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Ein Herz kann man nicht überreden

Über die Gewalt und das Jetzt und warum wir immer noch nicht auf sie verzichten (können).

In seinen Ausführungen „animalis“ beschäftigte sich Aristoteles (384 -322 v. Chr.) mit dem Gedanken, wie das Böse in die Welt gekommen sei. Er fragte sich, ob es das Böse gäbe, wenn es allen gut ginge und stellte am Beispiel des Reihers fest, dass dieser grundlos von der Böshaftigkeit des Adlers regelmäßig heimgesucht würde. Angeblich, so schrieb es der griechische Philosoph, weine der Reiher aus Überwindung vor dem notwendigen Geschlechtsakt blutige Tränen beim Vollzug, ein unbeschreibliches Gleichnis für die Aufopferung zur Schöpfung und der Aufgabe seinen Teil dazu beizutragen. Der reihe würde sogar im Kampf ums Überleben seiner Spezies über sich hinauswachsen und den Adler besiegen können.
 

Der Kirchenvater Hironymos hat dieses Gleichnis, das auch im Nibelungenlied im Leid der Kriemhild über den Tod des geliebten Siegried durch die Hand Hagens aufgegriffen, um anhand dessen die Relativierung von Rache als Konsequenz von ungerechtfertigter Gewalt thematisiert.

An anderer Stelle wird von Platon in den Niederschriften der Gespräche seines Lehrers Sokrates der Liebesakt, der Aphrodisia, als gewalttätiger Akt beschrieben. So willige die Frau dem Eindringen des Mannes bereitwillig zu. Es gibt also keine Vereinigung und keine Weiterführung der Spezies Mensch ohne die Gewalt. Um diese und andere Leidenschaften und triebe kontrollieren lernen zu können, hielten die Griechen Symposien ab, inszenierte Zusammenkünfte, in denen der Alkohol als Vehikel der Infantilisierung zurück in den unreflektierten und undeterminierten Kindeszustand genutzt, um so den Umgang mit überschwänglichen Trieben zu lernen.

Noch weiter zurück, also etwa 500 vor Christus argumentierte Thales, das der Krieg sogar der Ursprung alles Seien sei. Denn der Krieg sei der Anfang und die Bedingung des Neuen, das sich im stetig wandelnden Kreislauf des Seins nahtlos an die Zerstörung kettet.

 

Zumindest theoretisch, sollten wir folglich seit über 2000 Jahren, über die nicht negierbare Gewalt informiert sein. Sie zumindest als eine von vielen Möglichkeiten der Problembewältigung akzeptieren. Dies bedeutet nicht, das sie das richtige Mittel ist aber wenn sie bereits als Teil unserer Zeugung unabdingbar ist, so darf es uns zumindest nicht wundern, dass sie als probates Mittel immer wieder heran gezogen wird, schließlich gäbe  es die ganze Spezies Mensch nicht, wenn die Gewalt nicht wäre.

 

Im Laufe der Zeit haben wir, jenseits theoretischer Experimente in Form von Symposien, genügen Beispiele für ungerechtfertigte Gewalt erlebt. Gewalt ist und war, auch schon bei den alten Griechen und mit Sicherheit auch davor, schließlich gibt es die Menschheit seit über 300.000 Jahren, Teil unseres „sozialen“ Miteinanders. Physische Überlegenheit wurde seit jeher benutzt, um das Überleben zu nutzen. Das eigene, für das beste gehaltene Gengut, wurde zumindest auch über Gewalt zu sichern gesucht. Warum sollte es also heute anders sein?

 

Der amerikanische Wissenschaftler Steven Pinkman, seines Zeichens einer, der regelmäßig zu den einflussreichsten 100 Menschen unserer Zeit gezählt wird, postulierte vor wenigen Jahren, dass wir uns derzeit in einer der friedlichsten und besten Gesellschaften aller Zeiten befinden. Weil wir so aufgeklärt sind und Menschen wie Hitler, Stalin, Dschingis-khan und andere, wären in der aufgeklärten Postmoderne antiquiert und nicht mehr möglich.

