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Die Seele

Was ist das, was von uns allen so mystifiziert unser Ich ausmacht? Betrachtet man den Körper zuvorderst als das, was es erscheint, nämlich als Ansammlung von Organen, Körperteilen und Nervenzelle, so mag man kaum glauben, dass sich etwas Unphysisches wie die Seele darin verbergen kann.

Aber irgendwie muss es doch zwingend damit verbunden sein, denn nur über das Körperliche bekommt die Seele zumindest beim ersten mal eine Möglichkeit, sich zu entfalten. Denn was nützt einem das Sein, wenn es in keinerlei Weise Einfluss auf das Jetzt nehmen könnte; und wozu wäre sie nützlich, wenn sie zur bloßen Daseinsberechtigung ohne Einfluss existieren könnte. Wenn ihr das Unkörperliche genügt, warum zwingt es sie oder wird sie in etwas Körperliches gezwungen.

Versuchen wir uns dieser Tatsache einmal völlig frei von theologischen Gedanken zu nähern, womit ich nicht impliziere, dass das alles zwingend so sein muss, erreichen wir irgendwann in den Anfängen den Punkt, dass die Seele zumindest in irgendeiner Weise mit dem Körper interagieren muss, und am wahrscheinlichsten ist zuvorderst der Geist, denn auch er regiert beinahe magisch das Körperliche. Und darüber hinaus ist er, der Geist, zwingend von Nöten, um die Seele überhaupt denken zu können, geschweige denn zu reflektieren.

Betrachten wir also zuerst den Geist etwas genauer. Unser Gehirn besteht aus unendlich vielen Gehirnzellen, sogenannten Neuronen, die über nanoskopisch kleine elektrische Impulse ein Denken generieren, das unser körperliches Handeln zumindest beeinflusst.

Aber was denkt unser Gehirn, was ist das Benzin, das den Motor Geist zum Laufen bringt, und wohin soll er uns führen? Pragmatisch betrachtet, verarbeitet unser Geist ausschließlich das, was ihm unsere fünf Sinne zur Verfügung stellt. Das was wir riechen, fühlen, hören und sehen. All das zu  verarbeiten „macht aber nur Sinn“, wenn es in irgendeiner Weise konstruktiv ist. Und konstruktiv kann nur heißen, in irgendeiner Weise irgendetwas verlängern, verbessern oder kontrollierbar machen. Das Gehirn muss also, bevor es der Hand sagt: „Greif zu“, eine Wertung vornehmen, die sich auf oben genannte Kriterien bezieht, um somit eines davon, oder einem nicht genannten selbiger Kategorie, zu dienen.

Wir entwickeln folglich im Laufe unseres Lebens eine Wertung zu allen sinnlichen Erfahrungen, zumindest dergestalt, dass es hilfreich oder weniger hilfreich für eines der oben genannten Ziele ist.

Wir denken also immer mehr zwischen den Wertungen einzelner sinnlicher Erfahrungen und lassen sie geistig miteinander interagieren. Wenn etwas braun und nicht ganz fest ist, wir sehen, dass es aus dem After entfleucht und riechen, dass es stinkt, denken wir zu wissen, dass es Scheiße, also Kot ist. Nach einem ersten Geschmackstest, der wahrscheinlich erst nach dem ersten Geschmack von Muttermilch oder einem pendant anzusiedeln ist, also weniger schmackhaft, schlussfolgern wir, dass Scheiße vielleicht essbar, aber Muttermilch definitiv vorzuziehen ist. Uns werden natürlich im Laufe unseres Lebens eine Menge Dinge „in den Sinn kommen“ die bei einem Hungergefühl dem Kot vorzuziehen sind, aber das versucht nur den ursprünglichen Gedankengang zu verwässern.

Was am Ende bei jedem Haufen denkt: Das esse ich lieber nicht, ist unser Ich, denn ich, in diesem Fall Adi Münstermann, esse das nicht und dieses Ich muss in irgendeiner Verbindung zu dem stehen, was wir Seele nennen, denn gleichzeitig behaupten nicht wenige, dass dieses Ich das physische Leben überlebt.

Warum sollte es also etwas geben, dass unser Ich gestaltet, wenn es sogar für die einfachsten Schlussfolgerungen die Erfahrung braucht? Denn, zumindest ich kenne viele, die als Kleinkind vor der Herausforderung Kot zu probieren nicht zurückgeschreckt sind; und das sind meistens keine dummen Menschen, oder wie man in diesem Sinne sagen würde, weniger beseelten.

Wenn das Volumen der Seele zu Beginn unseres Lebens also unterschiedlich groß sein könnte und diese Eingangsvoraussetzung nicht notwendig für ein erfolgreiches Leben sein muss (was immer das im Einzelnen bedeuten mag), warum sollte es dann das Wichtigste unseres Seins darstellen? Ja uns gar überdauern?

Provokant könnte man formulieren: Selbst, wenn es etwas, wie Seele gibt, das unseren Körper im Sein heimsucht, so muss es etwas ziemlich profanes, also Unwichtiges in Bezug auf unser (körperliches) Leben handeln. Legen wir aber zugrunde, dass die Natur nichts ohne Grund macht, also alles, was es hervorbringt, zumindest den Idealismus eines Zweckes verfolgt, wäre die Seele schon deshalb nicht existent, weil sie in keinerlei Weise konstruktiv ist.

