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Kommunalwahl 2020 - Die Linke

Am 13.09.2020 wählt Münster. Wir haben mit den Parteien über ihre Ziele gesprochen, nur „Die Partei“ und die „AfD“ waren nicht verfügbar. Heute im Stadt4.0-Gespräch, Ulrich Thoden, Spitzenkandidat der Partei Die Linke.


stadt4.0: Herr Thoden, was sind aus Ihrer Sicht die drängendsten Problem, mit denen sich der Rat nach der Wahl beschäftigen muss?

 

Thoden: Das ist relativ schnell zu beantworten. Da ist einerseits die Wohnungsnot, bzw. der Mangel an bezahlbaren Wohnungen. Wir hatten in den letzten Jahren erhebliche Mietsteigerungen und explodierende Immobilienpreise in der stetig wachsenden Stadt Münster. Die Bebauung im Umland ist auch unter Klimaschutzaspekten ökologischer Unfug weil man dadurch nur noch weiteren Pendelverkehr auslöst.

 

stadt4.0: Was gerade mit der Bebauung der Bundesstraße zwischen Münster und Telgte geschieht?

 

Thoden: Genau. Das ist eine Maßnahme, die wir ablehnen. Wir stellen uns vor, dass in Münster neuer Wohnraum geschaffen werden muss. Das wird nicht allein durch Nachverdichtung gehen. Man wird im Zweifelsfall einen großen Stadtteil bauen, oder mehrere kleinere andocken müssen. Wichtig ist für uns bei der Auswahl des Platzes dass eine bereits vorhandene und gute Nahverkehrsanbindung existiert oder reaktiviert werden kann. Handorf könnte man ausbauen, wenn man dort den alten Haltepunkt wieder reaktiviert. Es gibt dort verschiedene Möglichkeiten. Ganz entscheidend für uns ist aber auch, wer da baut. Die Erfahrung hat uns gezeigt, dass die Vergabe von Baugrund an Investoren zwar dazu führt, dass gebaut wird, aber zum einen werden dann meisten hochpreisige Objekte gebaut, die in Münster auch Absatz finden aber für die breite Masse nicht erschwinglich sind. Dort ist die Wohnungsnot nun mal jedoch am größten. Zum anderen führt es dazu, dass man als Stadt kaum Möglichkeiten hat, da einzugreifen.

Wir haben zwar das Konzept der sozialen Wohnungsnutzung Münster, wonach dreißig Prozent sozialer Wohnraum entstehen muss. Da wird jedoch unterschieden zwischen dem Innenstadtbereich und den Außenstadttbereich. Als Investor kann ich bei zwei Wohnprojekten – eines im Innenstadtbereich und eines im Außenstadtbereich – Sechzig Prozent der Sozialwohnungen im Außenstadtbereich schaffen. Damit verlagert man den billigen Wohnungsraum nach draußen. Das ist nicht der Effekt, den wir haben wollen.

Wir wollen einen Wohnungsbau in öffentlicher Hand. Als man in den 1960er und 1970er Jahren viel öffentlich geförderten Wohnungsraum bereitgestellt hat, hatten die Wohnungen eine Sozialbindungszeit von 15 – 20 Jahren. Diese Wohnungen sind jetzt alle rausgefallen. Zusätzlich hatte man damals noch große kommunale oder landeseigene Wohnungsunternehmen, etwa die LEG. Als in den 1990er Jahren viele Politiker eine Neoliberale Denkweise vertraten und gesagt haben, Private können das besser, wurde hier seitens des Staates viel privatisiert. Wir haben uns damals schon dagegen gestellt. Ganz augenscheinlich ist es so, dass Private Akteure natürlich Profitinteressen haben. Nur ist natürlich klar, dass der Profit beim Wohnungsbau nur durch hohe Mieten kommen kann oder durch einen Mangel an Sanierungen. Beides geht zu Lasten der Menschen, die dort wohnen. Wir wollen mit der Wohn+Stadtbau als städtische Tochtergesellschaft den öffentlichen Wohnraum verbreitern. Da haben wir im Moment eine erhebliche Gewinnabführung an den städtischen Haushalt. Das soll im Unternehmen behalten werden, damit dort der Altbestand restauriert werden und auch neuer Wohnraum geschaffen werden kann.

 

stadt4.0: Das sehen Sie dort als Hauptinstrument?

