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Vorlesung auf Schloss Gripsholm

Zum Semesterstart großäugige Impressionen eines Maulwurfs

Da war sie vorbei, die schöne Zeit der Muße, die viele für eine Hausarbeit nutzen mussten, aber die meisten sicher besser verbracht haben.


Semesterstart, das heißt seit 1. Oktober für über 50.000 mehr oder weniger junge Menschen, jetzt geht es endlich richtig los! Ab jetzt wird der Klassenraum gegen den Hörsaal eingetauscht. Die Anwesenheit ist meist auch noch freiwillig, wenn das keine Gelegenheit für Selbstdisziplin ist.


Auch für mich bot der bis zum Klimawandel stets goldene Oktober wieder neue Eindrücke. Allein der erste, keine Vorlesung mehr um acht in der Früh, lässt einem schon mal ein kleines Lächeln über das Gesicht huschen. Aber bis es erst einmal dazu kommt, muss man Bürokratien bearbeiten, die die meisten anderen wohl in den Schatten stellen. Da müssen Formulare im Netz gesucht, ausgedruckt, ausgefüllt, eingetütet, frankiert und abgeschickt werden, um ein Zimmer von dem weiter, der es hochgeladen hat, wieder postalisch und einzutrudeln. Oder es wird erwartet, sich für Seminare und ähnliches anzumelden, bevor man überhaupt die Zusage zum Studienplatz bekommen hat.

Manchmal wirkt es, als ob Öttinger, unser ehemaliger Digitalkommissar aus Brüssel direkt eine Anstellung bei der WWU ergattern konnte. Das Mailsystem ist so alt, dass es beinahe auf meinem alten C64 noch gelaufen wäre und dessen Bildschirm war ein Röhrenfernseher.


Aber wenn man all die Zeugnisse kopiert, Unterlagen ausgedruckt und an diversen Stellen in Doppelausführung eingereicht hat, darf man sich freuen, am Abend des ersten Orientierungswochenalltages diesen Erfolg mit einem lauwarmen Dosenbier krönen zu können. Hmmmm lecker. Wohl dem, der auf seiner eigenen Matratze schlafen kann, denn in Münster sind die Wohnungsdurchschnittspreise mit 12,90 Euro pro Quadratmeter 1,50 Euro teurer als im Bundesdurchschnitt.


Und während die Mediziner schon all die sozialen Beziehungen gekappt und dem Wahnsinn nahe sind, haben wir Geisteswissenschaftler erst einmal ausgeschlafen und uns um elf Uhr dazu gratulieren lassen, wie klug wir doch sind, Germanistik zu studieren. An dieser Stelle hat man vielleicht etwas leichtfüßig das "auch" vergessen, denn das macht aus einer Aufgabe erst eine Herausforderung, denn die Klausuren sind nicht ohne, und vier Monate sind schnell um. Gut, dass einen das alte Gemäuer und die niederen Instinkte des „ES“, also Mutter Natur, beim Blick durch die Kommilitonen heimlich an einen Trip nach Schloss Gripsholm erinnert; meistens zumindest, denn manchmal kann dieser Umstand auch die Synapsen an ihrer Arbeit hindern oder sagen wir besser, die Aktionspotentiale tun wie ihnen geheißen, was aber nicht heißt, dass sie machen, was das Ich will.


Warum ich jetzt dennoch vorm Rechner und nicht auf einem wackligen Barhocker sitze? Das ist ganz einfach, weil ich den Eingang zu einer Veranstaltung nicht gefunden habe. Geisteswissenschaftler eben. Also so lange denken, bis das Denken der Gedanken zum gedankenlosen Denken geworden ist, was eigentlich nicht so gedacht war. Es sei denn, man betrachtet das Leben überhaupt, als schlichten evolutionären Zyklus der Spezieserhaltung. Dann könnte es richtig sein, nicht zu wissen, wo es rein geht, denn man begegnet so vielleicht dem wichtigsten Menschen in seinem Leben. Und wenn nicht da, dann vielleicht in der Vorlesung. Ob dann Goethe, Schiller, Watson und Cricks (Entdecker der DNA Doppelhelix) oder Einstein, das Thema der Sitzung oder des Gespräches sein werden, ist dabei nicht wichtig - außer man studiert Philosophie. Dann kann ein Zitat schon sehr aussagekräftig sein und das Mojo oder die Libido des Angebeteten sehr schnell verfliegen lassen. Siehe David Hume, wer so skeptisch ist, dass nichts sein muss, darf sich nicht wundern, wenn der Schluss daraus gezogen wird, dass das Gespräch selbst oder gar die erhofften Folgen, wohl am obsoletesten sind.


Ich wünsche jedenfalls allen (Neu-)Münsteranern viel Spaß und gute Nerven beim Semesterstart und die Geduld zu ertragen, was kein Verstand für logisch aber die Bürokratie für nötig hält.


Foto: Ulf Muenstermann