Aber ich höre bereits die Aufschreie: Die Seele ist doch nichts Profanes! Zumindest gibt sie unserem Ich das Ich, wenn wir es auch nicht von vorneherein erkennen.

Wieder ein interessanter Punkt: Wir erkennen uns erst zwischen dem zweiten und dritten Lebensjahr als Ich. Warum dauert das so lange, wenn wir doch von vorneherein Ich sind? Wäre es nicht klüger, dass wir beim ersten Blick in den Spiegel wüssten: Hey, dieser gutaussehende Junge bin Ich?!

Klüger vielleicht, aber möglicherweise nicht notwendig, das sei zugegeben. Wir sollten uns aber darauf einigen können, dass all das, was wir mögen und nicht mögen oder gar hassen, um nur einige Beispiele zu nennen, sich zuallererst im Geist abspielt oder zumindest stattfindet. Unsere Seele bedient sich ergo der Gedanken des Geistes. Wir oder das Ich ist somit eine Ansammlung von Wertungen, wie es Nietzsche auch postuliert hat. Unser Gehirn entscheidet, aufgrund unserer Erfahrungen (und dazu gehören auch die Erfahrungen anderer, sofern wir sie sinnlich wahrgenommen haben, beispielsweise gehört) und das „Wissen“ was daraus entsteht nennen wir Seele, denn sie allein entscheidet, wenn man den Begriff eng fasst, was uns ausmacht, was wir sind, und das ist kurz gesagt eine Ansammlung von Erfahrungen, die in uns Wertungen generiert, die wir für unser physisches Leben anwenden.

Ein letzter Einwand möge gestattet sein, denn wenn wir denken können, dass es etwas gibt, dann gibt es das doch auch, sonst würden wir es doch nicht denken müssen. Das stimmt insofern, dass wir denken, dass wir ein Bein haben, und wir haben eines, das können wir überprüfen, mit Hilfe unserer Sinne. Aber wir denken doch weit mehr, beispielsweise die Seele und diese können wir nicht anfassen, sehen, hören oder fühlen, wobei das Fühlen an dieser Stelle vielleicht eine unglückliche Vokabel ist, denn wir können ja auch etwas fühlen, das unabhängig von der Haptik funktioniert, Liebe beispielsweise. Aber wir können uns auch ein Einhorn denken und das gibt es nicht, zumindest hat man bis heute noch keines entdeckt und die Erfahrung, auf die wir dabei bauen, umfasst immerhin weit mehr als 300.000 Jahre Menschheitsgeschichte. Warum erdreisten wir uns aber zu werten, dass es eine Seele, die wir nie sinnlich wahrgenommen haben, gibt und ein Einhorn nicht. Die Seele hat auch noch keiner gesehen?

Ich persönlich neige dazu, dass die Seele etwas wie die Liebe ist. Sie existiert wie Gott, als geistiger Steigbügel für das Wohlbefinden, denn wie die Liebe und Gott ist die Seele etwas, das physisch nicht existent ist, aber über die Kraft der Imagination geistige Reaktionen auslöst, die für unser physisches Sein in irgendeiner Weise konstruktiv hilfreich ist, auch wenn wir dabei nicht selten falsch liegen. Es reicht, dass wir so viel Vertrauen in dieses Gedankenexperiment legen, dass es unser weiteres Denken signifikant beeinflussen kann. Nicht mehr und nicht weniger. Insofern gibt es eine Seele, aber nur als mystifizierte Gestaltung geistiger Prozesse, die unser Ich ausmachen, indem sie uns mit Wertungen versorgt, die unser Leben leiten.

Ob das allerdings unser physisches Sein überdauert, ist meines Erachtens mehr als fraglich, denn wozu?

Vielleicht ist sie nur eine Mutation, die irgendwann konstruktiv sein kann oder sich bald als überflüssig herausstellt, aber dann ist doch die Frage: Überdauern all die Seelen, die sich als unkonstruktiv herausgestellt haben und wenn nicht, was passiert dann mit ihnen?

Und auf den Einwand, ob wir nur noch nicht die Sinnigkeit der Seele verstehen: wozu könnte sie uns irgendwann dienen, wenn sie uns erstens schon so oft im Weg stand (siehe falscher Idealismus etc.) und zweitens: Warum Seele, wenn doch eigentlich ein Gehirn zum Überleben reicht. Und am Ende, so glauben wir spätestens seit Charles Darwin zu wissen: „Survival of the fittest“ ist das Credo der Natur, also der, der sich durchsetzt, hat die größte Chance zu überleben, und wenn wir ehrlich sind, steht uns die Seele häufiger im Weg, als dass sie uns Türen öffnet. Was aber nicht heißt, dass es in meinen Augen nicht mehr als wichtig ist, beseelt zu handeln, denn Moral garantiert uns vielleicht kein langes oder längeres Leben, aber „ein sanftes Ruhekissen“ und ein harmonischeres Miteinander, was für den Ausbau und die Nutzung von Wissen über den Austausch verschiedener Erfahrungen mehr als dienlich ist.

Aber Letzteres scheinen wir derzeit sukzessive zu verlieren, also würde es mich nicht wundern, wenn Sie meine Meinung auch in der Ansicht des Daseins einer Seele nicht teilen.

Bild: Adolf Ulf Muenstermann