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Scholz Rede zum Unternehmertag NRW

Wir beschließen in diesem Monat ein Wachstumschancengesetz. Damit bauen wir Bürokratie ab und fördern Investitionen, ...

Sehr geehrter Herr Kirchhoff,

sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete,
Ministerinnen und Minister,
meine Damen und Herren,

schönen Dank für die Einladung und für die Gelegenheit, gleich noch mit Ihnen ins Gespräch zu kommen und die Fragen weiter zu erörtern. Danken möchte ich Ihnen auch für das, was Sie in diesen Tagen leisten; denn natürlich gehen wir als Land und als viertgrößte Volkswirtschaft der Welt gerade durch sehr fordernde Zeiten.

Krieg, Energiekrise, Inflation, die Folgen der Coronapandemie ‑ all das geht an Ihren Unternehmen nicht spurlos vorbei. Solche externen Faktoren lassen sich allerdings auch nicht per Knopfdruck abstellen. Und dennoch: Gemeinsam können wir dafür sorgen, dass unser Land gut damit zurechtkommt; denn bei allen Schwierigkeiten ‑ eines lässt sich nicht bestreiten: Deutschland ist deutlich besser durch diese Krisenzeit gekommen, als viele uns das vorhergesagt haben.

Unser Kurs, die Ukraine zu unterstützen ‑ entschlossen und zugleich besonnen ‑, hat sich als richtig erwiesen. Dazu gehört: Die NATO ist nicht Kriegspartei geworden, und das wird auch so bleiben.

Aus der Coronapandemie sind wir am Ende besser herausgekommen als viele andere Länder ‑ mit weniger Todesopfern und dank zielgerichteter Hilfen sowie der Möglichkeit zur Kurzarbeit auch mit geringeren wirtschaftlichen Einbußen.

Was wurde uns nicht alles vorhergesagt, als Russland im vergangenen Jahr um diese Zeit seine Gaslieferungen eingestellt hat: Wutwinter, Energieengpässe, Gaszwangsrationierung, eine tiefe Rezession. Nichts davon ist eingetreten, weil wir rechtzeitig genügend Gas eingespeichert haben, weil wir mit beispielloser Geschwindigkeit Flüssiggasterminals ans Netz geholt haben, weil wir Gas über die westeuropäischen Häfen und zusätzliches Gas aus Norwegen importiert haben und weil viele Haushalte und Unternehmen Gas eingespart oder auf andere Energiequellen umgestellt haben.

Natürlich müssen die Energiepreise weiter sinken. Ich werde gleich noch mehr dazu sagen. Aber von den extremen Preisen des vergangenen Jahres sind wir meilenweit entfernt, weil wir ihnen mit unseren Energiepreisbremsen die Spitze genommen haben. Aktuell ist Strom für Neukunden so günstig wie zuletzt vor Beginn des russischen Angriffskriegs. Das soll kein Aufruf sein, jetzt die Hände in den Schoß zu legen. Ganz im Gegenteil! Aber diese Beispiele zeigen doch: Unser Land ist durchaus in der Lage, die Probleme unserer Zeit zu meistern.

Das gilt erst recht für Versäumnisse, die hausgemacht sind. Die Energiewende wurde jahrelang viel zu zögerlich vorangetrieben. In den vergangenen 10, 15 Jahren hat der Staat zu wenig in unsere Infrastruktur und in die Digitalisierung investiert. Der Mangel an Fachkräften hat sich seit Jahren abgezeichnet. Aber zur Wahrheit gehört: Ein modernes Einwanderungsrecht war zuvor politisch nicht durchsetzbar. Ich stimme Ihnen zu: Unser Staat muss dringend wieder lernen, Tempo zu machen ‑ auf allen Ebenen.

Doch diese Probleme sind zum Glück nicht nur erkannt und benannt. Wir befinden uns mitten in einer Zukunftswende. Ich will das am Beispiel von Nordrhein-Westfalen deutlich machen.

