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Vladimir Balzer im Gespräch mit Prof. Alena Buyx

Prof. Alena Buyx ist Professorin an der TU München und Vorsitzende des Deutschen Ethikrats

Balzer: Das Interview der Woche im Deutschlandfunk mit Vladimir Balzer und mit Alena Buyx. Sie ist Professorin an der TU München und Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, schönen guten Tag.

Buyx: Hallo, Herr Balzer.

Balzer: Herzlich willkommen hier im Hauptstadtstudio des Deutschlandfunks. Beginnen wir vielleicht mit einem Thema, das Sie als Vorsitzende des Ethikrats eigentlich von Beginn an beschäftigt hat, 2020 sind Sie in dieses Amt gekommen, nämlich die Pandemie, und die Pandemiemaßnahmen. Vor einem Jahr liefen die letzten Maßnahmen aus, also Gelegenheit für einen Rückblick. Diese Maßnahmen damals haben natürlich die Gesundheit Hunderttausender geschützt, aber eben auch sie waren ein heftiger Einschnitt in eine liberale Gesellschaft, hatten gesellschaftliche, soziale, politische Folgen bis heute, vielleicht auch über viele Jahre hinweg. Was sind das für Folgen aus Ihrer Sicht?

Buyx: Wenn man so zurückdenkt, es ist Wahnsinn, wie lange das her ist und gleichzeitig fühlt es sich doch immer noch irgendwie nah an. Wir haben in unserer allerersten Ad-hoc-Empfehlung im März 2020 schon gesagt, es wird Nebenfolgen geben von solchen Maßnahmen, weil es ja klar ist, wenn man die Sozialkontakte beschränkt, wenn man einfach nicht mehr so viel Mobilität hat, dass es natürlich Effekte hat, psychische Effekte, soziale Effekte, ökonomische Effekte. Und tatsächlich sehen wir all die, und es ging ja in der Pandemie immer darum, die Maßnahmen mit diesen Nebenfolgen abzuwägen, und ich glaube, das ist jetzt ein Teil der Debatte, denn natürlich sind die Maßnehmen jetzt vorbei. Man hat das Ganze hinter sich und schaut jetzt sehr stark auf die Nebenfolgen. Man hat da einen großen Fokus darauf, und ich glaube, da ist es einfach wichtig, dass man nicht vergisst, wie das so mit dem sogenannten Präventionsparadox manchmal ist, dass diese Maßnahmen ja auch etwas tun sollten. Also man muss das schon immer noch in Bezug setzen, aber ich finde das sehr wichtig, sich das jetzt genau anzuschauen.

Balzer: Wie war denn nun die Verhältnismäßigkeit zwischen Gesundheitsschutz und den politischen, gesellschaftlichen Kollateralschäden?

Buyx: Ich kann Ihnen sagen, das ist vielen, glaube ich, gar nicht so klar, darüber hört man relativ wenig, es hat wirklich Tausende von Gerichtsverfahren gegeben gegen die Maßnahmen. Das sind ja immer kleine Verhältnismäßigkeitsprüfungen gewesen, zum Teil ja bis zum Bundesverfassungsgericht, aber eben auch ganz viele andere Gerichte haben sich damit beschäftigt, und insgesamt sind die wenigsten Maßnahmen als wirklich unverhältnismäßig festgestellt worden. Das muss man einfach mal so deutlich sagen. Wir haben uns angeschaut, waren die Parlamente beteiligt, also waren sozusagen die unterschiedlichen Institutionen der lebendigen Demokratie dabei. Und da hat es auch Bereiche und einzelne Pakete oder Verordnungen oder so etwas gegeben, bei denen man sagen würde, ja, das war schon grenzwertig, aber wir formulieren sehr klar Rechtsstaat, parlamentarische Demokratie. Das hat alles wirklich gut, verlässlich und belastbar funktioniert in der Pandemie, sodass ich mich jetzt einmal trauen würde, mit der gebotenen Vorsicht zu sagen, dass es hier und da wirklich problematische Dinge gab, bei denen man auch sagen würde, da war die Verhältnismäßigkeit, beispielsweise wenn eine Maßnahme recht lange lief und eigentlich schon hätte aufgehoben werden können, nicht mehr gegeben, aber insgesamt schon.

