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Lässt Polen im Wahlkampf die Ukraine hängen?

Polen will Ukraine-Waffenlieferungen auf schon abgeschlossene Verträge beschränken

In einer abrupten Abkehr von seiner bisherigen Linie will Polen die Waffenlieferungen an die Ukraine künftig auf bereits abgeschlossene Verträge beschränken. 

Das teilte ein Regierungssprecher am Donnerstag in Warschau mit und präzisierte damit Angaben von Regierungschef Mateusz Morawiecki vom Vortag. Kurz zuvor war ein Streit zwischen Polen und der Ukraine über Getreideexporte eskaliert. In Brüssel löste die Ankündigung aus Warschau Irritationen aus, der Ukraine-Berichterstatter im Europaparlament sprach von einem "rein wahltaktischem Schachzug".

"Polen realisiert allein die Lieferungen von Munition und Waffen, die zu einem früheren Zeitpunkt beschlossen wurden", sagte Regierungssprecher Piotr Müller nach Angaben der polnischen Nachrichtenagentur PAP. Das schließe die Lieferungen ein, die in Verträgen mit der Ukraine vereinbart worden seien. 

Regierungschef Morawiecki hatte am Mittwoch gar den Stopp der polnischen Waffenlieferungen an die Ukraine angekündigt. Dem Sender Polsat News hatte er gesagt: "Wir transferieren keine Waffen mehr an die Ukraine, weil wir uns selbst mit den modernsten Waffen ausrüsten."

Polen gehört seit dem Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine zu den größten Unterstützern und Waffenlieferanten Kiews. Es ist zudem ein wichtiges Transitland für Waffen, die andere westliche Verbündete der Ukraine schicken. Polen hat rund eine Million ukrainischer Flüchtlinge aufgenommen.

Kurz vor dem Interview Morawieckis war der Streit zwischen Warschau und Kiew über ukrainische Getreideexporte eskaliert. Polen, Ungarn und die Slowakei hatten erklärt, sie würden sich nicht an das von der EU-Kommission beschlossene Ende der Handelsbeschränkungen für ukrainisches Getreide halten.

Westliche Verbündete reagierten zurückhaltend auf die Ankündigung aus Warschau. Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) sagte, er wolle dazu noch keine Einschätzung abgeben, bis er mit seinem polnischen Kollegen Mariusz Blaszczak gesprochen habe. Er kündigte dazu ein Telefonat an.

Die EU sicherte ihre anhaltende militärische Unterstützung für die Regierung in Kiew zu. Die europäische Haltung sei "stabil und unverändert", sagte der Sprecher des EU-Außenbeauftragten, Josep Borrell, Peter Stano. Die EU könne sich nicht zu bilateralen polnischen Zusagen an Kiew äußern. Für Brüssel sei es wichtig, dass sich die EU-Politik gegenüber der Ukraine nicht ändere - im zivilen wie im militärischen Bereich.

Eine hochrangige US-Regierungsvertreterin in Brüssel sagte mit Blick auf den Getreidestreit, sowohl bei dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj als auch bei Morawiecki habe es in den vergangenen Tagen offenbar "Momente der Anspannung" und womöglich auch der "Frustration" gegeben. "Das bedeutet nicht, dass es eine dramatische Veränderung bei der Einheit der Allianz gibt oder bei der Entschlossenheit Polens, die Ukraine so lange wie nötig zu unterstützen."

Deutlicher wurde der Ukraine-Berichterstatter im Europaparlament, Michael Gahler w (CDU). Es sei "mehr als bedauerlich, dass nun auch die Unterstützung der Ukraine zum Spielball im polnischen Wahlkampf gemacht wird". Die nationalkonservative Regierung unter Ministerpräsident Morawiecki scheine "die Flucht nach vorne anzutreten, um von der Visa-Affäre abzulenken", sagte Gahler der Nachrichtenagentur AFP.

"Dieser rein wahltaktische Schachzug wird aber sicher nicht über den (Wahltag am) 15. Oktober hinaus Bestand haben, da die Unterstützung der Ukraine bei der Abwehr des russischen Angriffskrieges im Kern des polnischen wie auch des gesamteuropäischen Sicherheitsinteresses steht", betonte Gahler.

In Polen wird am 15. Oktober ein neues Parlament gewählt. Die Getreideimporte sind ein sensibles Thema in dem Land. Die Regierungspartei PiS (Wikipedia) hat in den landwirtschaftlich geprägten Regionen starken Rückhalt. Bei der Visa-Affäre geht es um den Vorwurf, polnische Beamte hätten gegen Geld tausende bis hunderttausende Visa vor allem in Asien und Afrika illegal vergeben. Darunter sollen auch Schengen-Visa gewesen sein.

mhe/ju © Agence France-Presse