Bei NRW denken viele als Erstes an Industrieriesen wie thyssenkrupp, Bayer oder Rheinmetall, an weltweite Dienstleister wie die Deutsche Post DHL oder die Deutsche Telekom. NRW, das ist aber auch ein breit aufgestellter, starker Mittelstand mit unzähligen „hidden champions“. Die sprichwörtlichen „Fabriksken im Keller“, wie man bei Ihnen vor Ort so sagt, Herr Kirchhoff, sind gemeint, die aber gar nicht so sehr im Keller sind, sondern sehr oft auch Weltmarktführer und die in der ganzen Welt mitspielen.

Angesichts dieser strukturellen Breite und Tiefe ist es nicht verwunderlich, dass man die aktuellen Herausforderungen und Chancen für unsere Wirtschaft hier in Nordrhein-Westfalen wie durch ein Brennglas betrachten kann. Also, reden wir vom Industrieland Nordrhein-Westfalen.

Seine große Stärke ist, dass hier auf relativ kleinem Raum praktisch alle Glieder der wichtigsten Wertschöpfungsketten zusammenkommen: von der Grundstoffchemie bis zum fertigen Kunststoff oder Pharmaprodukt, von der Stahlerzeugung bis zum fertigen Auto oder der komplexen Maschine. Ich will es ganz klar sagen: Ich will, dass das so bleibt.

Nehmen Sie zum Beispiel die Stahlindustrie. Es gibt einige auch bekannte Ökonomen, die uns sagen: Es ist doch nicht so schlimm, wenn hier in Deutschland kein Stahl mehr produziert wird. Dann kommt er eben von anderswo. ‑ Ich bin da entschieden anderer Meinung. Eine hochspezialisierte Industrieregion wie Nordrhein-Westfalen lebt davon, dass alle Verarbeitungsstufen hier vor Ort sind.

Ich möchte, dass eine Zukunftstechnologie wie die Herstellung von grünem Stahl nicht nur in den USA oder in Asien zu Hause ist, sondern von Anfang an auch hier in Deutschland. Deshalb ist es richtig, dass der Bund und das Land thyssenkrupp dabei unterstützen, um die Ecke von hier, in Duisburg, die erste zu 100 Prozent wasserstofffähige Direktreduktionsanlage für die Stahlproduktion zu bauen. Projekte wie dieses zeigen: Es ist kein Widerspruch, klimaneutral zu werden und zugleich ein starkes Industrieland zu bleiben. Das zeigen übrigens auch die Milliardeninvestitionen in Zukunftstechnologien, die wir derzeit im ganzen Land erleben ‑ all dem gleichzeitigen Gerede von der Deindustrialisierung zum Trotz. Es ist manchmal etwas merkwürdig, dass am gleichen Tag in der gleichen Sendung oder in der gleichen Zeitung von diesen milliardenschweren Direktinvestitionen berichtet wird und sich dann die allgemeine Klage erhebt, das Gegenteil sei der Fall. Ich finde, da sollten doch die Fakten zählen.

Vor anderthalb Jahren galt der Halbleitermangel als die große Wachstumsbremse unserer Industrie. Was Chips angeht, war Europa abgehängt und abhängig, vor allem von asiatischer Konkurrenz. Was ist seitdem passiert? ‑ Die Lieferketten haben sich stabilisiert. Vor allem aber ist Deutschland gerade dabei, zu dem Halbleiterstandort Europas zu werden, zu einem der bedeutendsten weltweit.

Intel investiert 30 Milliarden in eine neue Chipfabrik in Magdeburg. Das ist die größte Einzelinvestition in der Geschichte Europas. Infineon baut in Dresden eine neue Halbleiterproduktion auf. Wolfspeed und ZF machen das im Saarland. Erst vergangene Woche hat der größte Chiphersteller der Welt, TSMC aus Taiwan, angekündigt, zusammen mit Bosch, Infineon und NXP hier in Deutschland eine moderne Fabrik für die Herstellung von 300-mm-Chips zu bauen ‑ für die Chips also, die gerade unsere Automobilindustrie ganz besonders braucht. Davon profitiert natürlich auch Nordrhein-Westfalen.