Balzer: Haben Sie ein Beispiel? Von den Schulschließungen wird immer gesprochen, dass die zu lang waren und dass die Folgen so heftig waren, dass sie vielleichtnicht mehr im Verhältnis standen zum Gesundheitsschutz.

Buyx: Es gab unterschiedliche Schulschließungen für unterschiedliche Altersgruppe. Das war unterschiedlich in unterschiedlichen Bundesländern. Es gab Notbetreuung und so weiter und so fort. Also es ist so ein bisschen fast läppisch, wenn man sagt, die Schulschließung. Das ist bei ganz vielen Maßnahmen so. Der Lockdown, das wardas nicht. Also wenn man das wirklich aufarbeiten möchte, dann muss man das sorgfältig und ordentlich tun und muss sich genau den Kontext angucken, muss sich genau die Situation angucken, muss sich genau angucken, wie war eine Maßnahme, etwa eine bestimmte Schulschließung, und dann schauen, hätte man die man die mit dem Wissen von damals schon früher aufheben können. Das halte ich für wirklich sinnvoll. Also ich kann mich erinnern, dass es bestimmte Schließungen gab bei den Kitas, wo die Kleinen wirklich ganz besonders betroffen waren. Das ist so ein Kandidat, also da würde man wahrscheinlich bei so einer Untersuchung zu dem Schluss kommen, das hätte man früher aufheben können, aber es gab auch bestimmte Schließungen im Einzelhandel, wo jetzt auch schon in der wissenschaftlichen Bearbeitung herauskommt, also das waren nicht die effektivsten Maßnahmen. Es ist wirklich wichtig, sich das seriös anzugucken, im Einzelnen anzuschauen und nicht so in Bausch und Bogen. Das hilft, glaube ich, nicht weiter.

Balzer: Es ist ja auch immer die Frage, was wusste man damals, was weiß man heute. Wir wissen natürlich heute mehr über die Wirksamkeit des Impfstoffs. Wir wissen mehr über das Virus selbst. Wir sehen jetzt auch die gesellschaftlichen Folgen vielleicht klarer. Politik hatte, glaube ich, damals das Problem, zum Teil im Nebel stochern zu müssen. Was bedeutet das für die Demokratie? Das war ja für viele wie so eine Art Ausnahmezustand, ein politischer Ausnahmezustand.

Buyx: Das war für uns alle ein Ausnahmezustand. Lustigerweise laufe ich seit Mitte 2021 durch die Gegend und erzähle öffentlich, wir müssen aufarbeiten, lernen, heilen. Und dann, als man dachte, jetzt können wir es endlich mal machen, weil man dafür eine gewisse Ruhe braucht als Gesellschaft, kam der Überfall auf die Ukraine. Und deswegen habe ich auch schon öffentlich gesagt, dafür viel Ärger eingesteckt, aber ich sehe es nach wie vor so, dass uns genau in der Zeit, in der man das dann hätte machen können, weil so langsam wirklich alles vorbei war, uns das ein Stück weit genommen wurde. Und vielleicht ist jetzt eine Zeit, in der man sich dem wieder intensiver zuwenden kann, dann das war also in emotionaler Hinsicht ein absoluter Ausnahmezustand für uns alle. Natürlich war das, was die politische Entscheidungsfindung anbelangt, aber nicht nur die, das war ja auch jegliche Entscheidungsfindung im Lebenskontext. Wenn man da ein Unternehmen hatte oder Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter war, war verantwortlich für ein Team, Lehrer/-in, in der Kita gearbeitet, im Krankenhaus natürlich, aber auch einfach Eltern war oder Enkel, also egal was, egal wie, alle waren tief betroffen. Das ist die größte gesellschaftliche Krise gewesen seit dem Zweiten Weltkrieg. Und es ist irgendwie sehr erstaunlich, und ich glaube auch nicht gut, dass wir so ein bisschen zur Tagesordnung übergegangen sind. So hat sich das jedenfalls für mich angefühlt.

