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Die letzte Fahrt der Demeter

Ein Kammerspiel auf hoher See und Ridley Scotts „Alien“ als Inspirationsquelle: „Das Logbuch des Kapitäns“ ist ein generischer Horrorfilm. Eine Rezension.

„Gott scheint uns verlassen zu haben. Wir scheinen einem Unglück entgegenzusegeln. Gott sei mit uns.“ Kapitän Elliot

Zwanzig Jahre ist es her, dass der Drehbuchautor Bragi Schut (Escape Room) sein Script zu diesem blutigen Horrorthriller schrieb. Basierend auf dem Kapitel „Das Logbuch des Kapitäns“ des Bram Stokers Romans Dracula wandte sich das Drehbuch durch die Hände der Direktoren David Salde und Neil Marshall und auch Schauspieler*innen, wie Ben Kingsley, Noomi Rapace, Viggo Mortensen und Jude Law, begeisterten sich für diese Rolle, bloß um wenige Monate später das sinkende Schiff schnellstmöglich zu verlassen. Ähnlich einem Untoten waberte das Drehbuch durch die Filmlandschaft, scheinbar ohne Chance, wiederbelebt zu werden. Bis es plötzlich hieß, dass der Film nun abgedreht sei. Und so kam er gestern in die Kinos.

               Kapitän Elliot (Liam Cunningham) des russischen Handelsschiff Demeter wird beauftragt, 24 mysteriöse Kisten von Varna (Bulgarien) nach London zu transportieren. Mitten auf See beginnt seine Mannschaft zu schwinden und die einzige Chance scheint das Erreichen des englischen Festlands zu sein. Ein Kammerspiel auf hoher See und Ridley Scotts „Alien“ als Inspirationsquelle scheinen mir einen sagenhaften Elevator Pitch darzustellen. Neben Liam Cunningham (Game of Thrones) spielen David Dastmalchian (Oppenheimer), als Schiffsmatt Wojchek, Corey Hawkins (In the Heights), als Arzt und Existenzphilosoph, der am Marfan-Syndrom erkrankte Javier Botet (Conjuring 2), als Dracula, und die blinde Passagierin Aisling Franciosi in diesem Horrorthriller mit. Unter der Aufsicht des Regisseurs André Øvredal enterten sie gemeinsam das Schiff Demeter.

               Der Film öffnet direkt mit dem Ausgang der Reise. Das Schiff liegt zerschollen am Strand. Ein sich erbrechender Polizeibeamter bittet seinen Chef, nicht mehr auf das Schiff zu müssen. Und uns wird das Ende des Logbuchs verraten. Dies steht exemplarisch für den ganzen Film: Er verrät uns von Beginn an das Schicksal der Mannschaft. Nach dreißig Minuten wird unser Monster enthüllt und lässt jeden weiteren Angriff als bloße Wiederholung enttarnen. Einzelne Szenen, auf deren Beschreibung wir hier verzichten, um diese Rezension spoilerfrei zu halten, zeigen ein unbändiges Potenzial, wenn nicht jegliches Pulver zu Beginn des Filmes verschossen worden wäre.

               Der Film an sich hätte ein kaltblütiges, unersättliches Potenzial gehabt. Unser Nosferatu-Monster wurde mit praktischen Effekten designt. So ist der Spanier Javier Botet am Marfan-Syndrom erkrankt, das ihn sein Leben lang wachsen lässt und überdehnbare Gelenke sowie schmale Gliedmaßen zur Folge hat. Wäre unser Monster nicht stets gut ausgeleuchtet auf dem Schiff zu sehen, wäre der Gruselfaktor perfekt. Die aufsteigende Jungdarstellerin Aisling Franciosi, die die blinde Passagierin spielt, legt eine unglaubliche schauspielerische Leistung an der Seite der irischen Filmikone Liam Cunningham hin. Das liebevolle Bühnendesign des Schiffs, deren Szenen in dem Filmstudio Babelsberg gedreht wurde, und das authentische Kostümdesign, hätten uns die Möglichkeit des Eskapismus geboten. Die herzzerreißende Geschichte des Enkels des Kapitäns Toby (Woody Norman), der in dem Arzt Clemens schnell einen Freund fand, führt uns friedlos durchs Kammerspiel. Zudem gab es die brutalste Variante der „Here’s Johnny!“-Anspielung aus dem Stanley Kubrick Klassiker „Shining“, die ich je sehen durfte. All dies ist qualitativ bei weitem hochwertiger als bei Filmen, denen das doppelte Filmbudget zur Verfügung gestellt wurde (der Film hatte 47 Millionen US-Dollar zur Verfügung, und hiervon stammten 7 Millionen aus der deutschen Filmförderung).

Das Drehbuch lässt den Film allerdings zu einem generischen Horrorfilm verkommen; wäre er schlecht gewesen, dann hätten sich zumindest Trashfilm-Fans freuen können.

Bewertung: 54/100

Textrechte: Marcel Guthier