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Der Pflegenotstand wird wohl kommen - Erste Bundesländer erreichen bald "Kipppunkt"

DAK-Report: Erste Bundesländer erreichen bald "Kipppunkt" bei Pflegepersonal

Pflege

Wegen des Ausscheidens der Babyboomer-Generation aus dem Berufsleben schmilzt die ohnehin dünne Personaldecke in der Pflege. In fünf Jahren erreichen mit Bremen und Bayern die ersten Bundesländer einen "Kipppunkt", an dem deutlich mehr Pflegende in den Ruhestand gehen, als Nachwuchskräfte in den Beruf einsteigen, wie aus dem am Dienstag in Hamburg veröffentlichten DAK-Pflegereport hervorgeht.

Demnach müssen in den kommenden zehn Jahren fast in jedem Bundesland 20 Prozent des Pflegepersonals ersetzt werden. Von den mehr als 1,1 Millionen professionellen Pflegekräften in Deutschland werden mehr als 249.500 in den kommenden zehn Jahren das Renteneintrittsalter erreichen - das sind 21,9 Prozent. Der Bedarf variiert von Bundesland zu Bundesland zwischen 19,7 Prozent in Sachsen und 26,5 Prozent in Bremen.

Der tatsächliche Bedarf an Pflegekräften dürfte dem Report zufolge angesichts einer ständig wachsenden Zahl pflegebedürftiger Menschen noch weitaus größer sein. "Wir schätzen, dass in den nächsten 25 Jahren rund 2,3 Millionen Menschen mehr als heute auf pflegerische Unterstützung angewiesen sein werden", erkärte Studienleiter Thomas Klie vom Institut AGP Sozialforschung. Die Zahl der Pflegebedürftigen werde von 5,2 Millionen im Jahr 2022 auf 7,5 Millionen im Jahr 2050 steigen. Hinzu komme eine starke gesundheitliche Belastung des Pflegepersonals mit einer hohen Zahl an Fehltagen.

Die demografische Entwicklung führt auch dazu, dass die ohnehin dünne Arbeitsmarktreserve im Pflegebereich von rund 11.750 Fachkräften (2,0 Prozent) in 2025 auf lediglich 5600 Fachkräfte (0,5 Prozent) im Jahr 2030 abschmelzen wird, wie aus der DAK-Studie hervorgeht. Es gebe trotz guter Ausbildungszahlen "keinen Puffer", erklärte Klie. Mit Hilfe von Wiedereinsteigerprogrammen, Zuwanderung und Qualifizierungsstrategien ließen sich die Personalkapazitäten "bestenfalls stabil halten".

Die Arbeitsmarktreserve umfasst Arbeitnehmer, die nicht in der amtlichen Statistik als Beschäftigte oder Arbeitslose auftauchen, erfahrungsgemäß aber dem Arbeitsmarkt unter bestimmten Bedingungen zur Verfügung stehen und somit als potenzielle Erwerbspersonen zählen.

Angesichts steigender Pflegekosten drohen der DAK zufolge bereits im vierten Quartal dieses Jahres deutliche Finanzierungslücken im Pflegesystem. Dies könnte Beitragssatzerhöhungen noch vor der Bundestagswahl im kommenden Jahr erforderlich machen. "Das von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) im vergangenen Jahr abgegebene Versprechen einer zumindest kurzfristigen Stabilisierung der Pflegefinanzen bis zum Ende der laufenden Wahlperiode ist wohl nicht mehr zu halten", warnte DAK-Chef Andreas Storm.

Er forderte "eine grundlegende Reform der Pflegeversicherung, um die Pflege mit neuen Versorgungskonzepten zukunftsfähig zu machen". Der Pflegereport nennt unter anderem Bürokratieabbau und die Unterstützung von Pflegebedürftigen auch durch Nachbarn, Freunde und Bekannte. Laut Umfrage ist immerhin mehr als die Hälfte der über 40-Jährigen dazu bereit. hex/cfm

© Agence France-Presse

Kommentar

Der jüngste DAK-Pflegereport wirft ein Schlaglicht auf eine der drängendsten Herausforderungen des deutschen Gesundheitssystems: den akuten und zunehmenden Mangel an Pflegepersonal. Mit dem Ausscheiden der Babyboomer-Generation aus dem Arbeitsmarkt und einem steigenden Bedarf an Pflegekräften aufgrund einer wachsenden Zahl pflegebedürftiger Menschen steht Deutschland vor einem doppelten Problem. Die Prognose, dass in den nächsten zehn Jahren fast 20 Prozent des Pflegepersonals ersetzt werden müssen, während gleichzeitig die Zahl der Pflegebedürftigen bis 2050 auf 7,5 Millionen ansteigt, verdeutlicht die Dringlichkeit, mit der gehandelt werden muss.


Die Studie legt nahe, dass traditionelle Lösungsansätze nicht ausreichen werden, um die Lücke zu schließen. Die Vorstellung, dass durch Wiedereinsteigerprogramme, Zuwanderung und Qualifizierungsstrategien die Personalkapazitäten bestenfalls stabil gehalten werden können, unterstreicht die Notwendigkeit, über den Tellerrand hinauszublicken und innovative Konzepte zu entwickeln. Der alarmierende Rückgang der Arbeitsmarktreserve im Pflegebereich von 2,0 Prozent im Jahr 2025 auf 0,5 Prozent im Jahr 2030 zeigt zudem, dass der Arbeitsmarkt allein die benötigten Fachkräfte nicht bereitstellen kann.


Angesichts der bevorstehenden Finanzierungslücken im Pflegesystem und der drohenden Beitragssatzerhöhungen wird deutlich, dass eine grundlegende Reform der Pflegeversicherung unausweichlich ist. Die Vorschläge des Reports, wie Bürokratieabbau und die Einbeziehung von Nachbarn, Freunden und Bekannten in die Pflege, weisen in die richtige Richtung. Sie betonen die Notwendigkeit, das gesamte Pflegesystem zu überdenken und ein breiteres Verständnis von Pflege und Unterstützung zu entwickeln.


Kritischer Kommentar

Während die Vorschläge des DAK-Pflegereports sinnvolle Ansätze bieten, bleibt die Herausforderung, sie in die Praxis umzusetzen. Eine umfassende Reform der Pflegeversicherung, die nicht nur finanzielle Aspekte, sondern auch die Qualität und Verfügbarkeit der Pflege adressiert, erfordert politischen Mut und Kreativität. Zudem stellt sich die Frage, inwieweit die Gesellschaft bereit ist, ein neues Pflegemodell zu akzeptieren, das stärker auf Gemeinschaft und gegenseitige Unterstützung setzt.


Die zunehmende Belastung des Pflegepersonals, hohe Fehltage und der immense Druck, dem viele Pflegekräfte ausgesetzt sind, erfordern zudem Lösungen, die über strukturelle Anpassungen hinausgehen. Es geht nicht nur darum, wie viele Pflegekräfte eingestellt werden können, sondern auch um die Arbeitsbedingungen, die ihnen geboten werden. Die Pflegekrise ist somit auch eine Krise der Arbeitsbedingungen im Pflegesektor.


Die Zukunft der Pflege in Deutschland steht auf dem Spiel. Der DAK-Pflegereport 2023 liefert wichtige Einsichten, doch die Umsetzung seiner Empfehlungen wird eine gemeinsame Anstrengung von Politik, Gesellschaft und Wirtschaft erfordern. Nur so kann eine nachhaltige Lösung für eines der drängendsten Probleme des Landes gefunden werden.

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