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Kommunalwahl 2020 - Die Grünen

Am 13.09.2020 wählt Münster. Wir haben mit den Parteien über ihre Ziele gesprochen, nur „Die Partei“ und die „AfD“ waren nicht verfügbar. Heute im stadt4.0-Gespräch: Peter Todeskino, Spitzenkandidat der Partei Bündnis 90/Die Grünen.

stadt4.0: Was sind die drängendsten Probleme, mit denen sich der Rat nach der Wahl befassen muss?

Todeskino: Der Rat muss sich damit beschäftigen, mehr bezahlbaren Wohnraum in Münster zu schaffen. Das ist eine große soziale Herausforderung mit vielen problembehafteten Baustellen. Bezahlbarer Wohnraum ist für viele Menschen, auch hier in unserer sehr wohlhabenden Stadt, existenzbedrohend. Daher ist das eine sehr wichtige Aufgabe, die nicht ausschließlich an den Rat adressiert ist, sondern auch an die Verwaltung. Die muss  besser angeführt in die Gänge kommen und Wohnbauflächen, die vom Rat bereits zur Verfügung gestellt wurden, entwickeln. Ich sehe da kein Unvermögen der Mitarbeiter*innen, sondern ein klares Leitungs- und Führungsproblem innerhalb der Verwaltung. Ich würde gerne  das Ruder übernehmen und die Prozesse innerhalb der Verwaltung deutlich verbessern. 

stadt4.0: Sie spielen auf die Kasernenfläche an?

Todeskino: Ich spreche nicht nur die Kasernen an. Ich meine vor allem die Verwaltungsverfahren innerhalb der Verwaltung, die mit Planen und Bauen zu tun haben. Das kann ich als ehemaliger Stadtbaurat der Landeshauptstadt Kiel beurteilen. Das dauert mir alles viel zu lange. Ich habe den Eindruck, dass dort zu sehr in konzeptionelle Tiefen gegangen wird, anstatt verwaltungsmäßige Kernerarbeit zu verrichten, nämlich schnell Planungs- und Genehmigungsverfahren zu bewerkstelligen. Diese Klagen höre ich aus der Wirtschaft und aus der Verwaltung selbst und entnehme sie häufig der medialen Berichterstattung.

Ein weiteres drängendes  Problem, ist der Klimaschutz. Daran hängen natürlich noch viele andere Detailprobleme. Zum Beispiel unsere Verkehrspolitik. Die muss darauf ausgerichtet sein, jetzt ernsthaft mit der Verkehrswende anzufangen. Dabei muss auch die Verhaltensorientierung von Menschen problematisiert werden. Zum Beispiel der Verzicht, mit dem Auto in die Altstadt zu fahren. Wir wollen das Projekt autofreie Altstadt innerhalb von fünf Jahren finalisieren. Nicht nur weil es den Klimaschutz betrifft, sondern auch weil es die Aufenthaltsqualität in der Altstadt erhöht. Zudem wollen wir die Klimaneutralität unserer Stadt bis 2030 bewerkstelligen. Das Maßnahmenpaket, das die Verwaltung bisher vorgelegt hat, muss meines Erachtens immer wieder weiterentwickelt werden. Wir müssen nicht mehr palavern, wir müssen machen.

stadt4.0: Es ist bei der Wahl mit einem starken Abschneiden von Union und Grünen zu rechnen, möglicherweise gibt es auch wieder eine Koalition mit der CDU. Ist eine autofreie Altstadt mit der Union überhaupt zu machen?

Todeskino: Das ist schon ein Lackmustest für uns dafür, mit wem wir zukünftig zusammenarbeiten wollen. Das ist ein Kernthema unseres Wahlkampfes. Und das ist auch ein Kernthema der Stadtbevölkerung. Ich denke, wenn wir ein breites Mandat dafür kriegen, dann darf keine andere Partei davor die Augen verschließen und muss sich mit uns in diesen Prozess begeben, um innerhalb dieser fünf Jahre aktiv die autofreie Altstadt umzusetzen. Ich glaube schon, dass wir sehr sorgfältig hingucken, wer bei diesem Thema offen ist.

stadt4.0: Wir haben in Münster das Konzept der sozialen Wohnungsnutzung, wonach dreißig Prozent sozialer Wohnraum entstehen muss. Da wird jedoch unterschieden zwischen dem Innenstadtbereich und dem Außenstadtbereich. Investoren können bei zwei Wohnprojekten, eines im Innenstadtbereich und eines im Außenstadtbereich, einfach sechzig Prozent der Sozialwohnungen im Außenstadtbereich schaffen. Viele empfinden das als ungerecht.

