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Immer weniger ausländische Berichterstatter in Belarus

Seit der umstrittenen Wiederwahl von Präsident Alexander Lukaschenkos wurde Dutzenden Korrespondentinnen und Korrespondenten die Akkreditierung entzogen, viele von ihnen wurden des Landes verwiesen und erhielten mehrjährige Einreiseverbote.


Reporter ohne Grenzen (RSF) kritisiert die systematische Behinderung ausländischer Berichterstatter und Berichterstatterinnen durch das belarussische Regime. Seit der umstrittenen Wiederwahl von Präsident Alexander Lukaschenkos wurde Dutzenden Korrespondentinnen und Korrespondenten die Akkreditierung entzogen, viele von ihnen wurden des Landes verwiesen und erhielten mehrjährige Einreiseverbote. Auch der RSF-Korrespondent und ARD-Producer Ilja Kusnezow verlor rückwirkend seine Akkreditierung, ihm droht ein Prozess wegen der Teilnahme an einer nicht genehmigten Versammlung. Das belarussische Außenministerium stellt seit Juli nur noch in den seltensten Fällen Akkreditierungen aus, die Zahl der ausländischen Medienschaffenden, die legal in Belarus arbeiten können, sinkt dadurch stetig.

„Das Regime von Alexander Lukaschenko muss ausländischen Medien die Berichterstattung aus Belarus ermöglichen und darf die Pandemie nicht zum Vorwand nehmen, keine Akkreditierungen mehr zu erteilen", sagte RSF-Geschäftsführer Christian Mihr. „Unsere Hochachtung gebührt den belarussischen Kolleginnen und Kollegen, die sich brutaler Polizeigewalt aussetzen und Haftstrafen riskieren, um die internationale Öffentlichkeit weiter darüber zu informieren, was in ihrem Land passiert. Techniker, Übersetzerinnen und Fahrer setzen sich großen Gefahren aus, wenn sie die wenigen verbliebenen ausländischen Korrespondentinnen und Korrespondenten bei der Berichterstattung unterstützen."

Doppelte Schwierigkeiten durch Corona-Pandemie

Akkreditierungen für Belarus zu erhalten oder bestehende zu verlängern, ist derzeit nahezu unmöglich. Seit Juli bearbeiten die belarussischen Behörden den Aussagen deutscher Korrespondentinnen und Korrespondenten zufolge Anträge auf Akkreditierungen nur noch in Ausnahmefällen. Auf Nachfragen heißt es, die zuständige Kommission könne wegen der Pandemie derzeit nicht tagen. Diverse deutsche Medien haben in den vergangenen Wochen vergeblich versucht, Akkreditierungen für ihre Reporterinnen und Reporter zu erhalten.

Die Corona-Pandemie erschwert die Lage zusätzlich: Deutsche Korrespondentinnen und Korrespondenten mit Sitz in Moskau, die bei den meisten Medien ebenfalls für die Berichterstattung über Belarus zuständig sind und über gültige Akkreditierungen verfügen, können wegen der Reisebeschränkungen derzeit nicht zwischen Russland und Belarus hin- und herpendeln. Wer einmal aus Russland ausgereist ist, kann möglicherweise für Monate nicht an seinen Arbeitsplatz in Moskau zurückkehren. Genauso wenig können die Moskauer Büros durch zusätzliche Kolleginnen und Kollegen aus Deutschland verstärkt werden, denn diese dürfen zurzeit ebenfalls nicht nach Russland einreisen. Aufgrund bilateraler Vereinbarungen ist dies lediglich Staatsbürgern und Staatsbürgerinnen aus Großbritannien, Tansania, der Türkei und der Schweiz möglich.