Balzer: Meinen Sie es gesellschaftlich, oder meinen Sie es politisch? Es gibt ja jetzt Debatten über eine mögliche Enquete-Kommission, bringen wir es einmal in den politischen Raum, die eventuell angesetzt werden könnte. Da gibt es Forderungen aus verschiedenen politischen Richtungen, auch aus Teilen der Ampelkoalition, dass eine Enquete-Kommission eingesetzt wird, also so eine, ich sage mal, parteiübergreifende, sachorientierte Kommission, wo eben verschiedene Expertinnen und Experten zu Wort kommen sollen, wo sozusagen so ein Bild entstehen soll. Wäre das eine gute Maßnahme?

Buyx: Ja und nein, also da habe ich wirklich eine doppelte Antwort. Ich finde es ganz, ganz wichtig, auszuarbeiten. Wie gesagt, aufarbeiten, lernen, heilen. Meine Sorge ist, dass man das verengt, dass man glaubt, eine Art Enquete-Kommission, eine Art politische Kommission, das ist es jetzt, denn das, glaube ich, ist viel zu wenig. Und das ist zu eng geguckt, nur, in Anführungszeichen, auf die Maßnahmen. Es war eine Erfahrung einer existenziellen Krise. Und die vielen, vielen Effekte, die wir jetzt sehen, die vielen Nebenfolgen, über die wir schon gesprochen haben, die stammen jetzt nicht eins zu eins von diesen Maßnahmen. Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Wir haben uns ja vom Ethikrat viel zu spät, das haben wir auch sehr bedauert, mit der Situation von Kindern und Jugendlichen und jungen Erwachsenen beschäftigt und eine Ad-hoc-Empfehlung gemacht zur psychischen Gesundheit.

Balzer: Das war Ende 2022.

Buyx: Ende 2022, genau, da haben wir uns Expertinnen und Experten eingeladen, die uns mal so die Daten berichtet haben, wie geht es den jungen Leuten. Und deren psychische Gesundheit hat sich ja wirklich im Verlauf der Pandemie deutlich verschlechtert, dann auch sozusagen nach der Pandemie war sie noch wirklich deutlich schlechter und hat sich dann ein bisschen erholt, ist aber immer noch nicht gut. Und da hatten wir auch Expertinnen und Experten da, die uns das aus unterschiedlichen europäischen Ländern berichtet haben. Und da kam etwas ganz Interessantes zutage. Schweden hatte ja kaum oder fast gar keine Maßnahmen bei der jungen Generation. Italien hatte sehr starke Maßnahmen. Die Effekte auf die psychische Gesundheit war in beiden Ländern gleich auf die junge Generation. Also das kann nicht nur von den Maßnahmen kommen, sondern das ist diese existenzielle Erfahrung in so einer Krise, in so einer Pandemie zu leben. Und meine Sorge ist, dass man das zu eng nimmt und jetzt Maßnahme A, B, C und hinschaut, und wer hat wann wie was entschieden und wer wusste wann wie was. Das ist auch sehr wichtig. Man will ja ler  für die nächste Pandemie. Man will lernen für die nächste Krise, aber ich glaube, wir brauchen mehr. Und wir müssen auch anerkennen, dass viel davon, womit wir es jetzt zu tun haben, mit Dingen zu tun hatte, die nicht maßnahmenbezogen waren, also zum Beispiel die ganze sogenannte Infodemie. Also diese Pandemie ist die erste Pandemie in der Geschichte der Menschheit, die begleitet war von einer Infodemie, von einer Masse an Fake News, Desinformationen. Das sind unglaublich wichtige Effekte. Die sehen wir, glaube ich, jetzt alle, mit Wahlkämpfen und so weiter und so fort. Die haben auch etwas mit uns gesellschaftlich gemacht. Die waren auch verbunden mit der Pandemie. Das ist nur ein Beispiel von vielen, und mir wäre es wichtig, wenn wir so einen Heilungsprozess haben wollen, dass man sich nicht einbildet, man macht eine Enquete-Kommission, und dann ist es irgendwie erledigt, sondern das muss man breiter ziehen.

