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Türkei-Wahl: Wahlbeobachterin im Interview

Am Sonntag, den 14. Mai 2023 finden in der Türkei die Präsidentschafts- und Parlamentswahl statt. Mehr als 64 Millionen türkische Staatsbürger*innen haben an dem Tag die Chance ihre Stimme abzugeben und damit maßgeblich über die politische Zukunft des Landes zu entscheiden.

Aktuelle Wahlprognosen deuten darauf hin, dass es eine knappe Wahl zwischen dem amtierenden Präsident Erdoğan mit seiner islamisch-konservativen Partei AKP in einem Wahlbündnis namens „Volksallianz“ und dem Oppositionsführer Kilicdaroglu wird, der als gemeinsamer Kandidat für eine Allianz aus sechs Oppositionsparteien unterschiedlicher Lager antritt.

Zum ersten Mal in der zwei Jahrzehnten langen Amtszeit steht Erdoğan nicht schon im Vorfeld als klarer Favorit fest, weshalb die heutige Wahl als Richtungswahl bezeichnet wird. Die zunehmende Unsicherheit bezüglich Erdoğans Wahlsieg ist hauptsächlich auf die wirtschaftliche Situation im Land zurückzuführen. Die Opposition behauptet, dass die Inflation dreistellig ist, während die offiziellen Zahlen eine Inflationsrate von 50 Prozent verzeichnen. Die Währung hat ebenfalls stark an Wert verloren und die Jugendarbeitslosigkeit liegt knapp bei 20 Prozent. Das jüngste Erdbeben und das mangelhafte Krisenmanagement haben bei vielen Menschen zusätzlich zu ihrem Unmut gegenüber der Regierung beigetragen.

Mit der Einführung eines Präsidialsystems im Jahr 2018 hat Präsident Erdoğan eine beispiellose Machtfülle erlangt. Kritiker*innen warnen daher davor, dass die Türkei vollständig in eine Autokratie abdriften könnte, sollte Erdogan erneut bei den Wahlen erfolgreich sein.


Eine entscheidende Rolle spielen bei dieser Wahl daher die geschulten Wahlbeobachter*innen, die von der Opposition und Zivilrechtsorganisationen in die Wahllokale geschickt worden sind, um die Stimmabgabe, die Stimmenauszählung und den Transport der Stimmzettel zu den Sammelstellen zu beobachten und so Wahlmanipulation zu verhindern.

 

Die Wahlbeobachterin Ceyda G*., die bei der Parlamentswahl für Türkischstämmige in Deutschland tätig war, beschreibt ihre Tätigkeit in den Wahllokalen in Deutschland wie folgt: „Ich beobachte die Wahl, um zu verhindern, dass es zu Manipulationen kommt, zum Beispiel stellen wir so sicher, dass alle Wähler*innen ihren Ausweis vor der Wahl zeigen und dass die Wähler*innen allein abstimmen.“ Sie berichtet davon, dass die Stimmung in den Wahllokalen zwischen Anhänger*innen der AKP und der Opposition teilweise sehr angespannt war und dass es mitunter zu Auseinandersetzungen und Anfeindungen und Provokationen gegenüber der Wahlbeobachter*innen der Opposition gekommen ist. Ceyda G. schildert, dass das Sicherheitspersonal und die Wahlbeamt*innen in den Wahllokalen eigentlich neutral sein sollte, aber dass bei den beobachteten Wahlen das eingesetzte Personal sich der AKP angehörig gezeigt hat, wodurch es zu Streit kam, da das Personal nicht alle Wähler*innen kontrolliert hat, wodurch sich die Wahlbeobachter*innen der Opposition unter Druck gesetzt gefühlt haben.

Insgesamt bewertet die Wahlbeobachterin die große Unterstützung der Deutschtürk*innen für Erdoğan als problematisch, da die türkischstämmigen Menschen in Deutschland für ihre Landsleute in der Türkei ein politisches, ökonomisches und soziales Schicksal wählen, was sie selbst nicht betrifft. Die Unterstützung für Erdoğan in der Türkei bewertet Ceyda G. als sehr gespalten, die Hälfte liebe ihn und die andere Hälfte will ihn abwählen. Daher äußert sich die geschulte Wahlbeobachterin im Interview sehr besorgt über den Wahlausgang: „Es könnte sein, dass im Fall eines Sieges der Opposition, die Anhänger*innen der AKP die Wahl nicht anerkennen und dass Chaos im Land ausbricht.“

Bei aller Sorge hofft sie trotzdem, dass am Wahltag der Oppositionsführer Kılıçdaroğlu die Wahl für sich gewinnt, damit die Türkei aus der Autokratie herausgeführt wird, sich die wirtschaftliche Lage verbessert, dass das Bildungssystem reformiert wird, die Jugendarbeitslosigkeit bekämpft wird und die Rechte für Frauen und LGBTQ*-Personen gestärkt werden.


*Name der Wahlbeobachterin von der Redaktion geändert 

Bilder: AFP

Artikel: Patricia B.