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Nemo und die Ratten

So fühlt es sich an, wenn man sich verraten und verkauft fühlt

Die Ratten nagen mit ihren blanken Beißern an dem Mauerwerk, das feucht, langsam zu bröckeln beginnt. Ihre pinken niedlichen und etwas zu langen Schwänze spielen Ringelrein, ohne sich zu verhaken und eine springt einem plötzlich ins Gesicht und obwohl ich den Schmerz der Krallen in meinen Augen spüre, werde ich nicht blind, sondern sehe, wie das Blut in meinen Glaskörper träufelt wie in ein kugeliges Aquarium. Aber die Pupille tanzt weiterhin, ganz ungeniert, wie ein dressierter Goldfisch in dem trüben Nass. Dreht Runde um Runde ohne ein Ziel zu kennen oder zu erreichen.

Mir ist, als ob ich wie Reinhold, die Miezi erdrosselt habe, ohne es getan zu haben. Ich bin das Glas und der Fisch, das Blut und das Ziellose, der Anfang und das Ende, das im Moment verschmilzt. 

Ein lautes Lachen erklingt von außen, kalt und unbarmherzig, als würde man sich über den Idioten lustig machen wollen, der nicht aus seiner Haut kann. Das Lachen geht in Mark und Bein. Lässt das Glas vibrieren, aber den Fisch nicht sterben und das Gefäß nicht auf dem Boden zerbersten. 

Willkommen in 1920, oder 2020 oder 2120. Willkommen in der Hoffnungslosigkeit einer verlorenen Gesellschaft, die nicht an Moralgrundsätzen krankt, sondern an deren Überfluss. Jeder hat seine eigenen Maximen, nach denen er handelt und über die er die der anderen diskreditiert. Jeder denkt an sich und denkt, an alle sei gedacht. Dabei halten wir gemeinsam nur ein Rad in Bewegung, das wir schon lange nicht mehr kontrollieren zu können. Die moderne Zivilisation ist ins Rentenalter gerutscht und hält sich immer noch für pubertär. Wie ich. Wie so viele. Die Wahrheit ignorierend, um sie ertragen zu können, dabei werden wir der Probleme nur Herr, wenn wir sie gemeinsam angehen, ohne sie schön zu reden. 

Und die Vögel, sie ziehen, sogar im Oktober, und die Bäume keimen im Herbst und die Ausbeutung geht weiter, die Verschwendung, die Dekadenz, mit der wir glauben, alles kompensieren zu können. Wir denken noch immer, dass das „Jetzt“ nur ein kaputter Außenspiegel des Porsche Fortschritt ist, dabei ist das Getriebe im Eimer und der Boden schon längst durchgerostet. Und im Rückspiegel erscheint wieder der Goldfisch im trüben Zuhause. Unentwegt seine Runden drehend. Er kann nichts sehen, nur beobachtet werden. 

Noch ein Glas Wein oder Champagner oder ein Kurztrip nach New York? Gerne, ich zahle kommende Woche, oder so, oder gar nicht. Aber ich fliege und gehe und fahre und schreite voran, immer näher an den Abgrund einer Welt, die einmal nicht zu Ende zu gehen schien und heute wie eine Scheibe am Rand den Abgrund gebiert, den wir alle nicht erleben wollen aber mit unseren Handlungen immer mehr herbeisehnen. Weine, kleine Heulsuse, greif zum Klopapier und trockne deine Tränen, wenn dir noch der Euro für die Kosten geblieben ist. 

Und, kleiner Hans Biberkopf, du Mörder, Lude und Nichtsnutz, gibst du endlich auf? Was muss denn noch passieren, damit du endlich die Segel streichst und den sanften Tod hereinbittest? Brauchst du ein Messer? Medikamente oder gar einen Strick? Schade, wenn man sterben soll und sich nicht einmal umbringen kann. Aber so ist das Leben, finde dich damit ab, strebe weiter für die Dekadenz der anderen. Unterstütze mit deiner ewigen Nörgelei die rechten Tendenzen, die sich schon nicht mehr verbergen lassen. Gib den Hitlers von morgen eine Plattform, indem Du sie auf unendlich vielen virtuellen Seiten anprangerst und so dafür sorgst, dass auch der Letze davon erfährt, dass es zumindest eine andere Option zu geben scheint. 

Klau dir ein neues Aquarium und verschwinde kleiner Nemo. Aber pass auf, dass man dich nicht erwischt, sonst schneidet man dir die Flossen ab und stellt Dir nach deinem Tod sogar noch die Beerdigung in Rechnung. 

Ob ich lebensmüde bin? Ja, das bin ich, aber nicht Selbstmord gefährdet. Diesen Gefallen dürfen wir der Absurdität des Kapitalismus nicht gönnen. Bluten wir ihn aus, indem er für uns zu zahlen hat. Denn er verpflichtet uns zum Leben, weil er den Tod negiert hat. In eine Ecke sperrte, die keiner einsehen kann. Wir dürfen gar nicht sterben, also müssen wir gnadenlos den Schweinen Ihre Fratze ins Gedächtnis rufen indem wir zukünftig ihre Träume quälen. Ihren Goldfisch im größeren Aquarium gemeinsam mit Blut fluten. Lassen sie uns gemeinsam den Sadismus der Selbstbewichserei im Blute des Proletariats ertränken. Ihn elendig ersaufen.

Und während ich so schreibe, erklingt im Hintergrund das Scharren der kleinen Rattenfüsse, in meinem Kopf und ich bilde mir ein, dass es nicht nur die in meinem Kopf sind.