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„Einfach noch mal umdrehen“

Viele von Ihnen sind jetzt bereits einige Zeit auf den Beinen, und haben Partner und oder Kinder mühsam geweckt. Es gibt allerdings etwas, das sich ganz langsam und angenehm selbst erweckt; der Tag.

Wenn das Dunkel der Nacht noch von einer hell erstrahlten Mondsichel verziert ist und die Sterne wie kleine Löcher im Himmelszelt von eine Dimension dahinter träumen lassen, erkennt man meist nur an der ansteigenden Geräuschkulisse der Zivilisation, dass der „Alltag“ bereits angebrochen ist, während der „Sonn“-Tag noch auf sich warten lässt.

Für mich persönlich gibt es beinahe nichts Schöneres, als das faszinierende Spiel von Licht und Schatten, wenn sich die Sonne über dem Horizont ihre Daseinsberechtigung erschleicht. Sattes Orange, beinahe so intensiv wie bei ihrem Untergang, spendet einzelne Impulse, die Rauschschwaden ein Ambiente der Romantik in die ersten Stunden des anbrechenden Morgens hineinfließen lässt.

Während sich Nachtigallen tendenziell zur Ruhe begeben und Amseln,  sowie andere gefiederte Freunde erwachen, ist der Mensch oft das erste Mal wieder müde. Besonders im Winter, wo erst zwischen sieben und acht die Sonne ein konstruktives Sehen der nackten Wahrheiten ermöglicht.

Vorbei ist die Verklärung der mystischen Dunkelheit, die allem eine Patina der Nostalgie und Sehnsucht verleiht. Busbimmeln, Autohupen, Martinshorn und Radio, die Geräuschkulisse des Alltags verdrängt das Schöne wie amerikanische Siedler die Ureinwohner in eine Nische, in der es über kurz oder lang verschwindet. Auf geht es, arbeiten, damit ich nicht merke, was Routine und blinder Aktionismus aus meiner Welt machen.

Längst haben wir vergessen, dass die Welt ohne unser ganzes Getöse viel schöner ist, als wir sie uns mit Konsum je machen könnten. Denn wir ertragen in der Stille der Einsamkeit nicht die Vorwürfe, die uns die Determination unentwegt ins Hirn hämmert: Sei fleißig, geh arbeiten, streng dich an, quäl dich Du Sau! Nicht damit es einem selbst primär besser geht, sondern sekundär, denn unser Wohlbefinden hängt vollends an der Akzeptanz unseres Seins in der Reflexion unserer Sozialisation. Wenn der Nachbar mit meinem Lebenswandel d`accord ist, dann bin ich auch glücklich, und der Mann von Gegenüber sieht sofort, ob das Licht in Ihrer Küche ebenfalls eingeschaltet ist, wenn er sich zum Irrsinn des Niedriglohnjobs oder Dekadenzwirtschaftsakrobaten aufmacht.  

Natürlich würde auch er oder sie lieber noch im warmen Bette liegen, aber ihm fehlt der Mut dazu, weil auch er sich vom Drang der Zwangsneurose Produktivität nicht freimachen kann. Und weil es den Meisten so geht, überspannt ein negativer Habitus aus Neid und Frustration die morgendliche Ruhe der aufgehenden Sonne, statt von seligem Schnarchen individualisiert zu werden. Wir könnten uns auch dazu gratulieren, dass der ein oder andere doch tatsächlich einen gesunden Schlaf hat, der bis in die Mittagszeit reicht, aber nein, wenn ich aufstehen muss, dann muss das auch der Andere. Und nur wer immer aufsteht, darf als Ausnahme, die die Regel bestätigt, Sonntags bis acht schlafen, oder gar neun, natürlich nur, wenn man Samstags den Wagen gewaschen und mit der Familie bei Wall-Mart oder anderen Giganto-Supermarktketten die Vorratsräume gefüllt hat.  

Wie konnte es nur soweit kommen, dass es wichtiger ist, zu sehen, dass es sich einer schöner machen will, als dass er genießt was er ganz ohne den Zwang alles schon genießen könnte. Ausschlafen kostet nichts und macht so glücklich, aber man kann damit halt nur sehr schlecht prahlen, denn eines kann Schlafen leider nicht: ostentativ beeindrucken. Weil wir vorher mit geschlossenen Rollläden dafür gesorgt hat, dass keiner sieht, dass wir grad an uns denken und nicht an unseren Status in der Gesellschaft.  

Aber wir sind ja Menschen und können uns immer wieder neu erfinden. Morgen ist Samstag, vielleicht mal eine Gelegenheit sich nach dem ersten Erwachen einfach noch mal wieder umzudrehen oder wenigstens beim ersten Kaffee mit Blick in einen verträumten Himmel voller Sternen oder strahlender Sonne den Nachwuchs zu beneiden, wenn er bis in die Puppen im Bett liegen kann, statt ihn mit dem Staubsauger unter unserem kleinen Selbstwertgefühl leiden zu lassen, indem vor seinem Refugium zufällig mal wieder gesaugt werden muss.  

Bild: Pixabay

Text: adolf.muenstermann@gmail.com