Erst im Juni war ich bei Ford in Köln, wo demnächst die E-Autos für den europäischen Markt vom Band laufen. Auch Zulieferunternehmen wie Ihres, lieber Herr Kirchhoff, brauchen solche Chips. Deshalb ist es richtig, dass der Bund diese Investitionen fördert und zugleich in die Infrastruktur investiert, damit die Rahmenbedingungen für unsere Wirtschaft besser werden.

Wir investieren in eine Erneuerung der Bahn, in bessere Straßen und neue Brücken, in ein flächendeckendes Ladesäulennetz, in Glasfaserleitungen und in den Wasserstoffhochlauf. In diesem und im kommenden Jahr steht dafür allein im Bundeshaushalt die Rekordsumme von 54 Milliarden Euro zur Verfügung ‑ über 40 Prozent mehr, was Investitionen betrifft, als 2019, dem letzten Jahr vor der Coronapandemie.

Im Wirtschaftsplan des Klima- und Transformationsfonds stehen für das nächste Jahr zusätzlich fast 58 Milliarden Euro, die in genau die Aufgaben investiert werden können und sollen, über die ich eben gesprochen habe und die für unsere Zukunft so wichtig sind. Wenn man beides zusammenführt, sind das mehr als 100 Milliarden Euro öffentlich unterstütztes Direktinvestment. Das ist eine ziemlich große Summe. Ich glaube, dass sie bei den Debatten über die Frage, was zu tun ist, eine Rolle spielen sollte.

Weil in diesen Tagen so oft vom amerikanischen Inflation Reduction Act die Rede ist, will ich eines hinzufügen: Wir Europäer müssen uns nicht verstecken. Mit dem Green-Deal-Industrieplan macht die Europäische Union Investitionen in Europa deutlich unkomplizierter und auch attraktiver.

Hinzu kommt der schon erwähnte deutsche Klima- und Transformationsfonds. Ich habe die Summe genannt, die im Wirtschaftsplan für das nächste Jahr zur Verfügung steht. Insgesamt stehen in diesem Fonds 210 Milliarden Euro für die nächsten Jahre bereit. Das ist ziemlich viel an Mitteln für Investitionen genau in die Bereiche, um die es hier tatsächlich geht. Damit können wir in den nächsten Jahren kraftvoll investieren: in die Entwicklung und Ansiedlung neuer Technologien, in die Energieversorgung, in klimafreundliche Mobilität, in digitale Infrastruktur und in die Sanierung von Gebäuden. Gemessen an der Größe unseres Landes und unserer Wirtschaftskraft kann es dieser Fonds durchaus mit dem aufnehmen, was wir aus den USA kennen.

Auch das zeigen übrigens die Entscheidungen ganz unterschiedlicher Unternehmen, sich hier in Deutschland anzusiedeln oder neue Geschäftsfelder zu erschließen und auszubauen. Siemens baut seinen neuen High-Tech-Campus nicht in China oder den USA, sondern in Erlangen. Varta, BASF, CATL, Northvolt, ACC und viele andere investieren überall im Land in neue Batteriefabriken. Alle großen Stahlhersteller in Deutschland arbeiten am Umstieg auf grünen Stahl. Über thyssenkrupp habe ich schon gesprochen. Ich könnte noch Salzgitter erwähnen. ArcelorMittal ist dabei, entsprechende Entscheidungen zu treffen und dabei auch unterstützt zu werden. Die Liste ließe sich lange fortführen. Zusammen summieren sich die Zukunftsinvestitionen, die das Wirtschaftsministerium registriert, weil sie in Berührung mit unseren Förderprogrammen stattfinden, auf über 80 Milliarden Euro. Das ist nicht wenig Investment, das überall in Deutschland geplant ist.

