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COVID-19: Alter Schwede!

Warum bei der Diskussion über den gleichermaßen gelobten und umstrittenen 'Schwedischen Sonderweg' in der Coronakrise eines übersehen wird: das hingenommene Massensterben der Infizierten mit schwerem Verlauf.

Zwei Alte springen vor der versammelten Dorfgemeinschaft von einem Berg. Ari Aster, einer der besten Regisseure der Neuzeit, lässt uns in seiner heidnischen Horrorfolklore Midsommar (2019) ein grausames schwedisches Ritual im dem fiktiven schwedischen Dorf Hårga bezeugen.

Dem Zuschauer geht es wie den anwesenden ausländischen Studierenden im Film. Sie sind nach dem grausam dargestellten Sturz, Aster hält einen Szenenwechsel beim Aufprall nicht für nötig, zutiefst geschockt. Brüskiert wollen die Studierenden die Versammlung verlassen und klagen die Zuschauenden im Film an, tatenlos zuzuschauen.  

Doch eine Dorfälteste will sich ihnen erklären: „Was ihr gesehen habt, ist eine uralte Tradition. Die beiden, die gesprungen sind, haben das Ende ihres Lebenszyklus erreicht.“ Weiter behauptet sie: „Du muss es als große Freude für sie sehen. Für mich wird es auch eine Freude sein. Wir sehen das Leben als einen Kreislauf der Erneuerung. Statt alt zu werden und in Schmerz, Angst und Scham zu sterben, geben wir unser Leben. Als eine Geste. Bevor es vergeht. Es nützt nichts, gegen den unausweichlichen Tod zu kämpfen. Das verdirbt den Geist.“

Während Asters Meisterwerk von seiner Machart sicherlich mit Wicker Man (1976) verglichen werden kann, fragen Sie sich bestimmt, was diese wirre Aussage aus einem Film über das schwedische Mittsommerfest mit der Coronakrise zu tun hat.

Nun, Schwedens Umgang mit COVID-19 ist sogar noch düsterer als die Szene aus diesem Horrorfilm, wo sich die Alten freiwillig entscheiden zu sterben. Das Land opfert seine Alten nämlich ganz ohne deren Zustimmung oder Einwilligung. Anders nämlich als in Deutschland, wo wir alle aus Solidarität zu Hause bleiben, um das Virus einzudämmen und die Risikogruppe zu schützen, geht das Leben und die Wirtschaft in Schweden wie gewohnt weiter.

Das ist nichts Neues und zugegebenermaßen bleibt der große Schweden-Schock aus. Es ist dort nicht die große Apokalypse ausgebrochen und das Land scheint Menschen wie Jakob Augstein, Jan Fleischhauer, Christian Lindner und all denjenigen, die eine ‚Wirtschaft-wie-bisher‘ und einen Wiedereinstieg fordern, recht zu geben. Doch ist das so?

Abgesehen von der Unvergleichbarkeit mit Schweden – das Land hat zehn Millionen Einwohner und eine Bevölkerungsdichte von 23 pro Quadratkilometer, Deutschland hingegen 232, was für das Virus eine ganz andere Basis  ist, sich zu verbreiten – gibt es ein Indiz, dass der Weg falsch ist: die Sterberate. Während laut worldometers die aktiven Fälle relativ gleichaussehen, in beiden Ländern durchläuft die Mehrheit der Infizierten einen milden Verlauf, 94 Prozent (Schweden) bzw. 96 Prozent (Deutschland), sind die abgeschlossenen Fälle, also Genesung oder Tod, gänzlich unterschiedlich.

In Deutschland starben, aufgrund der Maßnahmen und der Solidarität in der Bevölkerung, nur fünf Prozent (4.642) der insgesamt 96.142 abgeschlossenen Fälle und 91500 Menschen sind genesen, während in Schweden von 2.090 geschlossenen Fällen, 1.540 Menschen starben. Mit nur 550 Genesenen, ergibt das eine Todesrate von 74 Prozent, Deutschland kann eine von fünf Prozent vorweisen. Zudem hat Schweden nur 532 Intensivbetten. Deutschland hingegen 28.000, davon 20.000 mit einer Beatmungsmöglichkeit (Quelle: DKG). Auch im Vergleich mit anderen skandinavischen Ländern, die zu strikteren Maßnahmen wie Schließungen und Verboten griffen, schneidet Schweden im Vergleich der Todesfälle sehr schlecht ab.

Von daher lässt sich eindeutig sagen: ja, man kann Cafés, Kitas, Läden und Restaurants offen und das Leben weiter gehen lassen, aber die im Kern schon unmoralische Isolierung der Alten führt scheinbar dennoch zuderen Tod. Schwedens Corona-Ansatz sollte also nicht mehr Sonderweg genannt werden, sondern als Senizid bezeichnet werden. Und er überbietet damit einen fiktionalen Horrorfilm. Oder sind an diesen paganen Riten etwa doch noch etwas in der heutigen schwedischen Gesellschaft verwurzelt?     



© Flo aus Münster


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