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Großes Frauentennis

Film ist wohl das Medium, das in unserer Zeit die breiteste Masse für eine spezielle Kunstrichtung oder ein „künstliches“ Produkt begeistern kann. Aber was macht einen Film unter vielen zu etwas besonderem?

Jeder hat wahrscheinlich seine ganz besonderen Lieblingsfilme, die ihn immer und immer wieder vor den Bildschirm oder der Kinoleinwand in den Bann ziehen, und die meisten denken, dass es sich bei diesem Werk deshalb um einen guten Film handelt, weil ihr oder ihm die Story gefällt, aber das ist nur die halbe Wahrheit, oder wie Hitchcock es so schön formulierte: „A good script doesn´t make a good motion picture“.

Was ist es also dann, das einen guten Film von anderen unterscheidet?

Wichtig ist zuvorderst, dass dem Filmemacher die verschiedenen Tools des Mediums mit all ihren Möglichkeiten nicht nur bewusst sind, sondern, dass er oder sie diese auch in all ihren Facetten beherrscht.

Man muss sich vorstellen, dass ein Film in Interaktion mit der Realität tritt. Die Wirklichkeit im Film (Diegese) ist also für den Zuschauer immer ein Konkurrenzprodukt zur eigenen Realität. Ein Film bildet also nicht nur das Jetzt oder einen anderen Zeitpunkt nüchtern ab, sondern spielt mit den Erwartungen und Wünschen des Zuschauers.

Und je geschlossener die Welt in der verfilmten Geschichte ist, desto entspannter kann man sich auf die Geschichte einlassen, weil einen die Friktionen zur Wahrheit beim Genießen nicht ablenken.

Je authentischer und konsequenter die Charaktere in der Anwendung der Symbole wie Sprache mit ihrer Realität umgehen, oder bzw. und auch dargestellt werden, desto besser ist der Zuschauer in der Lage, seine Emotionen mit denen der Protagonisten auf der Leinwand zu verschmelzen.

Aber neben einem guten Drehbuch mit auf den Punkt formulierten Dialogen, zählt auch, mit welchen Mitteln Spannung, Emotion und Zeit dargestellt werden. Wie wurde das Licht gesetzt, sind die Farben eher kalt oder warm, wo steht die Kamera, welche Musik wird unterlegt und vor allem: Wie gestaltet sich der Schnitt als Narrativ, dem ich als Zuschauer zu folgen habe.

Der Film lebt also davon, ob ich mich als Zuschauer mit der Hauptperson identifizieren kann. Kamera aus der Froschperspektive, viel Blau und dramatische Musik mit ansteigenden Tempo sind klassische Mittel um Angst und Gefahr für den Zuschauer erlebbar zu machen, weil all das dafür sorgt, dass ich als Zuschauer das Gefühl habe, mehr zu wissen als die Schauspieler auf der Leinwand. Man kann es als Zuschauer kaum ertragen zu sehen, wie ein Darsteller in sein Unglück rennt, denn man ist zum Nicht- Eingreifen- Können verdammt. Der Schnitt selbst wirkt in diesem Moment wie ein Katalysator der Zeit, er spielt mit ihr, zeigt nur das, was als nächstes möglich ist und verschluckt alles, was nicht notwendig ist, um die kommende Sequenz zu verstehen. Es ist also nicht unbedingt wichtig, zu sehen, wie jemand in ein Badezimmer geht, aber durchaus, was dort passiert, wie das Erstechen unter der Dusche in „Psycho“.

Ein guter Regisseur komponiert folglich ein kinematographisches Moment, indem er alle relevanten Umstände mit speziellen Mitteln umsetzt. Spricht die Atmosphäre über die Musik oder die Requisiten, wird die Sprache der Darsteller zu einer Requisite, indem der Fokus nicht auf dem liegt, was er sagt, sondern wie er es sagt, will heißen, was sagt die Art der Sprache des Schauspielers im Film über die Vergangenheit der Person, die er darstellt. Tarantino ist und war ein Meister darin, man betrachte nur den Dialog von Samuel L. Jackson und John Travolta in „Pulp fiction“. Kurz vor dem Tod-bringenden Entre bei Schuldnern unterhalten sie sich über eine Fußmassage bei der Frau des Chefs. Dabei ist es nicht wichtig, dass Vincent Vega gerne Füße massiert, sondern was das über das Verhältnis von ihm zu seinem Chef verrät. Und je weniger diese Dialoge mit Klischees angereichert sind, desto besser wirken sie.  