Eine Frage, die jeden Investor interessiert und die jeder uns und auch Ihnen stellt, ist natürlich die nach der Energieversorgung und den damit verbundenen ‑kosten. Ein entscheidender Standortvorteil ist, ob vor Ort genug erneuerbare Energie vorhanden ist. Auch das sollte nicht vergessen werden. Bei vielen Investitionen spielt genau das eine Rolle, weil die Unternehmen für den Weitervertrieb und den Verkauf ihrer Produkte nachweisen müssen, dass das in ausreichender Menge aus CO2-neutraler Produktion stammt. Deshalb ist erneuerbare Energie eine Voraussetzung für viele der langfristigen Investitionsentscheidungen, die jetzt jeden Tag in der Welt getätigt werden. Was das angeht, stehen der Norden und der Osten unseres Landes momentan besser da als unsere industriellen Ballungszentren im Westen und im Süden. Deshalb müssen wir auch Übertragungsnetze und Speicher mit neuer Deutschland-Geschwindigkeit, mit neuem Deutschland-Tempo, zu dem Sie aufgerufen haben, bauen.

Der Chef von E.ON hat in einem Interview vor Kurzem sinngemäß gesagt: Um die nötige Infrastruktur für die Energiewende zu bauen, braucht sein Unternehmen allein in einem der Netzgebiete rund 600 Planfeststellungsverfahren. Außer beim Anschluss der Tesla-Fabrik in Brandenburg haben die Behörden der betroffenen Länder bisher kein einziges dieser Verfahren abgeschlossen. So kann und so wird es nicht weitergehen! Darüber reden wir derzeit auch intensiv mit den Ländern und den Kommunen.

Als Bund haben wir gleich zu Beginn unserer Regierungszeit drei große Pakete geschnürt, um mehr Tempo möglich zu machen. Der Ausbau der Erneuerbaren hat nun Vorrang vor anderen Rechtsgütern bei Abwägung. Zwei Prozent der Landesfläche sollen für Windenergie zur Verfügung stehen.

Das Planungs- und Genehmigungsrecht haben wir vereinfacht und beschleunigt, unter anderem indem wir den Dauerkonflikt zwischen Naturschutz und dem Ausbau der erneuerbaren Energien aufgelöst haben. Und wir bleiben da dran.

Gesetz für Gesetz trimmen wir auf Schnelligkeit, damit wir bis 2030 80 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energien herstellen.

Ich will ausdrücklich sagen: Es wird mehr Strom sein als heute; denn wir werden mit der Strommenge, die wir heute haben, nicht auskommen, weil zur Dekarbonisierung der Industrie in großem Umfang die Nutzung von Strom dazugehört. Deshalb rechnen wir um das Jahr 2030 mit 750 bis 800 Terawattstunden statt der heutigen 650. Ich sage auch klar: In den 30er-Jahren werden wir etwa 1000 Terawattstunden Strom brauchen. Weil man das ernst nehmen muss, haben wir die Methode geändert. Wir haben nicht gesagt: „Das muss kommen. Gucken wir mal, wie weit wir kommen“, sondern wir haben gefragt: „Wann muss was fertig sein?“ ‑ Wir gehen jetzt rückwärts und fragen, wie wir das hinbekommen, damit die Dinge zu den Zeitpunkten, zu denen es notwendig ist, auch tatsächlich fertiggestellt sind.

Ganz bewusst und um diese Frage vom abstrakten Reden zu etwas Konkretem werden zu lassen, habe ich vor einigen Monaten öffentlich ausbuchstabiert, was das bedeutet: vier bis fünf Windräder und 43 Fußballfelder Photovoltaikanlagen ‑ wohlgemerkt pro Tag ‑, dazu Speicher und Tausende Kilometer neue Leitungen. Als ich das erstmals öffentlich gesagt habe, haben viele den Kopf geschüttelt nach dem Motto: Wie soll das denn funktionieren? ‑ Heute sehen wir: Es geht.

In den ersten sechs Monaten haben wir im Schnitt jeden Tag über 30 Fußballfelder Photovoltaik installiert. Das sind fast doppelt so viele als noch vor einem Jahr. Bei den Windrädern haben wir im ersten Halbjahr rund 400 neu ans Netz genommen ‑ über 50 Prozent mehr als in der gleichen Zeit im Vorjahr. Vor allem aber haben wir dank einfacherer Regeln allein im Juni 211 neue Windräder in Deutschland genehmigt. Das sind sieben pro Tag, also bereits mehr als die vier bis fünf, die wir im Schnitt pro Tag bauen müssen.