Todeskino: Wenn es so wäre, wäre es falsch. Im Gegenteil, wir wollen den sozialen Wohnungsanteil weiter erhöhen. Nicht nur 30, sondern 60 Prozent, wenn es um die Vermarktung von städtischen Grundstücken geht. Aber ich finde wir sollten auch über eine andere Kultur nachdenken. Und zwar muss unsere kommunale Wohnbaugesellschaft in den Stand gesetzt werden, noch mehr sozialen Wohnungsbau zu organisieren. Nur kommunaler Besitz sichert auch langfristig den sozialen Wohnungsbestand. Da ist die Quote der Wohn- und Stadtbau gemessen am gesamtstädtischen Wohnungsbestand viel zu gering. Die muss deutlich erhöht werden.

stadt4.0: Wie hoch sollte die Quote Ihrer Meinung nach denn sein?

Todeskino: Hier sollten wir bei Neuaufschließungen schnell auf über ein Drittel aller Wohnungen kommen, um den Sozialwohnungsmarkt zu stabilisieren. Ich sage das deshalb, weil ich aus meiner vorherigen Tätigkeit in Kiel andere Erfahrungen mitbringe. Anfang der 2000er Jahre hat die SPD dort den gesamten kommunalen Wohnungsbestand verkauft. Da sind in Folge echte „Heuschrecken“ am Start gewesen. Dadurch fehlte der Kommune jeglicher Handlungsspielraum im sozialen Wohnungsbau. Das hat mich gelehrt, dass es dringend einer stark aufgestellten Wohnungsbaugesellschaft in kommunaler Hand bedarf. Ein anderer Ansatz ist der genossenschaftliche. Den finde ich auch sehr interessant. Münsteraner*innen investieren in eigene Wohngenossenschaften oder engagieren sich in Baugemeinschaften. 

stadt4.0: Im Moment werden einige Großprojekte in Münster zum Teil sehr emotional diskutiert. Wie stehen Sie zum Hafen-Markt und Musik-Campus?

Todeskino: Oder zum Preußenstadion? Hier hat Schwarzgrün 40 Millionen zur Verfügung gestellt. Daran halten wir fest und lassen Preußen Münster jetzt nicht im Stich. Wir sagen aber schon, dass in diesen 40 Millionen die Mobilitätsstation und der DB-Haltepunkt mit drin sein müssen. Als Kompromiss habe ich den Vorschlag in die Diskussion eingebracht, bei den 40 Millionen zu bleiben und zu versuchen, davon möglichst viel in den Stadionbau zu stecken und Funktionen umzuschichten. Die Mobilitätsstation sollen von WBI und Stadtwerken im städtischen Gesamtverkehrskonzept übernommen werden. Dort können wir an spielfreien Tagen Verkehr von außen abfangen und auf Busse, Bahn  und andere Verkehrsträger überleiten. Beim Haltepunkt müssen wir an Fördertöpfe ran. 

Den Musik-Campus sehen wir von Herrn Lewe als absolut falsch eingestielt. Der Oberbürgermeister und der Präsident der WWU versuchen in „Starker-Männer-Manier“, das Projekt durchzuschieben. Das halte ich für absolut falsch. Bei dieser Investitionssumme muss am Ende ein Ratsbürgerbescheid stehen. Sonst fühlen sich die Bürger nicht mitgenommen. Beim Musik-Campus sind noch so viele Fragen offen. Wo soll mit welchen Inhalten gebaut werden? Ist es überhaupt richtig, mit der Uni zusammen zu bauen? Wie gehen wir mit der freien Szene um? Alle diese Fragen sind nicht beantwortet. Im Grunde genommen, hat Herr Lewe alle verschiedenen Interessensgruppen  unberücksichtigt gelassen. Sie werden noch aufeinander prallen. Das ist keine kluge Bürgerbeteiligung.  

stadt4.0: Der OB spricht da ja gerne von „Leuchtturm-Projekten“. Gibt es denn einen grünen Alternativ-Vorschlag und wenn ja, wie sieht der aus?

