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„Ich hätte so Lust auf…“

Ja, worauf denn? Auf das, woran jetzt die meisten denken, Autofahren, reich zu sein oder ganz profan: essen? Tugenden, Geld, Liebe, es gibt so viele Wege zur und der Lust, dass wir vielleicht die Lust mal wieder auf den Boden der Tatsachen holen sollten.

Lust, das Wort allein impliziert so viele Facetten, dass es gar nicht genug Worte gibt, um sie alle würdig zu beschreiben. Und wenn so etwas der Fall ist, dann werde ich immer besonders hellhörig. Denn Lust, wenn sie doch der oder zumindest einer der höchsten Werte oder gar für die Hedonisten der Lebenszweck ist, wir sie genau verorten und kategorisieren können, aber spontan nicht in der Lage sind, sie exakt zu beschreiben, dann könnte das vielleicht daran liegen, dass die Lust gar nicht im Kopf zu Hause ist.

Aber natürlich, werden jetzt einige Belesene posaunen. Die Wissenschaft hat nachgewiesen, dass bei Lustempfinden Hormone ausgestoßen werden, meist Dopamin, aber bei Liebe auch Oxytozin oder bei Todesangst Adrenalin. Aber wie wir an diesen Beispielen schon sehen, gibt es relativ wenige Hormone für seeeehr viele Lüste. Könnte es also sein, dass das Ursprüngliche an der Lust vielleicht gar nicht ein Spaßfaktor, sondern ein anderes, vielleicht sogar gegenteiliges Moment darstellt?

Probieren wir es aus: wenn ich Hunger habe, dann habe ich Lust auf Essen, und wenn ich Durst habe, dann habe ich Lust auf Trinken. In diesen Fällen und in weiteren körperlichen, die ich hier ja nicht nennen darf, könnte man für die Lust auch „das Verlangen“ setzen; das Verlangen, ein Defizit zu kompensieren. „Ich bin leer“, signalisieren da die Neuronen im Magen dem Organismus und schlussendlich dem Gehirn, und dieses schlussfolgert bei jenem Signal in Verbindung mit dem obligatorischen Knurren: „Hunger“. Wenn wir dann essen, oder gegessen haben, dann strömt das Dopamin, sind wir glücklich, geht es uns gut. Warum? Weil unsere Existenz von keinem Defizit bedroht wird.

Nun ist unser Hirn lernfähig und begreift schnell, immer wenn ein Defizit herrscht, oder besser, ich denke, dass es ein Defizit in der Person (mehr als die Körperlichkeit) gibt, signalisiere ich dies. Vorsicht, dein Leben ist in Gefahr, da stimmt etwas nicht. Und immer, wenn dieses Defizit dem Nichts ausgemergelt wurde, belohne ich mich mit Dopamin oder ähnlichem.

Ist Ihnen auch aufgefallen, dass ich viel zu oft Defizit und kompensieren sage? Ersetzen sie doch einfach durch „Lust“. Das klingt doch gleich viel besser. Und genau das hat unser Gehirn auch gemacht.

Die Lust ist also doch, wie Epikur sagt, das Ende des Mangels. Und dieses Ende des Mangels hat unser schlaues Gehirn auf alles adaptiert, was ihm vor die Sinne kommt.

Die Lust ist also eigentlich ein Warnsignal, ein Martinshorn und keine Äolsharfe, die uns ein Liedchen fiedelt. Und dennoch verbinden wir es unweigerlich mit dem Ultimativen Gut.

Vielleicht liegt es daran, dass uns die Sterblichkeit von der Natur mit einem Glücksgefühl versüßt wird. Man sagt, dass der Übergang zum Tod ein glückseliger in das Licht sei. Und wenn wir über unsere Maßen gelaufen sind, quasi, um unser Leben, wir also dem Tode nah sind, haben wir ein sogenanntes „runners high“, die Ausströmungen von Hormonen überlagern und durchkreuzen sich, ja hindern sich gegenseitig daran, sodass man bei absoluter Überbelastung, wenn man sich also dem Tode nahe befindet, glücklich ist.

Das kann doch dann nur heißen, dass das Gehirn gelernt hat, dass der Ausschuss des Hormons, der auftritt, wenn Lebensgefahr droht, sich gut anfühlt.

Wenn wir genug gegessen haben, dann kommt das Dopamin, ganz nach dem Motto: Halt Stopp! Ich hab‘ genug! Es kommt also kein Lustgefühl, sondern ein Signal, das andeutet, wenn du jetzt nicht aufhörst, wird es gefährlich (für Dein Leben). Wenn es uns also schlecht geht, suchen wir nach etwas, das sich noch potenzieren lässt und belohnen uns, wenn wir dies geschafft haben. Das ist ganz nah an der eigentlichen Lust, aber eben nicht das Gleiche. Der Lateiner würde sagen „quasi“ als ob. Aber das Gehirn ist ja nicht böse oder gar blöd, es verarbeitet nur alle weiteren Impulse, die es immer zu bedenken gibt und hilft sich dabei mit Adaptionen. Ähnlich stressig, ähnliches Signal. Und in einer Welt, die vom Sexualdispositiv machttechnisch determiniert ist, will heißen, dass die Macht über den Erhaltungstrieb des Lebens kultiviert, geht es immer und überall um unser Leben, und die Zeit tickt immer mit. Am Bahnhof, Flughafen, in der Stadt, auf dem Handy, dem Rechner, Tablett. Überall: Tick. Tick. Tick. Da bekommt man doch glatt Lust auf…. 

Bild: adolf Ulf Muenstermann