NRW liegt beim Zubau inzwischen auf Platz drei der Bundesländer. Bei den Ausschreibungen der Bundesnetzagentur belegt NRW mit 859 Megawatt den ersten Platz ‑ so wie es sich für ein Land gehört, das immer schon Energieland war.

Mir zeigt das: Deutschland-Geschwindigkeit geht nicht nur beim Bau von Flüssiggasterminals. Deutschland-Geschwindigkeit funktioniert auch beim Bau von Windrädern und Solaranlagen, von Überlandleitungen und Speichern, beim Bau von Kraftwerken, die Wasserstoff-ready sind und die wir brauchen, wenn der Strom aus Sonne, Windkraft und Wasserkraft nicht ausreicht.

Vielleicht noch diese Bemerkung: Wir treffen jetzt die Entscheidung, damit diese Kraftwerke, die als Prototypen neu entwickelt werden müssen und so noch nicht gebaut worden sind, in den 30er-Jahren in ausreichender Zahl tatsächlich ihren Betrieb aufnehmen können. Wir haben das nicht als abstrakte Planung gemacht. Die von Ihnen vor Kurzem wahrgenommene Meldung der Europäischen Union war ja, dass sie uns die Unterstützung dieser Investments genehmigt hat. Wir werden das jetzt auf den Weg bringen; denn das muss jetzt losgehen, damit das 2030 und in den folgenden Jahren auch tatsächlich gebaut ist.

Das gilt auch für das Wasserstoffnetz, für das wir bis zum Jahresende die notwendigen Voraussetzungen schaffen werden. Dazu der Hinweis: Wir haben uns entschieden, dass das ein privatwirtschaftliches Investment sein wird. Wir wollen, dass sich die heutigen Gasnetzbetreiber auch diese Aufgabe vornehmen. Aber das ist ein sehr, sehr ambitioniertes Projekt; denn damit das klappt, müssen jetzt diejenigen, um die es dabei geht, Entscheidungen treffen und alle zusammen Milliarden investieren, damit sie Geld über einen Zeitraum von 20, 30, vielleicht 40 Jahren verdienen. In den ersten Jahren wird das ein Investment sein, das notwendig ist, damit das mit der Wasserstoffwirtschaft auch tatsächlich klappt. Aber da fließt dann noch nicht genug durch, um die Finanzierungskosten für die Netze darüber wieder einzubringen. Das muss über eine so lange Strecke geschehen.

In enger Zusammenarbeit zwischen den Verantwortlichen in der Bundesnetzagentur, den politisch Verantwortlichen und der Wirtschaft kann es gelingen, dass wir jetzt eine so gigantische Infrastrukturaufgabe auf den Weg bringen, damit alles rechtzeitig entsteht und zur Verfügung steht. Wir werden das jetzt tun. Da ist es vielleicht sogar ein Vorteil, dass wir wegen der Notwendigkeit, die Energieversorgung Deutschlands mit Gas sicherzustellen, jetzt an den norddeutschen Küsten LNG-Terminals gebaut haben; denn damit ist der Rahmen geschaffen, der uns in die Lage versetzt, die übrige Investition drum herum zu gruppieren.

Das ist eine gute Nachricht für das Energieland NRW; denn mit all diesen strukturellen Verbesserungen werden wir auch die Strompreise Schritt für Schritt drücken können. Ich weiß: Gerade die energieintensiven Branchen warten darauf. Nordrhein-Westfalen hat ja bekanntermaßen sehr viele davon.

Aber auch das gehört zur Wahrheit dazu: Ein schuldenfinanziertes Strohfeuer, das die Inflation wieder anheizt, oder eine Dauersubvention von Strompreisen mit der Gießkanne können wir uns nicht leisten und wird es deshalb auch nicht geben. Das wäre ökonomisch falsch, fiskalisch unsolide und würde sicherlich auch falsche Anreize setzen.

Ich danke den Marktwirtschaftlern unter den Anwesenden. ‑ Wir setzen stattdessen auf strukturelle Lösungen.

