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Frankreichs Kampf gegen Corona

Am Freitagabend gemeldete Rekordzahl von mehr als 13.200 Neuinfektionen; Einführung neuer Speicheltests

Kurz vor Herbstbeginn hat Frankreich am Freitag eine Rekordzahl von mehr als 13.200 Corona-Neuinfektionen verzeichnet - die höchste Zahl seit dem Beginn der Pandemie. Erstmals seit Ende der Ausgangssperre im Mai nehmen auch der Druck auf die Krankenhäuser und die Zahl der Todesfälle wieder spürbar zu. Nicht nur Mediziner haben Zweifel, dass die Regierung die Lage in den Griff bekommt:

Massive Kritik an der Teststrategie

Viele Virologen und Mediziner rügen die Teststrategie in Frankreich: In dem Land mit 67 Millionen Einwohnern wurden zuletzt rund 1,2 Millionen Corona-Tests pro Woche gemacht, das ist ein Höchststand seit Beginn der Pandemie. Allerdings sind die Labore damit überlastet: Testwillige müssen stundenlang Schlange stehen, die Ergebnisse lassen bis zu eine Woche auf sich warten.

Experten fordern, Verdachtsfälle schneller zu isolieren, um die Infektionsketten zu durchbrechen. Derzeit sei die Lage bei den präzisen PCR-Tests "katastrophal", sagte etwa die Epidemiologin Catherine Hill.

Um die Probleme mit den langen Verzögerungen bei den Tests abzubauen, genehmigten die Gesundheitsbehörden am Freitag den Einsatz von schnelleren Speicheltests - allerdings nur für Menschen mit Corona-Symptomen. Bei Menschen ohne Symptomen seien diese Tests nicht zuverlässig genug.

Mangelnde Quarantäne-Disziplin

Der wissenschaftliche Corona-Beirat in Frankreich hat kürzlich ein "Scheitern" der Quarantäne-Regeln festgestellt. Auch Gesundheitsminister Olivier Véran räumte ein, die meisten Franzosen hielten sich nicht an die Selbstisolation - oft aus Angst vor Arbeitsplatzverlust. Um für größere Akzeptanz zu sorgen, hat die Regierung die Quarantänezeit deshalb von 14 auf sieben Tage verkürzt.

Vertane Chance

Der deutsche Virologe Alexander Kekulé sagte diese Woche in seinem MDR-Podcast, das Virus sei in Europa außer Kontrolle: "Ich glaube, dass weder Frankreich noch Spanien das kurzfristig wieder eingefangen bekommen", betonte er. Nach seiner Ansicht hätten früher Corona-Schnelltests eingeführt werden müssen. Die französische Regierung lässt diese derzeit validieren und verspricht den Einsatz ab Oktober.

Mangelndes Vertrauen in die französische Regierung

In Frankreich haben rund 62 Prozent der Bürger in der Corona-Pandemie "kein Vertrauen" in die Regierung, wie eine aktuelle Umfrage des Instituts Elabe ergab. Fast jeder zweite (47 Prozent) kritisierte, die Regierung treffe "nicht genug Vorsorge" gegen die Pandemie. Rund 20 Prozent meinten, es werde zu viel getan, nur 33 Prozent hielten die Maßnahmen für genau richtig.

Missachtung von Hygieneregeln

Die Regierung beklagt ihrerseits eine nachlassende Sorgfalt der Bürger bei den Hygieneregeln. Laut Befragungen der nationalen Gesundheitsbehörde befolgen die Franzosen Ratschläge wie regelmäßiges Händewaschen inzwischen deutlich seltener als auf dem Höhepunkt der Krise Anfang April. 

Ende August sagten etwa nur 54 Prozent, sie hielten den Mindestabstand von einem Meter ein, vor vier Monaten waren es noch fast 85 Prozent. Auf Wangenkuss und Händeschütteln verzichten nur noch 66 Prozent statt zuvor 92 Prozent.

Offene Grenzen trotz Rekordinfektionen

Ungeachtet der vielen Neuinfektionen hält Frankreich seine Grenzen zu anderen EU-Ländern offen. Eine Reisewarnung gibt es nicht einmal für den besonders betroffenen Nachbarn Spanien. Nur wer nach Großbritannien reist, muss anschließend in Quarantäne. Damit reagierte Paris auf eine entsprechende Verordnung aus London.

Neuer Lockdown als letzte Maßnahme

Neue Ausgangsbeschränkungen will Frankreich möglichst vermeiden. Auch vor lokalen Lockdowns in besonders betroffenen Städten wie Marseille, Bordeaux, Nizza oder Paris schrecken die Behörden bisher noch zurück. Stattdessen setzen sie vorerst auf Versammlungsverbote, Sperrstunden für Bars oder eingeschränkte Besuche in Altenheimen.

lob/mid/cp

Stephanie LOB / © Agence France-Presse