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Operation European Union Naval Force (EUNAVFOR ATALANTA)

Rede von Europa-Staatsminister Michael Roth im Deutschen Bundestag zur ersten Lesung


-- Es gilt das gesprochene Wort --

Seit 2008 beteiligen sich deutsche Soldatinnen und Soldaten an der Marineoperation ATALANTA. Im Namen der Europäischen Union leisten sie einen wichtigen Beitrag zu Sicherheit und Stabilität am Horn von Afrika. Auch während der Corona-Pandemie erfüllt ATALANTA zuverlässig ihren Auftrag: den Seeraum zu schützen und die Piraterie zu bekämpfen.  „Welche Piraterie?“ mögen Sie vielleicht fragen. In der Tat sind die Attacken selten geworden. Die letzte fand im April 2019 statt: Somalische Piraten kaperten damals ein jemenitisches Fischerboot und griffen damit – erfolglos – ein spanisches und ein koreanisches Fischereischiff an. ATALANTA schaltete sich ein:

Mit Unterstützung des deutschen Seefernaufklärers stellte eine spanische Fregatte das gekaperte Schiff, befreite die festgehaltenen Besatzungsmitglieder und übergab die fünf festgenommenen Piraten zur Strafverfolgung an die Seychellen.  Sie sehen also: ATALANTA wirkt – nicht zuletzt dank der deutschen Beteiligung. Es gibt viele Entwicklungen, die uns durchaus Mut machen, aber für Entwarnung ist noch zu früh.  Erstens sind die somalischen Piraten ja nicht verschwunden. Ihre kriminellen Netzwerke haben sich bloß umorientiert auf andere Geschäftsfelder, wie den Schmuggel von Waffen und Drogen, Schleuser- und Schlepperaktivitäten.

Aber sie werden wieder gegen Schiffe losschlagen, sobald Wachsamkeit und Engagement der internationalen Gemeinschaft nachlassen. Damit bleiben sie eine Bedrohung, der sich ATALANTA weiter entgegenstellen muss.  Zweitens ist entscheidend, wem ATALANTA Schutz gewährt: vor allem den Seetransporten des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen. Seit Beginn der Operation vor zwölf Jahren wurden zwei Millionen Tonnen Nahrungsmittel sicher nach Somalia geliefert. Denn vergessen wir nicht: Somalia zählt nach wie vor zu den größten humanitären Krisengebieten weltweit! Es liegt auch in unserer Verantwortung, eine weitere humanitäre Katastrophe zu verhindern.

Schon seit Monaten leidet die Region am Horn von Afrika unter einer massiven Heuschreckenplage. Aufgrund der Wetterlage rechnen Expertinnen und Experten innerhalb der nächsten Wochen mit einer massiven Ausbreitung der Heuschreckenschwärme um den Faktor 400. Dies wird dramatische Folgen haben: allein in Somalia werden mehr als 5 Millionen Menschen humanitäre Hilfe benötigen. Hinzu kommen die Auswirkungen der Corona-Pandemie, die sich derzeit noch gar nicht absehen lassen.  Durch den Schutz der Schiffe des Welternährungsprogramms trägt ATALANTA dazu bei, Menschenleben zu retten. Und verhindert letztlich, dass soziale Not und Perspektivlosigkeit den kriminellen und terroristischen Gruppen neue Anhänger zutreiben.

ATALANTA bekämpft nicht nur Symptome, sondern auch ihre Ursachen.  Selbstverständlich kann Somalia nicht alleine durch eine EU-Marineoperation befriedet und stabilisiert werden. ATALANTA ist aber ein zentrales Instrument der Europäischen Union, mit dem wir dort zu Wiederaufbau und Krisenprävention beitragen. Auch unser Land engagiert sich substantiell, damit Somalia die Folgen des jahrzehntelangen Bürgerkriegs bewältigen kann: im Team der EU und der Vereinten Nationen, aber auch bilateral.  Die Bedingungen unseres Engagements sind weiterhin denkbar schwierig: die staatlichen Strukturen bleiben fragil, der Sicherheitssektor befindet sich noch im Aufbau, die Zentralregierung hat über weite Teile des Landes keine Kontrolle.

Die Entwicklung Somalias zu einem friedlichen und stabilen Staat erfordert einen langen Atem. Sie erfordert Beharrlichkeit, um nicht die bisherigen Erfolge wieder zu gefährden. Nur so kann auch dem miesen Geschäftsmodell der Piraterie die Grundlage entzogen werden.

Und schließlich verdeutlicht ein Blick auf die Landkarte, worum es bei ATALANTA geht. Ihr Einsatzgebiet umfasst kritische Nadelöhre des internationalen Seeverkehrs. Es ist mit 8 Millionen Quadratkilometern fast so groß wie Europa. ATALANTA sichert diesen Seeraum aktuell mit zwei Fregatten und zwei Seefernaufklärern – davon einer von der Bundesmarine.  Und eines ist mir besonders wichtig: Die Operation ist gelebte europäische Teamarbeit.

Derzeit sind 17 EU-Mitgliedstaaten beteiligt, dazu kommen mit Serbien und Montenegro zwei Beitrittskandidaten. Und die EU ist bei weitem nicht der einzige Akteur in der Region. Insgesamt sind mehr als 30 Nationen am Horn von Afrika zeitweise oder dauerhaft mit Marineeinheiten präsent, darunter die USA, Japan, Indien und China.  All diese Staaten eint ein gemeinsames Ziel: die Sicherheit einer der wichtigsten Handelsroute der Welt zu gewährleisten. Daher sieht das Operationskonzept von ATALANTA vor, mit den Partnern vor Ort noch enger zusammenarbeiten. Dieses maritime Teamspiel schafft Vertrauen auf allen Seiten – auch bei den Anrainerstaaten, die uns nachdrücklich bitten, weiterhin militärisch in der Region präsent zu bleiben.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,  auch mit ATALANTA stellt die EU ihre strategische Handlungsfähigkeit unter Beweis. Daran wollen wir weiter als verlässlicher und engagierter Partner mitwirken. Denn die Freiheit des Welthandels zu bewahren, ist ein Kerninteresse Europas – und Deutschlands, das als eine führende Exportnation diese Freiheit ganz besonders braucht.

Ich bitte Sie deshalb im Namen der Bundesregierung um Ihre Zustimmung zur Fortsetzung der deutschen Beteiligung an Operation ATALANTA.