Balzer: Bräuchte es da vielleicht auch noch mal eine andere Ansprache, noch mal jenseits einer Enquete-Kommission auch eine andere Art der politisch-gesellschaftlichen Aufarbeitung? Braucht es vielleicht eine Handreichung gegenüber jenen, die sich damals ausgegrenzt gefühlt haben, die sich zum Beispiel nicht haben impfen lassen oder die vielleicht sehr skeptisch waren angesichts der Maßnahmen? Sie haben es schon gesagt, es ist schwierig, weil eben nach dieser Pandemie-Krise dann schon ein Krieg in Europa folgte, Debatten um Inflation und vieles andere mehr. Die Ängste werden ja nicht weniger, aber bräuchte es da ein Signal vielleicht auch, zum Beispiel von der Bundesregierung oder von den Landesregierungen, die ja auch stark eingebunden waren in den Maßnahmen, zu sagen, es ist ja von Jens Spahn, dem damaligen Gesundheitsminister der Satz gefallen, wir werden uns viel verzeihen müssen. Ist da genug von der Politik gekommen?

Buyx: Also mein Eindruck ist schon in der öffentlichen Diskussion, und das ist nachvollziehbar, aber ich finde es manchmal sogar fast erstaunlich, dass sehr, sehr stark jetzt schon in meiner Wahrnehmung mindestens seit einem Jahr vor allem gesprochen wird über die Nebenfolgen, die Effekte der Maßnahmen und ein bisschen vergessen wird, warum man die gemacht hat. Also in anderen Ländern ist es zum Beispiel interessanterweise so, wenn man einmal nach England schaut, die haben einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss in England. Und in der Diskussion, bei denen geht es im Moment gerade um die vielen Menschen, die gestorben sind und nicht hätten sterben müssen. Also die reden noch so richtig über das Kerngeschäft. Und worum ging es bei den Maßnahmen? Man wollte vermeiden, dass Menschen sterben, dass Menschen schwer erkranken, und in England ist viel dieser Diskussion darum. Da sind die ganzen Familien, die sagen, unsere Angehörigen hätten nicht sterben müssen. Das ist die Debatte in England. In meiner Wahrnehmung ist das in Deutschland anders. Wir diskutieren jetzt schon sehr viel, und das ist auch richtig und wichtig, über die Effekte dieser Maßnahmen, über diese Folgen, weil die uns gesellschaftlich ebenso beschäftigen, weil, glaube ich, viele wahrnehmen, da ist viel Polarisierung entstanden, da sind Ausgrenzungserfahrungen gewesen. Da hat es einfach viel Belastung und auch sehr, sehr aufgeregte Debatten in der Gesellschaft gegeben.

Balzer: Die Erfahrung von Unfreiheit auch in einer liberalen Gesellschaft.

Buyx: Ja, natürlich, dieser Eingriff, dass auf einmal da der Staat kommt, mit dem ich sonst in meinem Alltagsleben jetzt nicht so irre viel zu tun habe, vielleicht wenn ich die Steuererklärung mache oder wenn ich irgendwie auf das Amt muss, aber das war es auch. Und auf einmal greift der in unser aller Alltagsleben hinein. Also ich nehme schon wahr, dass die Beschäftigung da sehr intensiv damit ist. Da habe ich nicht den Eindruck, dass das jetzt unbedingt viel zu wenig wäre. Ihre Frage, ob die Politik da genug gemacht hat, das finde ich wirklich interessant, denn einer der Aspekte bei diesem Aufarbeiten, Lernen, Heilen ist eben auch, dass es nicht nur um diesen engen Blick auf einzelne Maßnahmen und einzelne Entscheidungen geht, sondern es geht auch darum, anzuerkennen, wie grässlich das alles war, wie viel wir alle verloren haben, was wir für eine Angst hatten, wie wir getrauert haben, wie grässlich das einfach war. Wenn diese emotionale Seite, diese Angst, diese tiefe Betroffenheit ein bisschen ignoriert wird, weggewedelt wird, nicht berücksichtigt wird, das ist für eine Gesellschaft ganz schlecht. Und ich glaube, da müsste man etwas tun. Da bräuchte man symbolische Dinge. Da muss man innehalten. Ich bin nicht diejenige, die da jetzt Expertin ist, was man da alles machen kann. Es gibt viele, viele Beispiele von innehalten, von so ein bisschen Gedenken, einfach ein Symbolisches, etwas Versöhnendes, etwas Verstehendes. Ich glaube, da bräuchten wir mehr.

