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Verunkunstete Kunst

Es gibt wohl wenige Worte, die in verschiedenster Art und Weise bei der Interpretation zweckentfremdet wurden wie dieses: Kultur. Da ist die Rede von Leitkultur, Kultur Protegé oder Kultur Schaffender. Kultivieren wir für einen Moment die Frage nach der Identität der Kultur:


Kultur bezeichnet im weitesten Sinne alles, was der Mensch selbstgestaltend hervorbringt – im Unterschied zu der von ihm nicht geschaffenen und nicht veränderten Natur.

 

Kultur ist also alles, was wir mit unseren eigenen Händen geschaffen haben. Das verdeutlicht, wenn man den Begriff weit fasst, dass beinahe jeder seine Handlungsberechtigung mit dem Etikett Kultur versehen darf. Aber die Glorifizierung der Darstellung einer Variante von Handlungsmöglichkeit als einzige Kultur oder gar einzig richtige zu titulieren ist nicht nur unpräzise, sondern falsch. Zudem ist, wenn bei Kultur die Maxime auf „machbar“ und nicht auf „am meisten gemacht" liegt, die Formulierung Leitkultur ein Unwort. Es gibt vielleicht eine Handlungsweise, die häufiger als andere praktiziert wird, daraus aber automatisch den Schluss zu ziehen, dass man sich an dieser orientieren müsse, ist kein guter Ratschlag. Das sehen wir spätestens oder zumindest am deutlichsten im 3. Reich: Da wurde die "Mainstreamvariante" von einer Haltung zu Überzeugungen auf ein solches Podest gehoben, dass man sie als Leitkultur bezeichnete. Aber eine Leitkultur, wenn das Wort überhaupt eine Daseinsberechtigung hat, ist eine Kultur, die so klug ist, dass es nicht falsch sein kann, sein Leben daran zu orientieren und nicht die Kultur, an die sich viele aus Demut halten.

 

Zudem wir bei Schlagworten mit einer solchen Meinungswucht oft den dialektischen Charakter vergessen. Leitkultur, egal in welchem Sinne ich sie interpretiere, bedeutet immer, dass sie eine unter vielen ist, die sich in ständigen Bewährungsproben gegenüber anderen zu behaupten hat, denn nur so besteht die Möglichkeit, immer der perfekten Handlungsmaxime unter allen Wandlungen der Zeit folgen zu können.

 

Somit ist nicht nur die Ausrottung anderer Kultur(-Gruppen) eine Disqualifizierung des Begriffes selbst, sondern auch die Negierung jeglicher Darstellungsform alles anderem. Entartete Kunst (neben der absurden Bezeichnung, die schon synonym für die Fehlinterpretation von Kunst steht, wird hier zudem eine Redundanz eingeführt die zeigt, dass mit der Benutzung dieses Begriffs nicht die Zielgruppe der Intellektuellen angesprochen werden sollte. Warum nur? „Verunkunstete- Kunst“. Aufs Griechische zurückgeführt, wo Kunst „techne“ heißt und für eine der Vernunft Begründete Handlungsweise steht: Die veruntechnikte Technik. Auch wenn die Angewandte Technik etwas zu verkomplizieren scheint, „vertechnikt“ sie die Technik der Kunst nicht, sondern spezialisiert und macht sie nur komplexer, aber sie macht das Vorherige nicht zu einer weniger komplexen Handlungsweise).

 

Kunst ist und bleibt Kultur, unabhängig von den Präferenzen Einzelner. Alles, was auf dem Handlungsakt eines Menschen beruht und nicht unabhängig, also ohne sein zutun realisierbar ist, ist Kultur, vom Nägel schneiden bis Picasso, Mozart oder, ich sag es nur ungern: Heidi Klum.

All das repräsentiert, wie man sich zu einer jeweiligen Zeit dergestalt verhalten hat, indem man das von der Natur zur Verfügung gestellte kreativ nutzte. Ob hilfreich, vielleicht sogar für mehr Menschen als nur den Schöpfer, oder völlig sinn-frei (was schon deshalb nicht möglich ist, da alles was ist zumindest so viel Sinn haben muss, als dass es zum Dasein berechtigt ist).

Bild: Adolf Ulf Muenstermann
 

Wenn der Mensch erschafft, im Sinne von einer Handlung, die nicht den Ur-Zweck-Prinzipien der Qualität einer Sache inhärent sind, ist er kreativ und schafft darüber Kultur. Selbst wenn sie in der Nase popeln, denn weder Finger noch Popel sind ausschließlich für diese Handlung geschaffen worden. Wenn sie allerdings irgendwohin laufen, ist das keine Kultur, auch nicht wie, denn Sie sind körperlich an die Notwendigkeit gebunden worden, um zu überleben sich fortzubewegen. Deshalb haben sie Beine. Benutzen sie diese folglich, um zum Pornokino zu gehen, betreiben sie keine Kultur, nicht einmal beim Konsum der Produkte, betreiben sie Kultur, denn Ihre Augen sind zum Sehen gemacht. Die Frage ist nun, ob das, was auf dem Bildschirm geschieht Kultur ist.

Nun, theoretisch nein, denn nirgendwo steht geschrieben, dass man (aphrodisia – der leidenschaftliche Liebesakt) nur zur Kindeszeugung ausführen darf, aber die Handlungsmaxime des Produzenten, den Zeugungsakt zweier Menschen auf den Unterhaltungswert eines Dritten zu reduzieren, ist Kultur, denn dafür, war er von der Ur-Idee her gesehen, bestimmt nicht „gedacht“.

 

Deshalb und nur deshalb stammt Kunst auch von Können: In der Lage seine Möglichkeiten in der Nutzung der Natur zu sehen, die eigentlich nicht vorgesehen waren. Die Frage, die bleibt ist: Ist es klug, etwas zu machen, das dafür nicht vorgesehen war, auch wenn es im Idealfall schön ist, oder macht es nicht vielleicht alles noch dramatischer, weil Kunst auch immer die persönliche Meinung zu den genutzten Naturelementen darstellt und somit den Diskurs allein schon über den Missbrauch zumindest legitimiert. Aber da wir als soziale Wesen über unseren Geist quasi dazu verpflichtet sind, unsere eigene Evolution voranzutreiben indem wir von anderen der Spezies zu lernen, werden wir, selbst wenn es nicht vorgesehen war, immer auch auf untypische Nutzungsweisen von Qualitäten stoßen, die sich schon deshalb legitimieren, weil sie möglich sind, und weil wir ja gar nicht anders können, als den „Kopf zu benutzen“ auch wenn man das oft nicht merkt.

 

Wir sind also zu Kunst verpflichtet, also sollten wir diesen Umstand mit Demut respektieren und bei allem erst einmal schauen, ob es nicht wenigstens dazu von Nutzen ist, mich in meiner anders gestalteten Überzeugung zu stärken.

 

Bild: Adolf Ulf Muenstermann