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Verratene Wahrheit

Wenn eine Frau für die man sterben könnte ermordet wird, aber nur Schüsse in die Luft gezeigt werden: Jean Seberg – der Film.


Beim Verbrennen, spüren 100 Millionen Nervenzellen den Schmerz. Im Anschluss beginnen siebeneinhalb Liter Blut zu kochen, um dann inmitten von Fettgewebe wie ein Bauchspeck auf dem Grill zu Kohle zu geraten. Seberg, der Film über das tragische Leben einer der an- und mutigsten Schauspielerin der Filmgeschichte, beginnt genau mit jenem Szenario. Aber die unfassbar einfühlsame Inszenierung macht es dem Zuschauer nicht so leicht, mit billigen Special-Effekten Grausamkeit zu imitieren. Das Widerlichste dieses tragischen Lebens findet im Kopf statt. Selten hat ein Film mich näher an den Herzinfarkt gebracht als 20 Zigaretten am Tag.

Wir alle kennen das Gefühl, wenn der Hunger quält und Durst das Gehirn in unerträgliche Schmerzen versetzt. Aber die meisten haben keine Ahnung davon, wie sehr der Idealismus die gleichen Symptome hervorrufen kann und ähnlich notwendig das Handeln motiviert. Jean Seberg schon. Vielleicht war diese mehr französisch als amerikanische Amazone, deshalb so begehrenswert, weil das Schönste an ihr die Seele war.

Ihre Qualitäten lagen nicht im kommerziellen Erfolg vieler Produktionen, oder koscherem Lebenswandel, sondern in ihrem unbedingten Willen, etwas Selbstverständliches zu unterstützen: die Black Panther Bewegung der 60er Jahre.

Selten waren die Kleider bunter und kürzer, die Whiskeygläser voller und der Hass größer als zu jener Zeit, in der George Floyd täglich unter dem Applaus der Allgemeinheit hingerichtet wurde. Und noch seltener waren Menschen wie Jean Seberg, die diese Ungerechtigkeit, diese Willkür nicht ertragen konnten.

Aber der Engel mit den kurzen blonden Haaren kämpfte, indem sie liebte und mit ihrer Schönheit jeden verzauberte. Wenn Jean Seberg die Augen schloss, war es, als fiele ein samtener Vorhang und wenn ihre zarten Lippen das obligatorische Genussmittel der damaligen Zeit liebkosten, hätte jeder vernünftige Mensch allein vor Dankbarkeit dem Moment beiwohnen zu können, wie Wachs zerfließen müssen. Aber was war und ist in den USA schon normal?

Im Weißen Haus haben seit jeher Hass, Neid und Angst regiert. Auch unter Obama. Und die größten Gefahren der Zivilisation waren nicht fatalistischer Kapitalismus oder Naturgewalten, sondern Kommunismus und der schwarze Mann. Vielleicht war es der Penisneid und vielleicht auch nur die Leere, die trotz Kaufrausch am Ende zurück bleibt, wenn man mit einem Glas Hochprozentigen in gemütlichen Ledersesseln des 0815 Wohnzimmers einer Vorstadt versinkt, ganz sicher war, dass man bei der Verfolgung und Diskriminierung von Fremden seit jeher gnadenlos zu Werke ging.

Und weil Jean Seberg diese Vorlieben nicht nur nicht teilte, sondern anprangerte, musste sie neutralisiert werden und zwar ganz. 1971 trieb man sie in einen Selbstmordversuch, der ihrer, zwei Tagen alten, Tochter Nina das Leben kostete und 1979 auch die so sensible Mutter in einem Fahrzeug in Paris ermordete. In der Presse nannte man das Selbstmord – Sie hat auf einer Pressekonferenz nach dem Tod der kleinen Nina, dessen Vater ein Farbiger war, passendere Worte gefunden: Verrat an der Wahrheit.

Noch immer verraten wir die Wahrheit beinahe täglich, wenn wir Kollateralschäden wie George Floyd auf einen Hashtag reduzieren, aber bei Beleidigungen im Bus die Schnauze halten – weil das wenigsten schön leise ist. Die Intensität unserer Solidarität ist abhängig von der Anzahl Likes im Social-Network und zu Zeiten Sebergs eine Randnotiz im rechtskonnotierten Käseblatt des Viertels.

 

Ich hab Ihnen zu wenig über den Film verraten? Das war Absicht, denn die Höllenqualen, die auf der Seele beim Zugrunde richten dieser Frau auf 35 mm hinterlassen werden, möchte ich Ihnen keinesfalls ersparen. Sofern sie in einem der hiesigen Kinos statt Jim Knopf oder Bibi und Tina mal wieder einen  vernünftiger Film genießen können. Ansonsten fragen Sie doch mal den unpolitischen Nachwuchs, wenn er von einer seiner Demos Heim kommt, ob er eine andere Idee hat. Allerdings könnte es sein, dass man dem Englischen mächtig sein sollte, denn in der Sprache der Täter muss man eine Lichtspielhausaufführung lange suchen.

 

P.S. Hier zum deutschen Trailer: https://www.youtube.com/watch?v=I07G81EhYNo

 

Bild und Text: adolf.muenstermann@gmail.com