Balzer: Das Interview der Woche im Deutschlandfunk mit Professor Alena Buyx, Vorsitzende des Deutschen Ethikrates. Und zu einer der Folgen dieser Pandemie, also das gab es natürlich auch schon vorher, aber ich glaube, das hat sich ziemlich verstärkt, Sie haben es vorhin auch schon angesprochen, die sozialen Folgen, dass viele sich sehr einsam gefühlt haben. Einsamkeit ist inzwischen ein Zustand, der durchaus auch große politische Bedeutung hat. Wir erleben das immer mehr. Es wurde immer von der älteren Generation gesprochen, wo sich viele einfach einsam fühlen, nicht genug sozialen Anschluss haben. Das war während der Pandemie ganz stark, aber jetzt hören wir auch von Umfragen, dass sich gerade Jugendliche oft sehr einsam fühlen, isoliert fühlen, nicht genug in Kommunikation treten, nicht genug sozial eingebunden sich fühlen. Ich glaube, das ist im politischen Raum auch inzwischen angekommen. Es gibt vom Bundesfamilienministerium so eine Einsamkeitsstrategie, die ist gerade noch so in den Anfängen. Da gibt es Gesprächsangebote, Veranstaltungen, Sensibilisierungsaktionen. Welche Bedeutung hat Einsamkeit für diese Gesellschaft?

Buyx: Das ist ein Riesenthema, und jetzt muss ich einmal ganz am Anfang sagen, dass der Deutsche Ethikrat das zum Thema der diesjährigen Jahrestagung macht, weil wir wirklich glauben, dass das eines der ganz großen Themen ist. Man muss dazu sagen, das ist ein Trend, der zeichnet sich schon etwas länger ab, also dass Menschen im Schnitt weniger Sozialkontakte haben und dass die Gruppe derer, die sich einsam fühlen, weil es gibt ja Menschen, die sind allein und fühlen sich nicht unbedingt einsam, aber wenn das etwas Quälendes wird, wenn man das als etwas Be-lastendes empfindet, diese Einsamkeit, dann wird sie zu einem Problem, und die Gruppe derer, bei denen das so ist, die wird immer größer. Das ist schon seit Jahren so, und das hat die Pandemie natürlich verstärkt, weil wir da alle in die Isolation gegangen sind. Und dazu einfach zwei Dinge, das eine ist, man weiß, Einsamkeit ist ganz klar mit schlechterer körperlicher und psychischer Gesundheit verbunden. Das sind eklatante Zahlen, wenn man da mit denen, die das beforschen, spricht. Das ist verbunden mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen, also wirklich Herzinfarkt, Schlaganfall, so richtig die großen Killer mit Krebs, mit Demenzerkrankungen, aber eben auch mit einer schlechteren psychischen Gesundheit, und zwar richtig stark. Das heißt, das ist ein Gesundheitsproblem, diese Einsamkeit. Es gibt Leute, wenn man so Bücher liest dazu, die sagen, das ist einer der großen Killer, einer der großen nicht erkannten Killer. Das ist das eine. Das andere ist, dass man weiß, dass Einsamkeit tatsächlich eine direkte politische Relevanz hat. Es gibt Studien, die zeigen, dass Menschen, die einsam sind, anfälliger sind für Manipulation, anfälliger sind für extreme politische Überzeugung bis hin zu Verschwörungserzählungen. Es scheint fast so zu sein, dass eine Einsamkeit so ein bisschen ein Einfallstor ist dafür, dass ich eine einfache Geschichte eher glaube, weil das ja vielleicht fast etwas Tröstliches hat, wenn ich einsam bin. Und man weiß eben auch, dass Sozialkontakte helfen, Emotionen wieder runterzuholen, Wut, Ärger, Hass, das Ganze, was so brennt. Und deswegen muss uns das natürlich in einer Zeit, in der wir alle, glaube ich, feststellen, auch mit dem Blick aus Deutschland heraus, unsere Demokratie ist nicht irgendwie in alle Ewigkeit in Stein gemeißelt, sondern das ist etwas Lebendiges. Das müssen wir alle gemeinsam gestalten und schützen. Da ist, glaube ich, der Blick auf Einsamkeit sehr, sehr wichtig. Das ist nicht was, das kann nur irgendwie jetzt die Politik reißen. Also ich finde es natürlich wahnsinnig entscheidend, dass es politisches Augenmerk gibt, Aufmerksamkeit, dass es Initiativen gibt, aber Einsamkeit in der Gesellschaft, das ist ja nicht etwas, wo irgendwie das Familienministerium jetzt kommen kann und sagen kann, wir lösen jetzt hier das Einsamkeitsproblem, sondern das ist etwas, letztlich betrifft das alle, und das ist die Art, wie wir miteinander leben, die Art, wie wir auf andere zugehen, aber auch jeder selbst. Ich meine, ich kann mich heutzutage, das war eben vor 30 Jahren nicht möglich, digital vergraben, komplett. Und da, glaube ich, müssen wir uns alle klarmachen, das ist einfach nicht gut für uns und alle ein Stück weit also einmal auf andere zugehen, aber eben auch selbst sich klarmachen, das soziale Leben ist etwas, das muss ich ein bisschen auch in die eigene Hand nehmen. Das passiert nicht einfach so.

