch alle, dass wir hier in vielen Dingen das gesunde Maß überschritten haben.“ Konsum zählt er dazu, Umgang mit der Umwelt oder eine vermehrte Individualisierung. „Das macht letztlich nicht glücklich, das geht am Ende nicht auf.“ Er hat die Erfahrung mannigfach gemacht, das ist ihm anzusehen. Wenn die Missionare oder Vertreter von Bistümern aus Übersee in seinem Büro in Münster saßen, waren diese Momente. „Natürlich kamen irgendwann immer die Hüllen mit den Anfragen zur Unterstützung von Projekten aus ihren Taschen“, sagt er. „Aber das war nicht das Wichtigste.“ Er nimmt eines von vielen Gästebüchern in die Hand, in denen die Besucher ihre Grüße geschrieben haben. „Das, was hier drin steht, ist viel wichtiger – es sind Protokolle von Begegnungen.“

1976 in Nigeria: Uli Jost-Blome feiert mit Einheimischen im Priesterseminar. (Foto: privat)

Jost-Blome wird das „Gefühl der Nähe trotz großer Entfernungen“ nicht zurücklassen, wenn er die Fachstelle verlässt. „So etwas kann ich nicht einfach kappen.“

Auch wenn er künftig sicher mehr Zeit mit seinen drei Enkeln verbringen wird, einen ehrenamtlichen Platz in der Entwicklungsarbeit hat er sich schon gesichert.

Im Eine-Welt-Netz NRW sitzt er im Vorstand. Er wird auch Kontakt zu vielen weiteren Gruppen und Menschen halten, mit denen er in den vergangenen Jahren

zusammengearbeitet hat.

Seine vielen Erinnerungen daran hat er aufgeschrieben. Eine Rede sollte es sein, auf einem Abschiedsseminar in Franz-Hitze-Haus. Corona hat das verhindert. Deswegen macht er eine kleine Schrift daraus, die er an Wegbegleiter verschenken möchte. Auf eine der ersten Seiten wird ein Foto zu sehen sein. Darauf ist er mit seiner Tante Paula am Kaffeetisch zu sehen. Jener Schwester Helmwarda, die bei ihm einen Grundstein für sein Leben legte.

Text: Michael Bönte/Kirche + Leben