Todeskino: Wir können uns einen Musik-Campus durchaus auch vorstellen. Aber natürlich gibt es auch Strömungen bei uns, die das komplett ablehnen und zum Beispiel den Hörster Platz ins Spiel bringen. Ich persönlich würde das gerne in einem bürgerschaftlichen Kontext ausdiskutieren. Da ich keinen der gegenwärtig zur Debatte stehenden Standorte favorisiere, würde ich den Prozess als Oberbürgermeister unvoreingenommen neu aufgreifen und versuchen den Riss in der Bevölkerung zu kitten.

Den Hafenmarkt lehnen wir ab. Dieses Projekt wird nach meiner Auffassung vor Gericht keine Chance haben. Da hat man „verschlimmbessert“, aber die SPD und die CDU klopfen sich auf die Brust und sind der Meinung, sie hätten jetzt den großen Wurf geschafft. Das haben sie jedoch nicht. Sie haben die Bevölkerung nicht mitgenommen und die Chance verpasst, ein ordentliches Projekt zusammen mit der Bevölkerung aufzusetzen. Zudem glaube ich, dass sie der Vorhabenträgerin auch keinen Gefallen getan haben. Die Verkehrsprobleme sind wieder nicht gelöst. Der Hafenmarkt ist ein städtebaulicher Irrtum. So ein großer Einzelhandel ist deplatziert.

stadt4.0: Sie sagen Münster soll bis 2030 klimaneutral werden. Das ist sehr ambitioniert, aber ist das auch realistisch?

Todeskino: Das ist ambitioniert. Da haben Sie recht, aber das muss realistisch sein, weil wir keine Alternative haben. Deswegen müssen wir intensiv daran arbeiten. Wir machen auch weitere Vorschläge, wie wir zumindest für Münster Klimathemen immer wieder neu justieren können. Da spielt auch das genossenschaftliche Thema wieder eine Rolle. Erinnern wir uns daran: die Stadtwerke haben zwei Windkraftprojekte aufgesetzt und haben diese über eine bürgerschaftliche Finanzierung realisiert, was sehr gut angenommen wurde. Daher denke ich, dass die Stadt  mehr Windkraft und mehr PV (Photovoltaik) über Energiegenossenschaften finanzieren und umsetzen kann. Ich denke wir haben unser PV-Potential überhaupt noch nicht ausgenutzt. Viel mehr Eigentümer müssen motiviert werden, PV-Anlagen auf ihren Dächern zu montieren. Hier glaube ich, dass es wichtig ist, eine Win-Win-Situation  für alle Beteiligten und das Klima herzustellen. Mit Energiegenossenschaften Münster regenerativ autark zu machen ist das Ziel.

stadt4.0: Die Union setzt ja auf Wasserstofftechnologie. Das Wort findet man im Wahlprogramm der Grünen kein einziges Mal. Ist das also keine Option für Sie?

Todeskino: Ich persönlich bin ein großer Verfechter dieser Technologie. Ich habe jedoch neulich mit einigen Mitgliedern von Scientists-for-Fu ture gesprochen, die sich mit Wasserstofftechnologien beschäftigen. Die sagen mir, dass der Wirkungsgrad der Brennstoffzelle gegenüber einer Batterie geringer  ist. Gleichwohl müssen wir am Ende des Tages in großtechnischen Anlagen oder Großfahrzeugen die Wasserstofftechnologien fördern. Wir müssen sie bei Bussen und Bahnen einsetzen. Da sehe ich eine große Chance.

stadt4.0: Wir haben ja seit längerem die E-Scooter der Firma „Tier“ in Münster. Jetzt kommt das Unternehmen „Lime“ mit weiteren 1.000 E-Scootern hinzu. Der zunächst angepriesene positive Klimaeffekt hält sich ersten Untersuchungen zur Folge in Grenzen. Viele Bürger sind zudem genervt davon, dass die Roller überall herumstehen. Muss man da als Stadt regulierend eingreifen?

Todeskino: Ja, das denke ich schon. Fakt ist, die Scooter werden zum Teil wild abgestellt und das ist manchmal schon auch ein Ärgernis. Aber trotzdem sollten wir Micro-Mobility-Formen fördern, da sie in der Nahmobilität eine umweltfreundliche Alternative darstellen können. Ich habe keine grundsätzliche Abneigung gegen diese Form der StadtMobilität. Ich glaube aber fest daran, dass wir für das Parken der Scooter Ordnung brauchen und das die Verwaltung da auch mal durchgreifen muss. Es gibt aber auch noch eine andere Alternative, die ich im Moment sehr favorisiere und das ist Tretty. Das ist ein Gründerprojekt hier in Münster, die mit großen Tretrollern, sprich mit Muskelkraft betrieben werden. Am Ende des Tages sind muskelbetriebene Roller besser für die Gesundheit und das Klima.