 

Schaue ich mich um, kann ich seine Gedanken nicht nachvollziehen und frage mich, in welcher Yogagruppe er diese Beobachtungen tätigte. Natürlich überspitze ich an dieser Stelle, aber kommt es nur mir so vor, dass die Welt noch nie so nah am Abgrund stand wie heute? Das Interessante ist, dass wir Opfer unseres eigenen Fortschritts geworden sind, da wir unfähig sind, unsere Innovationen konstruktiv zu nutzen, ja wir scheinen nicht einmal in der Lage zu sein, das Potential der Produkte unserer Aufgeklärtheit zu erkennen. Kein wunder wäre es dann, wenn die nachwachsende Genration für die Unfähigkeit der derzeitigen Lenker nur den Kopf schüttelt und sagt: Ihr habt es verkackt. Zurück zu den Wurzeln. Hört auf zu lamentieren oder wie Goethe es im Faust (1808) formuliert: Der Worte sind genug gewechselt […].

 

Die Quintessenz ist, dass die Kinder von heute mehr bewahren denn verändern wollen. Sie, die Brut der Überforderten, will nicht als multinational Teil einer Gesamtheit ihr Dasein fristen. Die Jugend sehnt sich nach Halt, einem Zuhause und Identität. Logisch, dass das sich das auch digital manifestiert. Ich bin ich und so sehe ich aus. In dieser und jene Beschreibung könnt ihr die charakterlichen Sphären erkennen, in denen ich mich heimisch fühle.

 

Sie sagen, ich will leben und nicht ständig über potentiell bessere Möglichkeiten diskutieren. Die Jugend erwartet verantwortungsvolle Führer, die das Schicksal aller verantwortungsvoll lenken. Und man gibt ihnen auch das recht zu scheitern. Besser scheitern als unbewegt dem Verfall der Menschheit zuzusehen. Das gestaltet sich in einer weltweit grassierenden Nationalisierung zur Gestaltung eines Raumes, dem man sich zugehörig fühlen möchte. In Amerika bekommt dies das Gesicht von Trump, in Ungarn das von Orban, Frankreich hat LePen, Russland Putin und wir die Afd, um nur einige Beispiele anzuführen.

Vielleicht brauchen wir diesen wirtschaftlichen Protektionismus wirklich, und die Wirtschaft wird nur das Haptische einer unfassbaren Sehnsucht nach Geborgenheit. Die wenigsten Amerikaner wollen alle anderen Menschen den Tod an den Hals wünschen, sondern einfach nur jemanden, der ihnen wie ein liebevoller Elternteil das Gefühl gibt: du bist mir wichtig. Mir am Wichtigsten. Jetzt kümmere ich mich erst einmal um dich, denn nur wenn es dir gut geht, ist das Teilen von Glück überhaupt möglich.

Die Herausforderung und Chance, im Gegensatz zur Vergangenheit, liegt heute darin, dass wir die Kohärenz globalen Agierens an jedem Punkt der Erde verfolgen können. Und die fatale Fehlentwicklung, mit der wir den Nachwuchs determinierten, ist das man Glück kaufen kann. Leere und Sinnlosigkeit können, so schreit man es uns von allen Medien entgegen, mit Konsum kompensiert werden. Nur schade, dass dieses Glücksmoment schon nach wenigen Augenblicken gleich wiederfehlbar erscheint, denn es gibt immer etwas das größer, besser und begehrenswerter scheint.

 

Dabei könnte es doch so einfach sein: wir leben, sind satt und können uns auf der ganzen Welt den richtigen Partner suchen. Doch leider gestehen wir dem Gegenüber nicht unsere eigene Fehlbarkeit zu und machen uns selbst glauben, dass Liebe ebenfalls ein Produkt ist, das man herstellen und kaufen kann.

Lessing sagte einmal über das Herz (etwa 1750), dass es sich von Worten zwar terrorisieren, aber nicht überzeugen lässt.

Wollen wir hoffen und bitte alles dafür tun, dass das was uns am liebsten ist, unsere Kinder, von uns lernen, dass Konsum ein wunderbares Tool der Gerechtigkeit, aber keines zum Kuscheln ist.

 

Bild: Adolf Ulf Muenstermann