Balzer: Aber was heißt das? Bräuchte es dann doch mehr Angebote? Muss Leuten vielleicht auch eine Brücke gebaut werden? Nicht jeder hat vielleicht diese innere Kraft, aus dieser Einsamkeit herauszubrechen, vielleicht auch Menschen gerade mit auch schwierigen Biografien oder mit traumatischen Erfahrungen oder eben zum Beispiel mit so einer heftigen Krisenerfahrung oder auch all die Menschen, wir reden von 2,5 Millionen, die zum Beispiel von Long Covid betroffen sind. Nicht alle können das aus eigener Kraft leisten.

Buyx: Natürlich, nicht, dass das missverstanden wird, ich habe da ja jetzt sehr groß gesprochen. Ich wollte nur davor warnen, vor der Erwartung irgendwie, das wird jetzt politisch alles gerichtet werden. Das sind alles Gruppen, die Sie gerade erwähnt haben, die am stärksten betroffen sind.

Balzer: Kinder und Jugendliche, darüber haben wir gesprochen.

Buyx: Ja, da gibt es einen sozioökonomischen Gradienten, ganz klar, weil Teilhabe in der Gesellschaft natürlich auch etwas mit finanzieller Ausstattung, auch mit Bildung sozusagen, soziales Kapital und so weiter und so fort zu tun hat. Also natürlich brauchen wir ganz viele Initiativen. Und es gibt auch wirklich viele gute Ideen, auch da wieder der Blick, es tut mir leid, schon das zweite Mal, nach Großbritannien. Die haben ja berühmtermaßen mal so ein sogenanntes Einsamkeitsministerium gehabt, relativ kurz, aber das zeigt, die haben sich damit lange beschäftigt. Und es gibt echt richtig gute Konzepte so auf Nachbarschaftsebene und eben, wie kann man aktivieren, wie kommt man gerade an die Gruppen heran, die extrem schwer zu erreichen sind. Und einer der wichtigsten Punkte, Einsamkeit ist unheimlich schambesetzt, und das muss weg. Das ist einer der Gründe, weshalb wir das jetzt auch als Thema besetzen, und das ist einer der Gründe, weshalb ich es gut finde, dass es diese Initiativen gibt und weshalb wir davon mehr brauchen, weil viele Menschen, die einsam sind, schämen sich dafür, aber im Prinzip ist das etwas, was so häufig ist, dass das nahezu was, in Anführungszeichen, Normales wird. Das sollte uns unheimlich bekümmern, aber das sollte uns auch sagen, das ist nichts, was mit Scham besetzt sein sollte. Das ist einmal das Wichtigste. Ich glaube, deswegen müssen wir darüber ganz viel sprechen und eben möglichst solche aktivierenden Initiativen verstärken, um damit gerade denen, Sie haben es so schön gesagt, die da so schwierig rausbrechen können, es ein bisschen leichter zu machen, gesellschaftlich leichter zu machen.

