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Der beschränkte Freigeist

Alle wollen frei sein. Immer. Tag und Nacht. Frei von Arbeit, von Belastungen, von Sühne, Sünde, Schuld und Pflicht. Aber was ist, wenn nicht das „Nicht-frei-sein“ das Problem ist, sondern die Freiheit selbst jenes ist, was wir nicht „handlen“ können?

Mein ganzes Leben besteht aus Ereignissen, in denen ich Freiheit kultivierte. Ganz nach dem Motto: Geht nicht, gibt’s nicht. Dabei scheint mir momentan genau das auf die Füße zu fallen. Wenn ich in der Stadt einen Rentner nach Feuer für meinen Joint frage, bekomme ich es. Wenn ich in schicken Klamotten und mit billigem Dosenbier durch die Fußgängerzone taumle, stört das keinen und wenn ich des Nachts laut Musik oder Pornos konsumiere, motiviert das maximal zu einem: Halt´s Maul da unten (oder oben, je nachdem).

 

Es kommt mir manchmal so vor, als verliere ich mich in blindem Aktionismus, weil unsere Gesellschaft so abgefüllt ist mit Impressionen, dass sie nichts mehr schocken kann. „Morgen geht die Welt unter.“ - Mir doch egal!“ Obwohl wir so verklemmt und vollgestopft mit Regeln und Konventionen sind, an die wir uns halten oder dessen Einhaltung wir bei anderen kontrollieren.

 

Die Moral entpuppt sich als Regelwerk, und Ausnahmen bestätigen die Regel. Menschen wie ich sind also nicht das entfachende Moment, sondern das Bestätigende: Guck mal da, willst Du das? Willst du so werden? Um dann abends heimlich mit einem guten Buch oder Zeitungsartikel von genau jenem „enfant terrible“ auf dem Klo zu verschwinden und mit dem Geist der engen Welt determinierender Konventionen zu entfliehen.

 

Das nennen wir dann „ich bin so frei“. Und feiern uns dafür, dass wir uns bei all dem Stress die Zeit gönnen, auch mal die Beine hoch zu legen. Kunst, Kultur und hedonistische Lebenslust werden zu etwas, das man sich gönnen darf. Lebenslust wird somit auf eine ganz andere Ebene als die Pflicht gerückt. Deshalb rümpft man meist die Nase, wenn uns plötzlich Menschen begegnen, die nicht in unser Schema passen. Aber sie sind nun mal notwendig. Als Korrektiv. Daran sehe ich, warum mein Handeln richtig ist. Arbeiten für den neuen Fernseher? Guuuuuut. Leben ohne Geld genießen? Schlecht.

 

Wer genauer hinschaut bemerkt, dass dies exakt die Maxime sind, nach denen sich auch die Menschen im Mittelalter (500 -1500 n. Christus) beschäftigten. Von denen man sich zu unangenehmen Taten hat hinreißen lassen. Der einzige Unterschied war, dass die Menschen zurzeit zwischen Karl dem Großen und dem Untergang des weströmischen Reiches sich vor der Strafe Gottes und nicht vor Entlassung gefürchtet haben. Was gibt aber dem Schnöden die Kraft, die einst Gott besessen hat? Ist es das schlichte Moment, dass spätestens seit Nitzsche  (gest. 1900) Gott tot ist und wir das Vakuum kompensieren wollen? War der Kapitalismus einfach am schnellsten am Drücker?

 

Auch wenn mir dieser Gedanke ganz plausibel scheint, ist er eigentlich an dieser Stelle nicht relevant, denn wichtig ist doch nur, dass, wenn wir diese Banalität in der Notwendigkeit entdeckt haben, dass wenn der „worst case“ eintritt, maximal der Kontostand nicht stimmt, von Hölle spricht keiner mehr.

 

Das ist es vielleicht, was „komischen Leuten“ ihre Daseinsberechtigung gibt, vielleicht ist es auch die Rückbesinnung auf das neue Testament, „Gnade“ statt Strafe. Interessant bleibt, warum wir akzeptieren, dass etwas völlig anders ist und die Gelegenheit, die darin steckt, verstreichen lassen. Wenn Künstler, dann Picasso, wenn Schauspieler, dann Al Pacino und wenn sexy, dann (das überlasse ich Ihrer Fantasie).

 

Und all die Münstermanns und Schmidts und Müllers oder Herberts, kämpfen sich den ganzen Tag um Kopf und Kragen, um die Welt mit einer weiteren Facette bereichern zu können, aber als Quintessenz bleibt am Ende nur die Diskreditierung auf das dialektische Gegenüber.

 

Nicht Weiß, ist nicht alle anderen Farben, sondern Schwarz. Sie haben natürlich die Freiheit, sich so zu verhalten und ich habe die Freiheit, meinen Habitus als das zu entlarven und ihn zu verändern, oder gar anzupassen, aber was ist dann, wenn alle plötzlich angepasst sind, wenn allein das dipolare Korrektiv fehlt, wer sagt uns dann, dass das was wir wie machen, die sinnigste Alternative für mich ist.

 

Sie und ich wissen, ich werde das nicht machen, auch wenn ich die theoretische Freiheit dazu hätte und Sie werden großzügig weiter bei Dosenbier am Kaviarstand die Nase rümpfen und abends mit meinen Texten einschlafen und von Freiheit träumen. Wie ich.

 

 

P.S. Auf Anmerkungen zu Philosophischen Betrachtungen wie Sartre, Fouceault oder Arendt habe ich bewusst verzichtet. Ich war so frei, Sie von dem Argument zu befreien, diesen Artikel nicht zu lesen, weil allein der Name des Autors nach philosophischem Bullshitbingo schreit.


Bild: Adolf Ulf Muenstermann aka Reto Zeit