RSF-Korrespondent und ARD-Producer verliert Akkreditierung

Die ARD, die seit dem 3. August mit einem Kamerateam vor Ort in Belarus ist, schickte eine Woche nach der umstrittenen Wahl am 9. August Moskau-Korrespondent Jo Angerer nach Minsk – auch auf die Gefahr hin, dass er in näherer Zukunft nicht nach Moskau zurückkehren kann. Er verfügt noch bis Ende des Jahres über eine gültige Akkreditierung. Am 28. August wurden zwei russische ARD-Mitarbeiter sowie der belarussische ARD-Producer Ilja Kusnezow vor ihrem Hotel festgenommen und stundenlang auf einer Polizeiwache festgehalten. Ihre Akkreditierungen wurden rückwirkend für ungültig erklärt – um ihnen dann vorzuwerfen, sie hätten illegal in Belarus gearbeitet. Die russischen Mitarbeiter mussten das Land innerhalb weniger Stunden verlassen und erhielten ein Einreiseverbot für die kommenden fünf Jahre. Ilja Kusnezow, der zugleich RSF-Korrespondent in Belarus ist und seine Erfahrungen in einem Video schildert, droht ein Prozess wegen der Teilnahme an einer unerlaubten Veranstaltung.

Für das ZDF ist – wegen der Corona-Reisebeschränkungen – nur ein jeweils zweiköpfiges Team russischer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor Ort in Belarus. Sie versorgen Studioleiterin Phoebe Gaa und Korrespondent Christian Semm in Moskau mit Einschätzungen und Material. Das ZDF-Kamerateam wurde am Abend des 27. August von Sicherheitskräften in einen Minibus ohne Kennzeichen gezerrt und mehrere Stunden zur Überprüfung von Dokumenten in einer Sporthalle festgehalten. Auf gültige Papiere für einen Kollegen aus Deutschland, der als Korrespondent nach Belarus geschickt werden soll, wartet die Redaktion seit Wochen vergebens.

Einer der letzten Journalisten, der eine Arbeitserlaubnis für Belarus erhielt, war der Moskauer Büroleiter der Deutschen Presseagentur (dpa), Ulf Mauder. Seine Akkreditierung wurde am 1. Juli um ein Jahr verlängert. Mauder reiste, wie ZDF-Korrespondent Angerer, eine Woche nach der Wahl nach Minsk und berichtete danach mit kurzer Unterbrechung fünf Wochen lang aus Belarus. In Moskau ist die dpa mit einem vierköpfigen Team vertreten.

Festnahmen und Arreststrafen: einheimische Journalistinnen und Journalisten in Gefahr

Die Deutsche Welle verstärkte ihr Team in Belarus zeitweise durch den Leiter des DW-Studios in Kiew, Nicholas Connolly. Er ist seit dem 18. August in Minsk, hat allerdings nur noch bis Ende September eine gültige Akkreditierung. Darüber hinaus arbeiten drei belarussische Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in Belarus: zwei von ihnen in Minsk, ein weiterer berichtet aus den Regionen. Alexandra Boguslawskaja, Korrespondentin des russischsprachigen DW-Programms, wurde am 27. August am Rande einer Demonstration festgenommen. Sie berichtete, sie habe sechs Stunden in Gewahrsam verbracht – laut Gesetzt darf die Polizei Bürgerinnen und Bürger höchstens drei Stunden festhalten. Ihr Telefon erhielt Boguslawskaja erst am nächsten Tag zurück. Der freie Deutsche Welle-Mitarbeiter Alexander Burakow aus Mogiljow war wenige Tage vor der Wahl mit einer fadenscheinigen Begründung zu zehn Tagen Arrest verurteilt worden. Die Deutsche Welle bemüht sich seit dem Frühjahr vergeblich darum, zusätzliche Korrespondenten und Kameraleute für Belarus zu akkreditieren.


Auch die Moskau-Korrespondentin vom Schweizer Radio und Fernsehen (SRF), Luzia Tschirky, die aufgrund der Sonderregelungen zwischen Russland und der Schweiz als eine der wenigen deutschsprachigen Korrespondentinnen problemlos zwischen Moskau und Minsk pendeln könnte, erklärte gegenüber RSF, sie erhalte seit Monaten keine Antwort auf ihren Akkreditierungsantrag. Journalistinnen und Journalisten, die ohne Akkreditierung in Belarus arbeiten, riskieren nicht nur Ausweisung und mehrjährige Wiedereinreiseverbote, sondern setzen auch ihre einheimischen Helfer und Gesprächspartnerinnen erheblichen Gefahren aus.


Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht Belarus auf Platz 153 von 180 Staaten.