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Briefwahl mit Macht

Bei der US-Präsidentschaftswahl stimmen wegen der Corona-Pandemie in diesem Jahr besonders viele Bürger per Post ab - das bringt viele Probleme mit sich. Antworten zu den wichtigsten Fragen:

Welche Bedeutung hat die Briefwahl?

Die Briefwahl nimmt in diesem Jahr wegen der Corona-Pandemie massiv zu: Viele Wähler schicken ihren Stimmzettel aus Sorge vor einer Ansteckung im Wahlbüro mit der Post. Bei der Präsidentschaftswahl 2016 wählten so rund 33 Millionen Menschen, das entspricht etwa jeder vierten abgegebenen Stimme. In diesem Jahr könnte sich die Zahl der Briefwähler wegen der Corona-Pandemie verdoppeln oder sogar verdreifachen.

Nach Angaben des US Elections Project der Universität von Florida haben in diesem Jahr schon mehr als 90 Millionen Wähler die Briefwahl beantragt. Demnach sind schon mehr als 50 Millionen ausgefüllte Stimmzettel bei den Wahlbehörden eingegangen. Anhänger der Demokratischen Partei von Kandidat Joe Biden wollen viel häufiger per Post abstimmen als Anhänger der Republikaner von Präsident Donald Trump.

Welche Schwierigkeiten gibt es?

Die Zunahme der Briefwahl ist eine gewaltige logistische Herausforderung. Die Wahl-Organisatoren müssen viel mehr Stimmzettel rechtzeitig verschicken und später auszählen als sonst. Verzögerungen könnten dazu führen, dass Millionen Stimmen nicht berücksichtigt werden. Im Sommer sorgten Vorwürfe gegen Präsident Donald Trump für Aufregung, er wolle die Post gezielt schwächen, um die Briefwahlen zu torpedieren.

Briefwahlen sind schon in normalen Jahren fehleranfällig. Bereits wegen kleiner Formfehler - etwa der Verwendung des falschen Umschlags - können Wahlzettel zurückgewiesen werden.

Ein weiteres Problem: Die Auszählung von Briefwahlstimmen ist besonders zeitaufwändig. Die Auszählung aller Stimmen könnte in manchen Bundesstaaten Tage oder gar Wochen dauern.

Während in vielen Bundesstaaten die Briefwahlbögen spätestens am 3. November im Wahllokal eingegangen sein müssen, reicht in anderen Bundesstaaten ein Poststempel vom Wahltag. Im wichtigen Pennsylvania etwa werden Briefwahlstimmen auch dann berücksichtigt, wenn sie bis zu drei Tage nach dem Wahltag eingegangen sind.

Eine Klage von Trumps Republikanern dagegen scheiterte kürzlich vor dem Obersten US-Gerichtshof. Auch für den ebenfalls umkämpften Bundesstaat North Carolina ließen die Verfassungsrichter eine Fristverlängerung zu - für Wisconsin aber nicht.

Droht Wahlbetrug in großem Stil?

Seit Monaten macht Trump Stimmung gegen Briefwahlen und behauptet, er solle durch massiven Wahlbetrug um die Wiederwahl gebracht werden. Behörden und Experten widersprechen energisch: Betrug bei Briefwahlen ist demnach äußerst selten. Der von Trump ernannte FBI-Chef Chris Wray stellte im September im US-Kongress klar, in der US-Geschichte habe es noch nie einen großangelegten landesweiten Wahlbetrug gegeben.

Zwar kommt es immer wieder zu Fehlern. So verschickten Wahlbehörden in den Bundesstaaten Ohio und New York zehntausende fehlerhafte Wahlzettel. Wahlbetrug ist das aber nicht.

Was bedeutet die Briefwahl für den Wahlabend?

Normalerweise steht der künftige US-Präsident im Verlauf des Wahlabends fest. In diesem Jahr könnte das wegen der großen Zahl der Briefwahlstimmen anders verlaufen. Gerade bei engen Rennen in Schlüsselstaaten könnte es dauern, bis der Sieger ermittelt wird. Bei Medien und Wählern ist also Geduld gefragt. Trump hat aber wiederholt gefordert, das Wahlergebnis müsse schon am Wahlabend feststehen.

Beobachter halten besonders ein Szenario für möglich: Weil besonders viele Wähler der Demokraten per Post abstimmen und nicht am 3. November ins Wahlbüro gehen wollen, könnten Nachwahlbefragungen zunächst auf einen Trump-Sieg hindeuten. Das könnte sich aber nach Auszählung aller Briefwahlzettel umkehren. Einen solchen Biden-Sieg wiederum dürfte Trump als Anlass für neue Betrugsvorwürfe nehmen.

Droht ein juristischer Albtraum?

Schon im Vorfeld des 3. November gab es hunderte Klagen zur Briefwahl. Trumps Republikaner sind vielerorts vor Gericht gezogen, um gegen die coronabedingte Ausweitung vorzugehen. Nach dem Wahltag dürfte es eine neue Klagewelle geben. Die Republikaner, aber auch die Demokraten, könnten in zahllosen Einzelfällen schon wegen technischer Kleinigkeiten das Wahlergebnis in Frage stellen.

Der Wahlausgang könnte letztlich vor dem Obersten Gerichtshof landen, der schon vor 20 Jahren die Präsidentschaftswahl zwischen George W. Bush und Al Gore entschied. Seit der Ernennung der Verfassungsrichterin Amy Coney Barrett haben konservative Richter am Supreme Court eine deutliche Mehrheit von sechs zu drei - ein strategischer Vorteil für Trump.

fs/cp