 

Thoden: Genau! Daneben wird man auch Baugebiete ausweisen müssen, das sehe ich aber erst in zweiter Linie. Kurzfristig können beim Wohnen Dinge greifen wie zum Beispiel Mietendeckelung. Man kann Milieuschutzsatzungen erlassen. Solche Verdrängungseffekte haben wir sehr stark im Hansaviertel, wo wir noch eine sehr gemischte Bevölkerung haben. Nach und nach wird es aber teurer und diese Gentrifizierungsprozesse sehen wir ja auch gerade am nördlichen Ende am Bahnhof, etwa wo jetzt das Hansator entsteht. Der Investor Deilmann hat auch schon in dem Bogen auf der Ostseite des Hauptbahnhofs, wo früher viele Nachtbars ansässig waren mehrere Häuser erworben und der wird natürlich das ganze entsprechend aufhübschen wollen. In dem Zusammenhang werden dort Verdrängungseffekte entstehen. Übrigens auch für die dort ansässige Drogenszene. Man merkt jetzt schon, dass der Polizeipräsident dort mit sehr harter Hand durchgreift. Härter als sein Vorgänger. Da drängt sich der Verdacht auf, dass die Leute möglicherweise dort vertrieben werden sollen um die Gegend attraktiv zu machen für weitere Investoren. Vor allem wenn sich der Polizeipräsident mit dem Landesinnenminister und dem CDU Kreisvorsitzenden, der ja aus der Immobilienbranche kommt, ablichten lässt. Mittelfristig kann man Baugebieten ausweisen wobei man da natürlichen einen stärkeren Anteil an sozialem Wohnungsbau haben muss. Und vor allem nicht mehr diese Mogelpackung, in dem der soziale Wohnungsbau in die Außenstadtbereiche verlagert wird. Langfristig eben die Wohn+Stadtbau, da kann man natürlich immer nur das investieren was man in dem jeweiligen Jahr an Gewinn erwirtschaftet hat. Hier unterscheiden wir uns von den anderen Parteien, weil die ausschließlich auf den Markt setzten.

       

stadt4.0: Gegenwärtig werden in Münster mehrerer Großprojekte diskutiert. Zum Beispiel Hafenmarkt oder Musik-Campus. Wie stehen Sie zu diesen Projekten?

 

Thoden: Wir sind gegen beide Projekte, jedoch aus sehr unterschiedlichen Gründen. Der Hafenmarkt wird aus unserer Sicht dort überhaupt nicht gebraucht. Die Menschen die dort wohnen sehen das auch so. Darüber hinaus kann das vom Verkehr her überhaupt nicht geleistet werden. Auf einem ganz anderen Blatt stehen Prestige-Projekte wie etwa der Musik-Campus. Man geht hier von Kosten bis zu 160 Million Euro aus. Bei Baukostensteigerungen von 4,5 Prozent im Jahr in Münster hat man, wenn über zehn Jahre gebaut wird, nochmal über 60 Prozent mehr. Das ist im Moment schlecht zu kalkulieren was das dann am Ende wirklich kosten wird. 160 Millionen Euro ist da eher der untere Bereich. Wir haben aber in Münster seit Jahren das Problem, das wir kurz vor der Haushaltssicherung stehen, das heißt dann wäre der Haushalt genehmigungspflichtig. Und man würde eine Aufsicht bekommen durch die Bezirksregierung. Und die Pflichtigen Aufgaben, wie etwa Schulerhaltung, also das was die Kommune laut Gesetz leisten muss, das würde natürlich dann weiter finanziert werden, aber alle freiwilligen Aufgaben u.a. auch der Kulturbereich fallen dann komplett weg.

 

stadt4.0: Das ist da die Hauptsorge?

 

Thoden: Ja. Münster hat einen Gesamthaushalt von 1,3 Milliarden Euro bei 750 Millionen Euro Schulden. Im letzten Jahr hat die schwarz-grüne Rathausmehrheit nochmal kräftig mit der Gießkanne Geld verteilt weil es auch der letzte Haushalt vor der Wahl war, vermute ich. Da hat man obwohl man kurz vor der Haushaltssicherung stand an bestimmten Stellen die eigene Klientel nochmal gut bedient oder es versucht. Das holt uns jetzt ein, da wir durch Corona wahrscheinlich 100 Millionen Mehrausgaben bzw. Mindereinnahmen haben werden. Angesichts dieser Gemengelage sehe ich nicht, wo das Geld herkommen soll für solche Prestige-Projekte oder Leuchtturm-Projekte. OB Lewe wurde mit dem Satz zitiert, Leuchtturm-Projekte braucht man nur dort wo es dunkel sei. In Münster sei es aber nicht dunkel. Er ist aber derjenige, der immer von diesen Projekten geschwärmt hat. Das sind natürlich „nice-to-have“ Sachen aber es sind nicht die essentiellen Dinge, die wir hier brauchen. Eine andere Sache ist, dass wir uns dafür stark machen, den ÖPNV nicht nur auszubauen, mit besseren Taktungen und besseren Anbindungen, Ausbau von Ringlinien, sondern auch einen gänzlich kostenlosen ÖPNV wollen. Das geht natürlich nicht zum Nulltarif. Da sehen wir das Geld besser angelegt als in diesen Leuchtturm-Projekten.