Wir beschließen noch in diesem Monat ein Wachstumschancengesetz. Damit bauen wir Bürokratie ab und fördern Investitionen, ganz besonders in Forschung und Entwicklung und in klimafreundliche Produktion. Vor allem aber entlasten wir Unternehmen auf breiter Front.

Dazu werden wir zeitlich befristet deutlich bessere Abschreibungsbedingungen schaffen. Das sorgt unmittelbar für höhere Liquidität in Ihren Unternehmen und sendet das Signal: Die richtige Zeit zu investieren ist jetzt!

Auch für Start-ups, kleine und mittlere Unternehmen bringen wir Erleichterungen auf den Weg ‑ vor allem was den Zugang zum Kapitalmarkt angeht. Gerade heute haben wir das Zukunftsfinanzierungsgesetz beschlossen, das alle diese Regelungen beinhaltet, und als Kabinett auf den Weg gebracht.

Meine Damen und Herren, parallel arbeiten wir mit den Ländern intensiv daran, Planungs-, Genehmigungs- und Verwaltungsverfahren noch weiter zu beschleunigen und unseren Staat einfacher und digitaler zu machen, auch mithilfe von künstlicher Intelligenz. Die Vorschläge des Bundes dazu liegen derzeit bei den Ländern. Ich wünsche mir hierzu in den kommenden Monaten sehr klare, gemeinsame Beschlüsse, damit das auch funktioniert.

Ein Feld, bei dem dringend mehr Tempo auch in den Verwaltungen nötig ist, ist die Suche nach Fachkräften. Sie selbst haben davon gesprochen. Wir brauchen Arbeitskräfte und Fachkräfte. Ich will ausdrücklich dazusagen: Das ist in den letzten Jahren ganz gut gelungen. Dazu mussten wir aber nicht allzu viel können; denn die Freizügigkeit in der Europäischen Union hat es uns ermöglicht, dass wir eine ganz andere Situation auf dem Arbeitsmarkt haben, als uns die Statistiker Ende der 90er-Jahre vorgerechnet und vorhergesagt haben. Millionen zusätzliche Arbeitskräfte sind im deutschen Arbeitsmarkt tätig. Wir haben die höchste Zahl von Erwerbstätigen in der Geschichte unseres Landes. Wir haben die höchste Zahl sozialversicherungspflichtiger Beschäftigter in der Geschichte unseres Landes und wären, hätten sich die Vorausberechnungen von vor 20 Jahren bewahrheitet, heute bei niedrigsten Werten, unterhalb der Werte, die wir um die Jahrtausendwende hatten. Das ist die reale Veränderung, die stattgefunden hat. Aber nun geht es darum, dass wir in einer Situation, in der das nicht mehr so ganz einfach geht, trotzdem das schaffen, was für unseren Arbeitsmarkt wichtig ist, nämlich genügend Arbeitskräfte zu begeistern, um in unseren Unternehmen zu arbeiten.

Wir sorgen dafür, das inländische Potenzial besser auszuschöpfen. Dazu gehört auch die Weiterbildung im Betrieb. Ich will ausdrücklich sagen, dass ich mich noch ganz gut an die Lehman-Brothers-Krise und den ersten großflächigen Einsatz von Kurzarbeit erinnere, bei dem wir miteinander gesprochen und zusammen gehandelt haben. Ich habe damals versucht, die nicht Beschäftigten in Weiterbildungsprogrammen unterzubringen. Ich konnte alle, die das gemacht haben, persönlich besuchen. Das war nicht so erfolgreich.

Aber jetzt sehe ich ganz viele Betriebe, die etwas herausgefunden haben: Es gibt viele, die bei ihnen als Angelernte, als Ungelernte tätig sind, die seit Jahren eine gute Arbeit leisten und deren Handlungsspektrum man noch einmal erweitern kann, obwohl sie schon 31, 42 oder 51 Jahre alt sind. Und das klappt. Das zeitigt sehr große Erfolge. Ich kann nur allen empfehlen, das auch in dem großen Stil zu machen, wie manche Unternehmen es jetzt tun.

