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Wissenschaftler über die Wahl in den USA

Verändert die Wahl von Joe Biden das Demokratie-Verständnis in den USA? Und wie sieht es mit dem Einfluss auf die Wissenschaftsbeziehungen zwischen den USA und Europa aus? Wissenschaftler der WWU diskutieren.

Prof. Dr. Jürgen Overhoff über das Demokratie-Verständnis in den USA:

Unabhängig vom Ausgang der Wahl wird das klassische amerikanische System der checks and balances – gemeint ist damit die gut austarierte Gewaltenteilung zwischen Regierung, oberster Rechtsprechung und Gesetzgebung – wohl auch zukünftig auf eine immer härtere Probe gestellt werden.

Während die Amerikaner seit dem Gründungsmoment der USA im ausgehenden 18. Jahrhundert über Jahrhunderte hinweg stolze Anhänger der Idee der gegenseitigen Kontrolle ihrer höchsten staatlichen Instanzen waren, hat dieses Ideal in den letzten vier Jahren schwere Blessuren erlitten.

Der noch amtierende US-Präsident Donald Trump hat wie keiner seiner Vorgänger die unabhängigen Gerichte seines Landes mit Schmähungen überzogen, auch gegen alle bis dahin geltenden Konventionen höchste Richter am Supreme Court durchgesetzt, die vor allem seiner politischen Linie verpflichtet sind, und er beleidigte Nanci Pelosi, die würdige Sprecherin des Repräsentantenhauses, mit unflätigen Begriffen.

Im Stil eines Volkstribuns wandte er sich zudem per Twitter an seine politische Gefolgschaft mit ungezählten Nachrichten, in denen er sich als Kämpfer gegen die Qualitätspresse stilisierte. Diese geißelte er als Feind des Volkes.

Seit Donald Trump als Kandidat der Republikaner ins Amt des Präsidenten gewählt wurde, propagiert er ein populistisches Verständnis von Demokratie, das darauf zielt, den gewählten Anführer der Mehrheit möglichst entfesselt regieren zu lassen, ohne den allzu hinderlichen Einschränkungen von Gesetz, Verfassung und Anstand ausgesetzt zu sein. Durchgedrückt werden soll der Mehrheitswille. Damit verkommt die Macht zum Selbstzweck.

Es ist nun eine bedeutsame Frage, ob die Demokraten unter dem kommenden Präsidenten Joe Biden in den kommenden Jahren der Versuchung werden widerstehen können, einem Populismus in linker Gestalt zu frönen. Eine glückliche Zukunft des Systems der Gewaltenteilung sollte jedoch allen Verfechtern der repräsentativen parlamentarischen Demokratie und des liberalen Rechtsstaates ein echtes Herzensanliegen sein – auch hierzulande.

 - Dr. Jürgen Overhoff ist Professor für Historische Bildungsforschung am Institut für Erziehungswissenschaft der WWU; er leitet die Arbeitsstelle für deutsch-amerikanische Bildungsgeschichte.


Kurz nachgefragt: Wie steht es um die wissenschaftlichen Beziehungen zwischen Deutschland und den USA?

Prof. Dr. Martina Wagner-Egelhaaf:

Warum schaut eine Germanistin in diesen Tagen mit Spannung und Sorge nach Amerika? Natürlich ist die Germanistik längst nicht mehr die nationale Philologie, als die sie zu Beginn des 19. Jahrhunderts begründet wurde. Sie ist vielmehr eingebunden in vielfältige internationale und interdisziplinäre Netzwerke.

In den USA hat es immer eine starke Germanistik gegeben, in der die Erinnerung an Migration und Exil, aber auch an gemeinsame Werte, Solidarität und Freundschaft eine wichtige Rolle spielten. Ein großes Potenzial für die weltweite Entwicklung des Fachs liegt darin, dass sich die Germanistiken in den verschiedenen Ländern nicht mehr primär an der Germanistik in Deutschland orientieren, sondern dass eigene Perspektiven eingenommen und unterschiedliche regionale Traditionen und Kontexte geltend gemacht werden.

Für diese ,internationale‘ oder auch ,transnationale‘ Germanistik aber ist es unerlässlich, dass Austausch und Transfer weiterhin ungehindert möglich sind. Wir brauchen daher auch in Zukunft unsere transatlantischen Kooperationen und sind darauf angewiesen, dass sich die Geisteswissenschaften in den USA in einem Klima der Freiheit und des Respekts vor wissenschaftlicher Erkenntnis entfalten können.

- Prof. Dr. Martina Wagner-Egelhaaf arbeitet am Germanistischen Institut der WWU. Sie hat als Visiting Professor an verschiedenen US-amerikanischen Universitäten gelehrt und geforscht.

Michael A. Mason:

Die rassistischen Spannungen haben sich während der vergangenen vier Jahre unter der Administration von Präsident Donald Trump verschärft - man denke dabei vor allem an den durch Polizeigewalt getöteten Afroamerikaner George Floyd und die sich daraus ergebende „Black-Lives-Matter“-Bewegung. Auch innerhalb verschiedener akademischer Verbände in Europa sind intern Konflikte darüber ausgebrochen, wie man auf diese Ereignisse reagieren soll.

Mein Posteingang ist mittlerweile voll von diesen laufenden Konversationen zwischen wohlmeinenden Wissenschaftlern, die versuchen, die Kluft in dem aktuellen Umfeld zwischen Fortschritt und Überleben zu bewältigen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich dies mit einer Regierung unter einem Präsidenten Joe Biden legen wird. Ich bin mir aber sicher, dass es in einer zweiten Amtsperiode mit Donald Trump noch schlimmer gekommen wäre.

Ich habe keine Zweifel, dass die zunehmende Verwendung der Sprache von Milizen innerhalb der Rechten in den USA vieles von dieser reaktionären Verwirrung ausgelöst hat. Wir müssen und dürfen uns nicht durch eine zynische Taktik spalten lassen.

- Michael A. Mason ist US-Amerikaner und lehrt seit 2019 am Englischen Seminar der WWU - sein Studium absolvierte er an der University of South Alabama.

Quelle: WWU Münster

Foto: Jon Tyson on unsplash