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Vortrag und Diskussion: Angriffskrieg und eskalierende Repression

Ein Blick auf die russische Zivilgesellschaft

“Der Widerstand ist lokal und gering, aber dennoch existiert er”, so beschreibt der russische Bürgerrechtsaktivist Robert Latypow die Auflehnung der russischen Zivilgesellschaft gegen den Angriffskrieg auf die Ukraine. 

Am 18. Januar kam der im Exil lebende russische Bürgerrechtsaktivist nach Münster und hielt einen Vortrag mit anschließender Diskussion über den russischen Angriffskrieg und die damit verbundenen Repressionen, die sich auf die russische Zivilgesellschaft auswirken. Der Vortrag wurde von der Gesellschaft zur Förderung der deutsch-russischen Beziehungen Münster/Münsterland e.V. zusammen mit dem Lehrstuhl für Osteuropäische Geschichte der WWU organisiert.

Latypov berichtete im Rahmen des Vortrags von seiner Arbeit als Leiter des Menschenrechtszentrum „Memorial Perm“, eine Tochterorganisation von “Memorial” (Wikipedia), der internationalen Menschenrechtsorganisation, welche sich für Freiheit, Demokratie und Menschenrechte einsetzt und im Jahr 2022 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde.

Memorial wurde im Jahr 1988 gegründet und geht aus der in den Jahren der Perestroika (Wikipedia) entstandenen Massenbewegung hervor und gilt als die erste Massenvereinigung in der Sowjetunion, die aus der Zivilgesellschaft heraus entstanden ist. Die Menschenrechtsorganisation hat sich unter anderem zum Ziel gesetzt, die historische Wahrheit über die politischen Repressionen in der Sowjetunion wiederherzustellen, Opfer politischer Repressionen sozial und juristisch zu betreuen und allgemein beim Aufbau einer Zivilgesellschaft mitzuwirken und aktuelle Menschenrechtsarbeit durchzuführen.

Kurz vor Beginn des russischen Angriffskrieges, im Dezember 2021 wurde sowohl „Memorial Perm“ als auch „Memorial International“ nach jahrelanger Drangsalierung von Seiten des Kreml verboten und aufgelöst, was Memorial als “weiteren Schritt zur Gleichschaltung und der Okkupation des eigenen Landes” verstehen.


Diese prekäre Ausgangslage für Menschenrechtler*innen schildert Robert Latypow innerhalb seines Vortrags. Er beschreibt, wie der russische Staat zivilgesellschaftliche Aktivist*innen marginalisiert, drangsaliert und als nicht zurechnungsfähig dargestellt hat. Er berichtet von der militärischen Zäsur, die in Russland mit Beginn des Krieges eingeführt wurde und die letzten Reste der Pressefreiheit vernichtet hat. Der Kreml geht stark gegen kriegskritische Aussagen vor, vor allem auch auf den sozialen Medien. Mit Ermutigung durch den Präsidenten werden Listen über sogenannte Landesverräter*innen erstellt und die nationalistische Propaganda nimmt fortwährend zu. Latypow äußert, dass die Propaganda wirkt und dass ein großer Teil der russischen Gesellschaft den Staat unterstützt oder dass häufig auch Gleichgültigkeit empfunden wird. Trotzdem betont der Menschenrechtler auch den lokalen und geringen Widerstand und berichtet zum Beispiel von mehr als 5.000 Festnahmen bei Mahnwachen.

Während der Diskussion im Anschluss des Vortrags, wird Latypow gefragt, welche Handlungsspielräume den Aktivist*innen im Land und Exil bleiben und wie die internationale Gemeinschaft den russischen NGOs helfen kann. Daraufhin berichtete er davon, dass viele Mitglieder von Memorial verfolgt wurden und fliehen mussten und zum Teil ihre Beteiligung an öffentlichen Aktionen einschränken mussten. Obgleich legt der Bürgerrechtsaktivist dar, dass die Kerntätigkeiten von Memorial weiter fortgesetzt werden, entweder mit einer verringerten Anzahl an Aktivist*innen oder aus dem Exil online. Robert Latypow appelliert, dass die Schwierigkeiten für die Zivilbevölkerung der Öffentlichkeit mitgeteilt werden müssen. Die internationale Gemeinschaft kann den russischen Bürgerrechtler*innen unter anderem damit helfen, indem sie sie weiterhin als Kolleg*innen ansehen und respektieren. Außerdem wird betont, dass den internationalen Mitbürger*innen vermittelt werden muss, “dass es auch ein anderes Russland gibt, das gegen das Regime kämpft, allerdings ohne Waffe”. Und nicht zuletzt kann geholfen werden, indem den Bürgerrechtler*innen und Journalist*innen Solidarität entgegengebracht wird und deren Arbeit gewürdigt wird. 

Mit dieser internationalen Hilfe können so trotz Krieg, Haftstrafen, Repression und Verbote die zivilgesellschaftlichen Aktivist*innen ihre Arbeit für Freiheit, Demokratie und Menschenrechte fortsetzen.