Zum Inhalt springen
OZD.news - News und Nachrichten zum Nachschlagen

Mehrmalige Anklage für dieselbe Tat geht nicht

Karlsruhe: Mehrmalige Anklage für dieselbe Tat verfassungswidrig

Ein rechtskräftig Freigesprochener darf wegen derselben Tat nicht erneut vor Gericht gestellt werden - auch dann nicht, wenn es neue Beweise gibt. 

Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe erklärte am Dienstag eine gesetzliche Neuregelung von 2021 für nichtig. Diese sah vor, dass ein Strafprozess im Fall bestimmter schwerer Verbrechen wie Mord erneut aufgerollt werden kann, wenn neue Beweise eine Verurteilung sehr wahrscheinlich machen. (Az. 2 BvR 900/22)

Das Bundesverfassungsgericht hält die Regelung aber für nicht vereinbar mit dem Grundgesetz. Es gab dem Tatverdächtigen im Fall der vor 42 Jahren getöteten Frederike von Möhlmann recht, der sich gegen die Wiederaufnahme seines Strafprozesses wandte. Diese müsse beendet werden, erklärten die Richterinnen und Richter. Es gebe keine Rechtsgrundlage dafür. Freigesprochene müssten darauf vertrauen dürfen, dass sie nicht noch einmal belangt würden. 

Von Möhlmann war 1981 bei Celle vergewaltigt und getötet worden. Der Verdächtige wurde knapp zwei Jahre nach der Tat aus Mangel an Beweisen rechtskräftig freigesprochen. Nach einem neuen DNA-Gutachten 2012 und der Gesetzesänderung wurde er im vergangenen Jahr erneut festgenommen und sollte vor Gericht gestellt werden. Deshalb zog er nach Karlsruhe und hatte dort nun Erfolg.

Die Neuregelung verstoße gegen das Grundgesetz, urteilte das Bundesverfassungsgericht. Dort ist das Verbot verankert, jemanden wegen derselben Tat mehrmals zu bestrafen. Schon die mehrfache Verfolgung sei verboten, sagte Gerichtsvizepräsidentin Doris König bei der Urteilsverkündung. Das Grundgesetz schütze sowohl einmal verurteilte als auch freigesprochene Menschen.

"Das Recht, nach Abschluss eines rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens vor einem deutschen Strafgericht wegen derselben Tat nicht erneut strafrechtlich verfolgt zu werden, gilt absolut und ist abwägungsfest", sagte König. Selbst wenn sich im Nachhinein herausstellen sollte, dass das erste Urteil falsch war, habe der Gesetzgeber hier keinen Spielraum.

Die Verfassungsrichterinnen und -richter kippten damit die von Anfang an umstrittene Reform, die 2021 noch zu Zeiten der großen Koalition beschlossen worden war. Außerdem hoben sie die Entscheidungen des Oberlandesgerichts Celle und des Landgerichts Verden von 2022 auf. Die beiden Gerichte hatten angeordnet, das Verfahren gegen den Verdächtigen wiederaufzunehmen. 

Das Verfassungsgericht wisse, dass seine Entscheidung für die Angehörigen der getöteten Frederike "schmerzhaft und gewiss nicht leicht zu akzeptieren" sei, räumte König ein. In Karlsruhe sei es nicht um den konkreten Fall gegangen, sondern um den rechtsstaatlichen Grundsatz, der eine Doppelbestrafung verbiete. Die Richterinnen und Richter des Zweiten Senats waren sich bei ihrem Urteil allerdings nicht ganz einig: Die Entscheidung fiel mit sechs zu zwei Stimmen.

Aus der Politik kamen gemischte Reaktionen. Während FDP und Grüne das Urteil begrüßten, zeigten sich Vertreter von SPD und Union enttäuscht. Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) hatte bereits vor einigen Monaten Zweifel an der Neuregelung geäußert. Mit dem Urteil gebe es nun "Klarheit und Rechtssicherheit", erklärte er. Das müsse die Politik respektieren.

Der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Johannes Fechner, teilte mit, es "scheint uns unerträglich, dass ein Täter einer unverjährbaren Tat wie Mord, dem nach vorherigen Freispruch die Tat doch noch nachgewiesen werden kann, nicht in einem zweiten Verfahren verurteilt werden kann". Die Gerichtsentscheidung würde aber "selbstverständlich" akzeptiert.

Es ist demnach nur in wenigen Ausnahmefällen möglich, einem Freigesprochenen wegen derselben Tat noch einmal den Prozess zu machen, etwa bei einem Geständnis. Darauf hofft der Anwalt der Opferfamilie. Der Tatverdächtige könne sich "nicht zurücklehnen", kündigte Wolfram Schädler nach der Urteilsverkündung an. "Wir werden weiter ermitteln nach alter Gesetzeslage und werden versuchen, möglicherweise jemanden zu finden, dem gegenüber er ein Geständnis abgegeben hat."

smb/bro Sarah Maria BRECH / © Agence France-Presse