 

stadt4.0: Haben sich die Prioritäten in Ihrem Wahlprogramm durch die Corona-Pandemie verschoben?

 

Thoden: Nein. Das was die Pandemie offen gelegt hat ist das grundsätzliche Ungleichgewicht, die wir in der Gesellschaft haben. Es hat sich ja gezeigt, dass unterschiedlichen Personengruppen sehr unterschiedlich geholfen wurde. Unterschiedlich schnell und in unterschiedlicher Höhe. Die Lufthansa bekommt einen sieben Milliarden Kredit, obwohl sie auch Steueroasen nutzt und Personal abbaut. Das ging sehr schnell. Da hat man alle Hebel in Bewegung gesetzt. An anderer Stelle ging das nicht so schnell. Das Pflegepersonal sollte Boni kommen, bis heute ist da nix passiert. Und genau das sehen wir ganz oft in der Gesellschaft. Diejenigen, die die eigentliche Last tragen werden finanziell nicht derart berücksichtigt. Das gilt auch für andere wie beispielsweise SupermarktmitarbeiterInnen.

 

stadt4.0: Viele Befürchten im Herbst eine zweite Corona-Welle und einen erneuten Lockdown. Gerade die Gastronomen sind besorgt. Wie kann man der Gastro in Münster da unter die Arme greifen?

 

Thoden: Die Gastronomie macht im Herbst ja immer einen kleinen Knick weil die Außengastronomie wegfällt. Da geht sowieso was zurück. Mit Blick auf die studentischen Arbeitsplätze muss man ohne hin von Landesseite her denken und auch über Bafög-Instrumente rangehen. Wenn StudentInnnen arbeiten müssen, um sich ihr Studium zu finanzieren, dann zeigt das ja schon, das in der Förderpriorität etwas falsch ist. Völlig unabhängig von Corona. Das ist ja so schon Ungerecht, wenn ein Student oder Studentin von Zuhause genug Geld bekommt und nicht arbeiten gehen muss und dann mehr Zeit zur Verfügung hat für sein Studium als jemand der 

dann halt arbeiten gehen muss und deswegen dann möglicherweise länger studieren muss. Das ist ja ein grundsätzliches Problem.

 

stadt4.0: Abschließend die Frage, wie möchten Sie Münster zukunftsfähig machen? Stichwort Digitalisierung.

 

Thoden: Ich komme ja selbst aus dem Schulbereich. Ich bin Lehrer im Nachbarkreis Steinfurt am Berufskolleg. Wir haben sehr lange gebraucht, bis wir Schulen tatsächlich vernünftig Digital ausstatten. Vor allem die Union hat in den letzten Jahren die Notwendigkeit bei der digitale Ausstattung nicht hinreichend gesehen. Es erschien, als sei das im Merkel-Fahrwasser „das Internet ist für uns alle Neuland“ nicht besonders priorisiert worden. Was mich am aktuellen Wahlkampf etwas ärgert ist die Tatsache, dass alle Parteien außer uns groß mit der Digitalisierung werben. Einerseits weil wir das für eine Selbstverständlichkeit halten und weil andererseits die Digitalisierung der Schulen bereits beschlossen ist. In der letzten Ratssitzung hat es den entsprechenden Beschluss zum Medienentwicklungsplan gegeben. Die Fördermittel des Bundes werden jetzt im Herbst freigegeben. Sprich, egal wer die Wahlen gewinnen wird, egal wer der nächste Bürgermeister sein wird, die Schulen in Münster werden gut ausgestattet sein. Man muss jedoch dazu sagen, das die Versäumnisse in den vergangenen Jahren eklatant sind. Man hat in Münster eher versucht, die Räumlichkeiten gut Instand zu halten, im Verhältnis zu anderen Kreisen sind wir da auch recht gut aufgestellt. Auf der anderen Seite hat man dann allerdings die digitale Ausstattung sehr vernachlässigt.

 

Vielen Dank für das Gespräch.

     

Foto: Tobias von Laubenthal