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Ich schäme mich für mich

Mein Name ist Adolf und jeder hält das für einen schlechten Witz. Aber ab wann wird aus Witz ernst und warum?

Vor einigen Wochen habe auch ich mich, der sich für wirklich sehr tolerant hält zu einem rassistischen Kommentar hinreißen lassen und ich ging nach Hause und begann plötzlich zu weinen, weil ich mich so vor mir geschämt habe. Es war völlig unverständlich und fremd, was mich so weit getrieben hat, deshalb möchte ich darüber schreiben.

Rassismus ist so subtil, dass man ihn kaum spürt und deshalb funktioniert er. „Es ist ja nur ein Wort, ein blöder Spruch, stell dich nicht so an“, eine Bloggerin mit Migrationshintergrund nannte es „es ist als ginge man als Fan in ein Stadion und alle fragen den Betroffenen nur, warum man keinen Fan-Schal umhat“.

Meines Erachtens ist es der derzeitige Druck, die soziale Kälte und Angst, die alle lähmt. Wir haben so viel damit zu tun, dass wir überleben, dass wir keine Rücksicht mehr nehmen können. Wir haben so viel damit zu tun, auf uns und unser Leben aufzupassen, dass es für keinen anderen mehr reicht.

Neulich im Bus hat jemand einen Farbigen im vollen Bus so angeschnauzt, dass ich irgendwann aufsprang und ihn beschimpfte, dass er im Unrecht sei und die Fresse halten solle. Keiner hat reagiert. Weder vorher noch nachher, nur der Berg von einem Mann, der sich vor dem ihn beschimpfenden Winzling nicht behauptete, hat sich bedankt.  Dabei habe ich doch nur gemacht was man von jedem in einer aufgeklärten Gesellschaft erwarten kann.

Ich kenne Diskriminierung. Seit Kindestagen zieht man mich mit meinem Vornamen auf oder stellt ihn in den Fokus des Interesses, als kleiner Mann passiert das ähnlich und als Student mit über 40 ebenfalls. Erst vor einigen Tagen kürzte man mir das Bafög, weil ich angeblich keine Unterlagen eingereicht habe. Bevor es dazu kam, also während des Abiturs hat sogar eine vom Job-Center zu mir gesagt: Das deutsche Volk will nicht, dass Sie Abitur machen.

Das war bzw. ist gewiss kein böser Mensch, eigentlich und dennoch hat sie so etwas gesagt. Wahrscheinlich so wie ich vor wenigen Wochen im Supermarkt. Warum passen wir nicht besser auf uns auf? Warum sind wir so unsolidarisch? Warum lassen wir uns so von der Angst und der Wut übermannen? Warum reagieren wir so hilflos und realisieren nicht, dass Solidarität alles besser machen würde?

Wir müssen auf uns und unsere Gesellschaft aufpassen. Wir müssen leben, was Angela Merkel und so viele andere fordern. Darüber sprechen ist so einfach. Das Fordern von Humanität so leicht, aber im Moment sind wir nur schwache Subjekte, die sich in den Rest einer Comfort- Zone flüchten, weil sonst nichts zu bleiben scheint.

Der Farbige oder Schwule oder körperlich Eingeschränkte ist nicht das Problem, sondern unser Egoismus und die ständige Mahnung von Populisten, dass wir nur in einer kleinen Gemeinschaft dem Fremden widerstehen können. Dem angeblich Bösen, nur weil es fremd ist.

Aber die Bedrohung liegt nicht im fremden Gegenüber sondern in der abstrakten Angst, nicht mithalten zu können. Dem Anspruch, so perfekt zu sein, wie man von uns als“ Fastmaschinen“ erwartet. Wir sind es nicht. Wir alle nicht, also sollten wir auch nicht versuchen, wie dergleichen zu funktionieren, denn so wie eine Maschine nie Gefühle zeigen kann, werden wir nie fehlerfrei sein können.

Ich sag Ihnen ehrlich: Ich halte das nicht mehr aus. Ich schäme mich vor  mir und unserer Angst. Was grad passiert, geschah schon einmal. Auch damals waren die Menschen nicht böse, sonst hätten wir nicht einen solchen Wandel der Gesinnung tragen können. Wir wurden nicht perfekt, aber haben zumindest den Hass überwunden.

Wir müssen den Hass und die Angst überwinden. Ich hoffe, dass wir dafür nicht erst wieder gemeinsam am Boden liegen müssen, um dann wieder aufzustehen. Die Welt brennt, und unsere einzige Lösung ist, wegzurennen, statt drauf zu pinkeln. Das könnte jeder aber macht kaum einer.

Ich will eine bunte Gesellschaft, die sich bereichert, weil  es so viele interessante Perspektiven gibt.

Halten wir zusammen gegen diesen aufkeimenden und erstarkenden Hass. Horchen wir in uns rein. Wechseln wir die Perspektive von "Im Zweifel gegen den Angeklagten" zurück zu „in dubio pro reo“ Im Zweifel für den Angeklagten und das nicht nur bei Sonnenschein und klassischem Rassismus, sondern immer, wenn Ungerechtigkeit seine dreckige Fratze zeigt, die Zähne fletscht und uns trennt.

Bis morgen,

Text, Schamesröte und Bild: adolf.muenstermann@gmail.com

P.S. das Bild zeigt eine Anzeige, die ich als Werber für Burda Moden machte („Schnittmuster in allen Größen“). Ich wusste nicht, wie rassistisch sie gegen übergewichtige Menschen war. Die Idee war nicht gut, sie war unsagbar schlecht