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Bandersnatch von Tante Lisbeth

Vor einigen Jahren wurde ein Leonardo da Vinci für 400 Millionen Dollar verkauft. Das war natürlich schon herausragend, aber auch andere Werke erreichen spielend schwindelerregende Preise. Woran liegt das? Was macht Kunst oder die Werke von Kreativen so begehrenswert?

Zum einen kann man sagen, dass die Preise ganz banal von Angebot und Nachfrage abhängen. Das heißt, dass die Werke von einem Johannes Vermeer, von dem beispielsweise das Bild des „Mädchen[s] mit dem Perlenohr[(]gehänge“/ring) stammt, nur ca. 15 Bilder gemalt hat. Gut, wenn Tante Lisbeth mit fünf einen Löwenzahn, mit zehn Papa und mit zwölf dreizehn-mal ihren Hamster „Bandersnatch“ zu Papier brachte, hat sie auch 15 Werke vollbracht, aber bekommt keine 50 oder mehr Millionen für ein jeweiliges.

Hier kommt natürlich auch das Talent ins Spiel und das Glück, dass es erkannt wird. Aber wie sieht ein außergewöhnliches Talent aus, was unterscheidet Fleiß von Talent? Am augenscheinlichsten ist meist, dass der Künstler mit Talent nicht auf seine Arbeit verzichtet, egal wie die Umstände sind. Meist werden diese sogar genutzt und in den Schaffensprozess integriert. Jackson Pollock gestaltete seine Actionpaintings deshalb mit Baumarktlacken, weil sie so günstig waren.

Der Talentierte hat aber vor allem eines, einen besonderen Blick oder eine besondere Interpretation seiner Sicht auf die Welt, oder was auch immer, das es vorher so noch nicht gegeben hat. Picasso vereinte diverse Dimensionen auf eine Zweidimensionale Leinwand, also, Po und Brüste der Angebeteten, je nach Priorität der visuellen Begierde. Goyas typische Art zu malen zeichnete sich dadurch aus, dass er das Schwarze mit Weiß kontrastierte und nicht umgekehrt. Er malte die Stirn in die Haare und nicht die Haarbedeckung über die Gesichtspartie.

Und so gibt es unendlich viele Eigenheiten, die sich mehr oder weniger offensichtlich in Werken widerspiegeln. Obligatorische Regeln wie der goldene Schnitt oder künstlerisches Handwerk müssen dabei nicht eingehalten werden, aber wenn man dagegen verstößt, muss es eine Aussage haben und zudem hat es sich bewährt, immer nur ein kleines Detail zu verändern, nicht mehr, exakt deshalb, war das Pissoir im Museum Kunst, weil es Sehgewohnheiten ändert. Die meisten waren schon einmal in einem Museum und ebenfalls nicht wenige, haben schon einmal ein Keramikurinal für Männer, zumindest bildtechnisch vor Augen gehabt. Das Besondere war die Verbindung. So wie bei dem Mädchen mit dem Herzballon, von Banksy, das sich im Moment des Verkaufszuschlages im eigenen Rahmen schredderte. Das gab es noch nie. Das ist das Ereignis Kunst, das unvergessliche Moment, jener Augenblick, der es schafft, die Welt des Betrachters um eine weitere Facette zu bereichern. Es muss nicht schön sein, es muss einen Mehrwert haben, der mit Nichten immer schön, zierend oder pompööööös sein muss. Er soll irritieren. Wenn Neo Rauch im Museum of Modern Art mit einem Bild vertreten ist, das eine scheinbare Dorfgemeinschaft beim Gemeindereinigen darstellt, dann zeigt dies eigentlich einen Gurillakriegsplatz, der für die Bewohner so „normal“ geworden ist, als wären Gewehre Besen.

Eine Kunstakademie kann dabei helfen, die richtige Kontakte zu knüpfen, billig Materialien abzustauben und natürlich auch, sich handwerklich weiter zu entwickeln, aber das Talent zum Zwang der kreativen Gestaltung, kann kein Feuer der Welt entfachen. Das muss im Künstler brennen und ihm ist egal, ob die Bilder geliebt oder gehasst werden, nicht weil es nicht schöner wäre, wenn sie verkauft würden oder anders Anerkennung erhielten, sondern weil er nicht anders kann, als sich und seine Welt künstlerisch auszudrücken.

Wenn nun, Talent, die richtigen Kontakte und Ideen und alles zusammen kommt, das so seltene ideale Moment für Künstler eintritt, wie damals die neue Leipziger Schule kurz nach der Wende, dann werden Marken geboren, Stars, Synonyme der bewunderungswürdigen eigenen Perpektivdarstellungen. Weil man bei ihren Werken nicht wegschauen kann, egal ob Penis oder Ballonhund. Und wenn das viele denken, wird ein Objekt zur Begierde, es treten mögliche zukünftige Besitzer in den Bieterstreit, der ab einer gewissen Summe, weil öffentlich ausgetragen, direkt nach dem Abschluss des Geschäftes zu einer Kapitalanlage wird, die, wie ein Haus oder Boot, gehegt und gepflegt werden muss, was ebenfalls nicht kostengünstig ist.

Der Künstler hat nur was davon, wenn er seinen Ruhm noch erlebt. Van Gogh war dies nicht vergönnt und Goya konnte taub wie Beethoven den Applaus seiner Bewunderer nicht mehr vernehmen, aber allen gemein war, dass ihnen die Kunst über alles ging, dass sie nicht aufhören konnten, zu schaffen, egal wie.

Der erste, oder zumindest einer der ersten, war Albrecht Dürer. Er hat bereits sehr früh seine Bilder drucken lassen und vervielfältigt. Bis in die 20er Jahre des letzten Jahrhunderts war das Bildnis seines Nilpferdes in deutschen Biologiebüchern abgebildet, obwohl Herr Dürer nie eines gesehen hat und sein Werk nur auf Beschreibungen aus einer Zeitung stammen und somit frappierende Fehler im Detail offenbarten, wenn man denn mal ein Nilpferd zu Gesicht bekam.

Seine selbstverliebten Bildnisse in feiner Robe, waren nicht überall gern gesehen, aber seine betenden Hände sind mittlerweile sogar eines der meisttätowierten Motive der Welt.

Was ist also Kunst, vielleicht ein anderes Wort für das Glück, das ganz vieles zusammen kommt, aber vielleicht ist es auch das Bild von Tante Lisbeths Hamster, die damals noch Elisabeth genannt wurde, weil es zumindest für die Eltern, ein unbezahlbares Ereignis ist, das sich soo nie wiederholen wird, aber auf einem kleinen Stück Papier für immer festgehalten werden kann. Obwohl, wenn das Bild viele Generationen später schon wieder aus den gleichen oder ganz anderen Gründen für gut oder schlecht gehalten werden könnte. Aber nie wieder mit so viel innerer Anteilnahme wie von Papa und Mama von Tante Lisbeth.

 

Bild und Text: adolf.muenstermann@gmail.com