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BVG schränkt Datenverarbeitung durch Polizei ein

Das Bundesverfassungsgericht (BVG) hat Regelungen in Hessen und Hamburg für verfassungswidrig erklärt, die es der Polizei erlauben, ...

...  zur vorbeugenden Verbrechensbekämpfung Daten mit einer speziellen Software automatisiert weiterzuverarbeiten.

Karlsruhe bemängelte am Donnerstag, dass die Landesgesetze nicht genau genug regelten, unter welchen Voraussetzungen welche Daten ausgewertet werden dürfen. Beide Länder müssen nun nachbessern. (Az. 1 BvR 1547/19 und 1 BvR 2634/20)

Die Software kann Zusammenhänge finden, die einzelne Ermittler nicht sehen würden. Sie vernetzt bereits gespeicherte Informationen von verschiedenen Polizeieinsätzen miteinander. So sollen Beziehungen zwischen Menschen, Gruppen oder auch Orten und Dingen hergestellt werden können.

In der Verhandlung im Dezember hatte ein hessischer Landesbeamter erklärt, wie das konkret funktionieren kann: Ein mutmaßlicher Geldautomatensprenger sei festgenommen worden, nachdem die Software zeigte, dass ein bestimmtes Auto in der Nähe mehrerer Tatorte war. Die Software, die von der US-Firma Palantir stammt und in Wiesbaden "Hessendata" heißt, wird vorwiegend im Kampf gegen schwere Kriminalität genutzt.

Das Urteil aus Karlsruhe richtet sich nicht gegen jegliche Weiterverarbeitung von Daten, sondern nur gegen die Nutzung zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten. So wie diese in den beiden Ländern derzeit geregelt ist, verstößt sie dem Gericht zufolge gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht. Zwei von der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) (Wikipedia) koordinierte Verfassungsbeschwerden hatten damit teilweise Erfolg. Die hessische Regelung darf eingeschränkt bis maximal Ende September weiter gelten, die Hamburger Regelung wurde für nichtig erklärt. 

Das Urteil hat indirekt auch Auswirkungen auf andere Bundesländer. Derzeit ist die Software in Hessen und Nordrhein-Westfalen im Einsatz, eine Verfassungsbeschwerde gegen das NRW-Gesetz liegt noch in Karlsruhe. In Hamburg wurde lediglich die gesetzliche Grundlage dafür geschaffen. Weitere Länder wollen ihrer Polizei die automatisierte Datenauswertung ebenfalls ermöglichen

Die Gesetze in Hessen und Hamburg sehen bislang vor, dass die Polizei Daten "in begründeten Einzelfällen" automatisiert weiterverarbeiten kann, wenn dies zur Vorbeugung bestimmter schwerer Straftaten erforderlich ist. Zur Definition dieser Straftaten verweisen die Gesetze wiederum auf die Strafprozessordnung.

Das Gericht erklärte, dass durch die Nutzung der Software neues Wissen erlangt werde, was Auswirkungen auf die Grundrechte habe. Die automatisierte Auswertung von zuvor getrennten Daten greife in das informationelle Selbstbestimmungsrecht aller Betroffener ein. Sie sei dabei momentan nicht verhältnismäßig gestaltet.

Angesichts neuer informationstechnischer Entwicklungen sei es zwar ein legitimer Zweck, die Wirksamkeit der vorbeugenden Bekämpfung von schweren Straftaten gerade unter Zeitdruck zu steigern, erklärte Gerichtspräsident Stephan Harbarth in seiner Einführung zum Urteil. Die automatisierte Datenauswertung sei dazu auch geeignet und erforderlich. Mithilfe von Software könnten relevante Erkenntnisse erschlossen werden, die auf eine andere Weise nicht zu bekommen seien.

Allerdings gebe es strenge Voraussetzungen. Ein schwerer Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung sei nur gerechtfertigt, wenn besonders wichtige Rechtsgüter damit geschützt würden, also etwa Leben und Gesundheit von Menschen konkret bedroht seien. Ansonsten müssten die Auswertungsmöglichkeiten eng begrenzt werden, sagte Harbarth weiter. Beide Länder könnten den Einsatz der Software aber möglich machen, wenn sie ihn verfassungsgemäß regelten.

Das Gericht verwies auch darauf, dass von privaten Unternehmen programmierte künstliche Intelligenz die Gefahr von unbemerkten Manipulationen oder dem Zugriff von Dritten auf die Daten berge. In Hessen darf die Polizei die Datenanalyse ab sofort bis zu einer Neuregelung nur dann nutzen, wenn es den konkreten Verdacht auf eine besonders schwere Straftat gibt und zukünftig mit ähnlichen Verbrechen zu rechnen ist. Die Analyse muss jeweils begründet werden und darf nicht alle Daten einbeziehen

Der Prozessbevollmächtigte der GFF, Bijan Moini, erklärte in einer ersten Reaktion: "Das Bundesverfassungsgericht hat heute der Polizei den ungehinderten Blick in die Glaskugel untersagt und strenge Vorgaben für den Einsatz von intelligenter Software in der Polizeiarbeit formuliert." Die grünen Bundestagsabgeordneten Misbah Khan und Konstantin von Notz äußerten die Einschätzung, dass die Entscheidung "weitreichende Auswirkungen auf die Polizeiarbeit auch in anderen Bundesländern haben" werde.

Das Unternehmen Palantir (Wikipedia) hatte seine Software vor dem Urteil verteidigt. Sie ermögliche es der Polizei, "ihre rechtmäßig erhobenen Daten schneller und effektiver zu verarbeiten", sagte der Palantir-Strategiechef für Europa, Jan Hiesserich, dem "Handelsblatt" vom Donnerstag.

smb/cne


Sarah Maria BRECH / © Agence France-Presse