Balzer: Der Deutsche Ethikrat ist ja auch für die Beratung der Politik zuständig. So habe ich ihn jedenfalls immer verstanden. Also Ihr Wort wird schon sehr stark wahrgenommen. Wie gesagt, das Bundesfamilienministerium hat diese Einsamkeitsstrategie, in Ansätzen beginnt da schon etwas in der Politik heranzureifen, aber was ist Ihre generelle Analyse? Ist die Politik vielleicht dann doch zu wenig aufmerksam gegenüber diesen ganzen emotionalen, psychosozialen, psychopolitischen Faktoren, ist zu technisch, zu sachlich und nimmt all diese Ängste, dieses Krisenhafte, diese ganze Emotionalität, die ja auch eine starke Rolle spielt, glaube ich. Nimmt da die Politik zu wenig Rücksicht auf diese Aspekte, auf diese Faktoren?

Buyx: Ich glaube tatsächlich, dass früher viel von diesen emotional-psychischen Aspekten so ein bisschen weggewedelt wurde, gesagt wurde, das hat jetzt mit Politik wirklich gar nichts zu tun. Wir machen hier Gesetze. Wir machen Verordnungen, da steht nichts von wie geht es dir denn damit. Und das ist nachvollziehbar, aber ich glaube, wir sind eine belastete Gesellschaft. Wir sind eine belastete Gesellschaft in der Dauerkrise, und das wird so bleiben. Und ich glaube, viele Menschen spüren einfach, das werden jetzt keine so irrsinnig witzige 10, 20 Jahre. Und um eine Resilienz aufzubauen, das ist einer der Begriffe, die in einer unserer Stellungnahmen, also in der Rückschau auf die Pandemie-Stellungnahme eine große Rolle spielt, um da eine Widerstandsfähigkeit aufzubauen, da muss man sich einfach klarmachen, da gehört dieses emotional-psychisch Soziale einfach dazu, dieses Weiche, dieses Wahrnehmende.

Balzer: Und da haben wir ja bei Kindern und Jugendlichen eben so stark gemerkt, nicht?

Buyx: Genau.

Balzer: Weil die genau das ja betrifft.

Buyx: Genau, und das, glaube ich, kommt jetzt in der Politik langsam an, dass das ein Bereich ist, den man ernster nehmen muss, erstens, und zweitens ist das natürlich wahnsinnig wichtig für die politische Kommunikation, denn es gibt ja Negativbeispiele. Es gibt ja Parteien, die sehr erfolgreich die ganzen negativen Emotionen abholen, Hass, Ärger, Wut, Angst. Das sind diese kurz überhochschäumenden, überschäumenden Emotionen. Die kann ich super nutzen, um zu aktivieren.

Balzer: Welche Parteien meinen Sie?

Buyx: Die auf den extremeren Seiten des Spektrums machen das beide. Da werden Ängste geschürt. Das sind im Prinzip alle, die populistisch arbeiten. Das ist ganz klar aus dem Handbuch des Populismus, wenn Sie so wollen. Sie schüren negative Emotionen. Damit kriegt man Aufmerksamkeit, und damit kann man sozusagen Leute aktivieren. Und das muss man sich klarmachen, das passiert im Negativen. Also ist es wichtig, dass diejenigen, die nicht populistisch agieren wollen, die die Demokratie stärken und schützen wollen, sich klarmachen, wir müssen in die positiven Emotionen gehen. Die angstbesetzen Botschaften, das machen die anderen, und zwar sehr erfolgreich. Da muss man sich klarmachen, wir müssen das andere machen, wir müssen das Zusammenhaltende, das Stärkende, das Schützende, das Positive, das Zuversichtliche, das Mutige, ja, vielleicht auch mal das Witzige, also einfach die vielen positiven Emotionen, die man dann ja auch aktivieren kann, das müssen wir, glaube ich, ein bisschen mehr bedienen. Und ich sehe, dass das zum Teil ankommt. Also gerade, weil wir so eine belastete Gesellschaft sind, glaube ich, wird das jetzt immer wichtiger.

Balzer: Alena Buyx, Professorin an der TU München, Vorsitzende des Deutschen Ethikrats im Interview der Woche im Deutschlandfunk. Mein Name ist Vladimir Balzer. Ich danke Ihnen sehr.

Buyx: Herzlichen Dank.


Interview der Woche im Deutschlandfunk

 

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Foto von micheile henderson auf Unsplash