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"Er sah keinen Ausweg."

Im Hamburger Prozess gegen einen früheren SS-Wachmann des NS-Konzentrationslagers Stutthof hat die Verteidigung am Montag einen Freispruch gefordert.

Der Angeklagte selbst entschuldigte sich danach vor dem Landgericht der Hansestadt für die Gräuel und Verbrechen in Stutthof. "Heute möchte ich mich bei denen, die durch diese Hölle des Wahnsinns gegangen sind, und deren Angehörigen, entschuldigen - so etwas darf niemals wiederholt werden", sagte Bruno D. in seinem letzten Wort.

Er selbst habe dort jedoch nicht freiwillig gedient, ergänzte der 93-Jährige. "Ich möchte nochmals betonen, dass ich mich niemals freiwillig zur SS oder auch sonst einer Einheit gemeldet hätte, erst recht nicht in einem KZ." Er habe erst durch den Prozess von dem wahren Ausmaß der im Lager verübten "Grausamkeiten" erfahren. Er hätte zudem "mit Sicherheit" die Chance genutzt, sich dem Dienst wieder zu entziehen, sofern dieses möglich gewesen wäre.

Die Staatsanwaltschaft hatte in ihrem Plädoyer vor rund zwei Wochen drei Jahre Jugendhaft für den Angeklagten gefordert. Dieser soll im Alter von 17 bis 18 Jahren in der Endphase des Zweiten Weltkriegs mehrere Monate als SS-Wachmann im Konzentrationslager Stutthof bei Danzig verbracht haben, wo die SS mehr als hunderttausend Gefangene unter bewusst katastrophalen Bedingungen festhielt, um sie so zu ermorden.

Viele der Gefangenen in Stutthof waren Juden, das Lager diente auch als Vernichtungslager. Dort gab es eine Gaskammer, einen mobilen Gaszug sowie eine getarnte Genickschussanlage, um Lagerinsassen im Rahmen vorgetäuschter angeblicher medizinischer Untersuchungen zu töten. Unzählige NS-Opfer starben dort außerdem an Krankheiten und Unterernährung sowie durch Sklavenarbeit und Folterungen des Wachpersonals.

D. wird Beihilfe zum Mord in 5230 Fällen vorgeworfen. Laut Anklage soll er den Massenmord in dem Lager durch seinen Einsatz als Wachmann unterstützt haben. Dabei geht es um den mutmaßlichen Dienst auf den Wachtürmen, eine direkte Beteiligung an Tötungen steht nicht im Raum. Ein Urteil will das Gericht am Donnerstag verkünden.

D.s Verteidiger Stefan Waterkamp sagte in seinem Plädoyer, der zur Tatzeit 17- und 18-jährige Angeklagte habe angesichts der damaligen Umstände letztlich keine Wahl gehabt. "Er sah keinen Ausweg." Seine Verfassung dürfe nicht mit den heutigen Maßstäben beurteilt werden. So sei auch der Dienst in einem vom Staat betriebenen KZ nach der damals noch vorherrschenden Auffassung an sich "kein Verbrechen" gewesen. Der Befehl dazu sei ihm daher "alternativlos" erschienen.

Dass D. von der Möglichkeit einer Rückversetzung zur Wehrmacht gewusst habe, bezweifelte der Anwalt. Der Beschuldigte habe sich damals in einer ihm völlig unbekannten Situation befunden. Es sei nicht zu erwarten, dass ausgerechnet ein Jugendlicher unter dem Umständen in einem KZ "aus der Reihe tanzt".

Im Einzelnen sei auch unklar, was sein Mandant von den Morden und Bedingungen im Innern des Lagers mitbekommen habe, für das eine gesonderte SS-Einheit zuständig gewesen sei. Es stehe aber völlig außer Zweifel, dass die Verbrechen der NS-Zeit "unbegreiflich und unverzeihlich" seien, sagte Waterkamp. Die Berichte der Opfer im Prozess hätten alle - auch seinen Mandanten - "schwer erschüttert".

In den Reihen der Stutthof-Überlebenden wurde die Entschuldigung des Angeklagten am Montag teils vehement zurückgewiesen. "Ich bin sprachlos - ich möchte seine Entschuldigung nicht, ich brauche sie nicht", sagte der 93-jährige frühere polnische Gefangene Marek Dunin-Wasowicz der Nachrichtenagentur AFP in Warschau. Wenn D. sage, dass er vom Geschehen im Lager nichts bemerkt habe, "dann lügt er einfach". Dunin-Wasowicz ist auch Nebenkläger in Hamburg.

bro/cfm

Sebastian BRONST / © Agence France-Presse