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Ist das Journalismus oder kann das weg?

Die Versuchung COVID-19

Wie kaum ein anderes Ereignis des frühen 21. Jahrhunderts beeinflusst die Coronakrise das Leben von Milliarden von Menschen. Ihre Ausmaße sind bereits gravierend, ihr Ende ist nicht abzusehen. Die deutsche Gesellschaft ist eine Chimäre geworden, an deren extremen Enden Coronapartys gefeiert werden, während die andere Seite Mütter, die mit ihren Kindern auf den Spielplatz gehen, online demütigt und Joggern ein schlechtes Gewissen machen will. Und alle kaufen Klopapier.

Das Virus ist da. Es ist weder Chinesisch noch Amerikanisch, noch von 5G erschaffen, noch von Gott entsandt. Es missbraucht und wird missbraucht. Es gibt niemandem Recht oder Unrecht. Es kann jeden treffen. Aber jeder kann unterschiedlich gut geheilt werden.

Machen wir uns nichts vor: das Virus kennt vielleicht keine Hautfarbe, aber es lernt sehr bald den Geldbeutel seines Wirts kennen.

Geflüchtete können seit Jahren ein jetzt gefordertes social distancing nicht ausleben und #BleibtZuHause klingt in ihrem Kontext als bizarre Forderung. Sie haben kein zu Hause mehr, weder im Sinne ihrer 'Unterkunft' noch Herkunft - von der hier fremdenfeindlichen Konnotation der Forderung einmal ganz abgesehen.

#BleibtZuHause sagt ebenso der oder die mit Privilegien. Nicht jeder hat ein zu Hause, in dem er oder sie lebenswert bleiben kann. Von einem Sommer, der wohl erneut sämtliche Temperaturrekorde brechen wird, ganz zu Schweigen. Nicht jeder hat einen Garten. Klimaanlagen sind in Europa, anders als in den USA, nicht üblich. Besonders die Risikogruppe, die in den eigenen vier Wänden bleiben soll, wird die Hitze treffen. Eine gruselige Vorstellung.

In dieser Zeit haben vor allem Journalisten eine höhere Verantwortung als sonst. Ab wann schwenkt Berichterstattung um in 'Panikmache'? Wir wissen nun mal so wenig über dieses Virus, was definitiv keine 'normale Grippe' ist und auch nicht mit ihr verglichen werden sollte. In Spanien (Stand: 23.03) starben gestern knapp 400 Menschen an einem Tag an dem Virus. In Italien 651, am Tag zuvor fast 800. Es ist ernst.

Doch viele Online-Medien nutzen diese Ernsthaftigkeit aus, um sie in reißerischen Titeln zu verpacken. Schlimmer noch: Artikel, die frei zugänglich sein sollten, verstecken sich hinter einer Paywall. Wer wissen will, was man tun kann, wie sehr die eigene Region betroffen ist, oder wie man sich und andere schützen muss, wird zur Kasse gebeten.

Ebenso wird die BILD Zeitung ihrem Ruf gerecht und ist an Widerlichkeit kaum zu überbieten. War es ihr und dem Sport-Informations-Dienst (SID) doch eine Meldung wert, dass ein Fußballerspieler eine Shisha Bar aufsuchte. Gerade mit der Terrortat in Hanau im Hinterkopf erzeugt diese Nachricht gefährliche Assoziationen.

Auf der anderen Seite gibt es auch einen Lichtblick: der Podcast. Per Definition kostenlos, unabhängig, unterstützt von Zuschauern, Sponsoren oder Teil des Öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Seine Zeit schien vorbei, der Hype zu Ende. Jetzt ist er wichtiger denn je. Sein Aushängeschild dürfte derzeit ein Mann sein: Christian Drosten.

Seit Greta Thunberg oder dem Rezo-Video gab es wohl keine Person in Deutschland, die so viel diskutiert wurde - mit dem Unterschied, dass Drosten mit überwältigender Mehrheit positiv wahrgenommen wird.

Der Podcast von NDR-info, bei dem der Virologe mit den kongenialen Journalistinnen Korinna Hennig und Anja Martini täglich (außer am Wochenende) das "Coronavirus-Update" bespricht, ist zweifellos das Wichtigste was es momentan über COVID-19 zu hören gibt und hat noch dazu das Potential den öffentlichen Umgang mit Wissenschaft als solche zu transformieren, indem sie seriös nahbar gemacht wird.

Ebenso wird Drosten in jedem halbwegs großen und seriösen Podcast empfohlen und hat schon mit Jan Böhmermann und Olli Schulz gesprochen. Unter anderem übrigens über die Auswirkungen in Afrika, die verheerend sein werden.

Und dann kommen die Online-Medien.

Wie Benjamin Friedrich bereits für sein KATAPULT Magazin bereits herausstellte, hat bereits die FAZ einen Einführungsartikel über Drostens Person für Paywall-tauglich empfunden. Und auch ich habe bereits über die Corona-Paywall der Westfälischen Nachrichten geschrieben.

Bei einem Interview mit dem stern kommt alles schlechte Zusammen: eine reißerische Überschrift und eine Paywall, was den verantwortungslosen Umgang mit COVID-19 durch den Journalismus widerspiegelt.

Von all den Themen, die in dem Interview besprochen wurden, wählt der Stern ausgerechnet Fußball: "Virologe Christian Drosten: 'Ich glaube nicht, dass wir in absehbarer Zeit wieder Fußballstadien voll machen'".

Drosten zeigte sich über diese Wahl der Überschrift auf Twitter "schockiert". Auch ich habe bereits den SID-Artikel über besagtes stern Interview veröffentlicht. Genau deshalb wählte ich die Überschrift: "Wer kann jetzt noch an Fußball denken?". Der stern scheint allerdings Drostens Schock nicht nachvollziehen zu können.

Gesagt hat er das schon, aber eben auch so viel anderes. Wie etwa: "Auf Dinge, die schön sind, aber nicht systemrelevant, wird man lange verzichten". Und der stern hat sich entschieden, genau diese irrelevanten und polarisierenden Themen wie Fußball in den Mittelpunkt zu stellen, anstatt die Wissenschaft.

Nein, es geht jetzt um das Brot und nicht um die Spiele.

Das ist um viele Ecken gedacht auch wieder schädlich für Fußballfans, die sich immer wieder Spott anhören müssen, warum sie sich denn vor den Stadien oder in Kneipen treffen. Dabei ist die Logik des Fußballs nun mal: Wo ein Geisterspiel stattfindet, da geistern auch Fans rum. Deshalb, wie bereits festgestellt wurde, liegt die Verantwortung bei den Verbänden kein Fußball mehr stattfinden zu lassen.

Ein ähnliches Problem bahnt sich auch bei Olympia an. Hier wird man weniger Probleme mit Fans haben, dafür aber mehr mit den Sportler. In einigen Ländern darf trainiert werden, wie etwa in Japan, in anderen Ländern nicht.

Daher gilt es Paywalls und reißerische Clickbait-Titel hinter denen sich lebensnotwendige Nachrichten verbergen zu verhindern. An Missinformationen leiden nicht nur potentielle Leser, es leidet darunter einmal mehr der Journalismus.