Nur die wenigsten Menschen reiben sich die Augen, wenn sie weinen oder gestikulieren mit einer Hand am Kopf, wenn sie nachdenken. Erst wenn das Handeln inklusive der Sprache individualisiert wird, hat man als Zuschauer das Gefühl, dass man es nicht mit einer fiktiven Geschichte sondern mit lebenden Charakteren zu tun hat, die einem auch in der eigenen Realität, zumindest charakterlich begegnen können.

Als letztes sind noch zwei Punkte wichtig, um mich als Zuschauer vor der Leinwand zu fesseln: erstens, Filmspannung lebt von der Schwäche der Darsteller. Sein Kampf mit dem Unmöglichen wird zum voyeuristischen Moment des Zuschauers. Man will, dass er struggelt und freut sich, wenn er über sich hinaus wächst, um das Problem zu lösen. Und wenn er daran scheitert, obwohl alles dafür spricht, dass die Geschichte gut ausgeht, kommt die Überraschung ins Feld.

Als Zuschauer, der ein Mensch ist, will man immer die Zukunft planen können, weshalb man versucht, den Verlauf zu erahnen. Das liegt in der menschlichen Natur. Erzwingt die Kohärenz der Ereignisse jedoch das Gegenteil, gieren wir nach mehr. Wir wollen wissen, was falsch lief, und nur wenn das schlüssig und unausweichlich ist, glaube ich die Geschichte, lasse mich von der Notwendigkeit des Laufs der Dinge, der ein solches Szenario wie das Dargestellte als Konklusio präsentiert überzeugen.

Und je häufiger man, beispielsweise bei Filmen von David Lynch, in eine absurd wirkende Welt mit tätowierten Nachrichten wie in „Memento“, oder sich verzerrende Realitäten ohne Schwerkraft wie in „Inception“ eingetaucht ist und am Ende durch eine zwingende Reihenfolge der Ereignisse  belohnt wird, desto mehr vertraue ich dem Handwerk des Machers und bin bereit, meine eigene Realität für einen Moment zu negieren oder ihr Kernkompetenzen absprechen zu lassen.

Es ist also auch unsere Sehgewohnheit, die dafür sorgt, dass etwas funktionieren kann und in den Augen des Betrachters auch darf. Kamerafahrt oder Zoom, „Close up“ des Gesichts (oft in der Werbung als sogenanntes „Sadvertising“ genutzt) oder ein „Overshoulder Blick (der stille Voyeur) machen das Bild also nicht nur schön, sondern transportieren auch eine Position des Zuschauers im Filmgeschehen. Man wird dazu genötigt, sich zu der dargestellten Geschichte eine Meinung zu bilden, ob man will oder nicht. Und je besser der Macher des Films alle Mittel des Filmes kennt, desto sicherer weiß er, wie sich der Zuschauer des Films beim Betrachten fühlt und was er wohl als nächstes erwartet.

Und wenn Serien wie „pope-town“ mit verbreiteten Hyperbeln von Klischees spielen, ist folglich nicht das Dargestellte eine Kopie der Realität, sondern eine subjektive Betrachtung der filmischen Realität durch die Hauptperson. Es ist also nicht dumm, wenn das Dargestellte nicht klug oder vereinbar mit unserem Weltbild kooperiert, sondern eine Einladung zum Diskurs zweier verschiedener Realitäten, der des Zuschauers mit der des Charakters auf der Leinwand.

Deshalb funktionieren, Odyssee 2001 von Kubrick oder 39,90. Nicht weil sie so real sind, sondern weil sie den Zuschauer in eine Welt hineinsaugen, der man sich nicht entziehen kann oder zumindest will.

Großes Kino ist also dann „großes Frauentennis“, wenn die Erzählart an ein spannendes Match zwischen Steffi Graf und Martina Navratilova erinnert und nicht, wenn Veronika Ferres das Racket schwingt.

 

Bild: Pixabay

Text: adolf.muenstermann@gmail.com