Natürlich geht es auch darum, es für Ältere leichter zu machen, dass sie berufstätig sein können. Das ist mit den Gesetzen zur gleichzeitigen Beschäftigung während der Rente möglich geworden. Jetzt muss man nur alle überzeugen, damit sie auch Lust haben. Das ist eine Aufgabe, die dann, glaube ich, bei Ihnen liegt. Das Gleiche gilt für die gezielte Vorbereitung Jugendlicher auf eine Ausbildung.

Wir wissen zusammen mit den Gemeinden und den Ländern: Wir brauchen gute Kinderbetreuungsmöglichkeiten; denn natürlich wird sich manche junge Frau oder mancher junge Mann erst dann für Vollzeitarbeit entscheiden, wenn das mit der Berufstätigkeit und dem Unterstützen der eigenen Kinder auch klappt. Das ist eine zentrale Aufgabe.

Aber ich muss Ihnen nicht sagen, dass das alles nicht ausreichen wird; das wissen Sie selbst. Die Lücke ist groß, wenn 13 Millionen Babyboomer ‑ ein niedliches Wort für Leute um die 60 ‑ bis Mitte des nächsten Jahrzehnts in Rente gehen. Deshalb haben wir mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz, das Sie eben schon erwähnt haben, das modernste Einwanderungsrecht geschaffen, das Deutschland je hatte. Das lässt sich auch im internationalen Vergleich sehen. Natürlich kommt es jetzt auf die Umsetzung an ‑ bei uns allen. Das wissen wir. Deshalb legen wir die Hände, mit denen wir Gesetze gemacht haben, nicht in den Schoß, sondern wir werden ganz praktisch schauen: Wie können wir es so einfach und so unbürokratisch wie möglich regeln, damit die vielen Frauen und Männer in der Welt, die gerne hier arbeiten würden und die mit ihren Fähigkeiten und Talenten gebraucht werden, das auch tatsächlich können?

Deshalb sind wir froh über die Verständigung mit den Ländern hinsichtlich der Digitalisierung der Ausländerbehörden. Das wird uns sehr helfen, auch die Prozesse zu entbürokratisieren. Wir werden uns auch für das, was im Ausland geschieht, noch neue Wege anschauen, wie wir das so einfach wie möglich machen können, damit das tatsächlich klappt, damit Ihre Unternehmen die Frauen und Männer bekommen, die Sie für Ihre Tätigkeit brauchen.

Meine Damen und Herren, seit dem 19. Jahrhundert ist Nordrhein-Westfalen ein Integrationsland. Damals zogen Arbeiter aus halb Europa ins boomende Ruhrgebiet. Ich bin überzeugt: Diese DNA kommt Nordrhein-Westfalen auch heute zugute, wenn es darum geht, gute Leute zu finden, die hier mit anpacken wollen.

Industrieland, Energieland, Integrationsland ‑ eine Zuschreibung fehlt noch, wenn wir über die Stärken des Landes Nordrhein-Westfalen reden. Nordrhein-Westfalen ist auch ein erfahrenes Transformationsland. Bei einem seiner Besuche in Nordrhein-Westfalen hat der frühere Bundespräsident Joachim Gauck über den Strukturwandel gesagt: „Es ist zur Last geworden, was einst Reichtum begründet hat.“ Ich finde, die Erfolgsgeschichte dieses Landes beweist aber noch etwas ganz anderes, nämlich dass die vermeintliche Last des Strukturwandels auch neuen Wohlstand begründen kann.

Mit dem Aufbruch weg von rauchenden Schloten und Zechen hin zu innovativen Industrie- und Dienstleistungsunternehmen hat Nordrhein-Westfalen doch bewiesen, wie anpassungsfähig, resilient und erfolgreich deutsche Unternehmen im Wandel sind. Diese Erfahrung ist heute Gold wert; denn wir stecken mitten in der größten Erneuerung unserer Wirtschaft seit Beginn der Industrialisierung ‑ angetrieben von der Digitalisierung und der Dekarbonisierung.

In puncto Transformation aber macht Ihnen hier in Nordrhein-Westfalen keiner etwas vor. Das gibt Zuversicht, die wir gut gebrauchen können; denn Bedenkenträger und Kassandra-Rufer gibt es da draußen schon genug. Also, packen wir’s an!