Die E-Scooter werden hier in Münster ja ohnehin etwas belächelt, in Münster wird geradelt.

stadt4.0: Oberbürgermeister Lewe bekommt ja gute Unterstützung von bekannten Bundespolitikern wie Verkehrsminister Andreas Scheuer. Wo ist denn die grüne Polit-Prominenz?

Todeskino: Zunächst möchte ich sagen, wir brauchen eigentlich keine Unterstützung mehr, wenn die CDU Andreas Scheuer einlädt (lacht). Ich habe mich ja schon in einer Pressemitteilung dazu geäußert und gesagt, wer Andreas Scheuer einlädt, der verdient auch nichts anderes als Häme und Spott. Herr Scheuer bekommt verkehrspolitisch leider gar nichts auf die Kette. Die Auftritte der CDU-Prominenz geraten ohnehin zur Peinlichkeit und endeten zum Beispiel mit der Entlassung des Polizeipräsidenten.

Unsere Prominenz war mit Claudia Roth bereits da. Wir waren gemeinsam am Hawerkamp und haben dort über Kulturangelegenheiten gesprochen. Annalena Baerbock war am 4. September auf dem Stubengassenplatz. Zudem haben wir mit Cem Özdemir eine Video-Konferenz zum Thema B-51-Ausbau gemacht. Dazu gab es auch eine Doppelveranstaltung mit Oliver Krischer (GRÜNE), zum Thema B51. Da wo es sinnvoll ist, haben wir auch Unterstützung erhalten. Aber ich sage Ihnen auch, wir sind hier so gut aufgestellt, dass wir keine massenhafte Unterstützung brauchen. 

stadt4.0: Zum Thema B-51, die Pendler die dort jeden Tag im Stopp and go stehen befürworten sicherlich einen Ausbau, glauben Sie nicht?

Todeskino: Dann sollten diejenigen, die dort im Stau stehen einen Moment darüber nachdenken, warum sie dort stehen und ob sie nicht besser mit einem anderen Verkehrsmittel diese Strecke bewerkstelligen können. Wir wollen den Ausbau der parallelen Gleisstrecke fördern. Es kann doch nicht sein, dass dort eine Bimmelbahn an vier unbeschrankten Bahnübergängen laut hupend vorbeifährt wie im 19. Jahrhundert. Das wollen wir nicht mehr. Wir wollen eine gute Velo-Route haben. Wir wollen gute Busverbindungen haben. Aber keinesfalls eine autobahnähnliche Straße, die noch mehr Menschen animiert, dort mit dem Auto zu fahren. Die Straßenbauverwaltung prognostiziert, dass wir ein Mehr von 30 Prozent Autoverkehr auf dieser Strecke erzeugen werden. Das ist doch völlig aus der Zeit gefallen und geradezu anachronistisch. Gerade auch mit dem Klimawandel vor Augen. Wir müssen die Gelder jetzt umschichten. Rein in den Schienenverkehr und den ÖPNV und in die Velo-Route.

stadt4.0: Abschließend würden wir gerne wissen, wie Sie Münster hinsichtlich der Digitalisierung zukunftsfähig machen wollen?

Todeskino: Digitalisierung wird bei mir zur Chefsache. So wie es im Moment läuft, kann es nicht weitergehen. Dass sich die Stadt hier auf die Brust klopft und sagt: „Wir werden bis 2030 einen Digitalisierungsgrad mit schnellem Internet für die gesamte Stadt hinbekommen“. Das dauert mir viel zu lange. Erstens brauchen wir eine schnellere Umsetzung, und zwar sowohl für die Wirtschaft und Forschung als auch für die Bürger. Wir brauchen eine bessere Ausstattung an den Schulen mit Endgeräten. Das ist mir alles viel zu spärlich und da hat uns Corona gerade auch noch einmal unter dem Blickwinkel der sozial gerechten Verteilung gezeigt, dass Schulen und Universitäten und andere Bildungsträger vernünftig ausgestattet werden müssen, damit digitale Fähigkeiten von allen erlernt und angewendet werden können.

stadt4.0: Vielen Dank für das Gespräch.