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Wirtschaftskrise abgepfiffen

Rede von Bundeskanzler Olaf Scholz eingangs der Befragung der Bundesregierung vor dem Deutschen Bundestag am 25. Januar 2023 in Berlin:

Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete,

ich freue mich sehr, dass ich heute hier Ihre Fragen beantworten kann. Ich möchte gerne von der Möglichkeit Gebrauch machen, am Anfang etwas zu sagen. Kurz bevor ich hierhergekommen bin, habe ich noch mit dem ukrainischen Präsidenten Selenskyj gesprochen und mit ihm die gegenwärtige Lage beraten, aber auch das, was Deutschland tut und tun wird.

Wenn man die Sorgen und Berichte über das letzte Jahr noch einmal in Erinnerung ruft, dann wird man sicherlich sagen können: Die allermeisten haben gedacht, dass das wohl nicht klappen wird – dass, wenn Deutschland kein Gas aus Russland mehr bekommt, wenn wir Öl und Kohle komplett aus anderen Quellen beziehen müssen, das nicht ohne eine massive Wirtschaftskrise, ohne Versorgungsengpässe in dem jetzigen Winter und ohne all die Herausforderungen, die damit verbunden sind, geht.

Manche haben ja schon über einen Wut-Herbst und einen Wut-Winter und ähnliche Dinge gesprochen, die unser Land dann ereilen würden und mit denen wir uns auseinanderzusetzen hätten.

Die Wahrheit ist: Das ist nicht eingetreten. Wir sitzen hier und es ist warm – und das ist auch überall in Deutschland der Fall. Wir haben die Versorgung mit Energie gewährleistet – auch durch ein ganz, ganz neues Deutschland-Tempo, in dem wir Infrastrukturen neu errichtet haben. Und wir haben dafür Sorge getragen, dass wir auch die wirtschaftliche Leistungskraft unseres Landes erhalten haben, zum Beispiel, indem wir die hohen Preissteigerungen für Energie mit entsprechenden milliardenschweren Unterstützungs- und Entlastungspaketen ausgeglichen haben.

Man kann also wie ein Kommentator sagen: Die Bundesregierung hat die Wirtschaftskrise abgepfiffen. Wir sind jetzt in einer besseren Lage. Der heute vorgestellte Jahreswirtschaftsbericht hat das auch noch einmal ganz deutlich gezeigt. Man kann auch ganz deutlich sagen: Wir haben gezeigt, was in uns steckt, und das ist mir ganz wichtig.

Wir haben in kürzester Zeit alle notwendigen Maßnahmen ergriffen, von der Wiederinbetriebnahme von Kohlekraftwerken, der Verlängerung der Nutzung der Atomkraftwerke über die Füllung der Gasspeicher und viele Importmöglichkeiten für Gas über westeuropäische Häfen und dann eben neue Terminals an den norddeutschen Küsten. Die ersten drei haben die Schiffe, mit denen das Gas importiert werden kann, gewissermaßen schon gesehen. Das ist ein gutes Zeichen für Deutschland.

Ich will an dieser Stelle sagen, dass das Tempo, das wir hier gezeigt haben, ein Tempo sein muss, das unser ganzes Land prägt, dass wir überall, wo es darum geht, die Zukunft zu gewinnen, mit entsprechender Geschwindigkeit vorankommen müssen. Wenn wir jetzt, wo wir die Krise aktuell bekämpfen mussten, sehen, wie schnell das geht, müssen wir das auch machen, wenn es zum Beispiel darum geht, die erneuerbaren Energien, Windkraft auf hoher See, an Land, Solarenergie und die Stromnetze auszubauen, wenn es darum geht, die Transformation der Industrie zu begleiten, damit tatsächlich gelingt, was wir uns vorgenommen haben: Wir wollen das erste CO2-neutral wirtschaftende Industrieland der Welt sein und als viertgrößte Volkswirtschaft der Welt entsprechend voranmarschieren, um zu zeigen, dass es geht, und anderen Mut zu machen, auch diesen Weg zu beschreiten.

Bei allem haben wir den Zusammenhalt und den Respekt vor den Bürgerinnen und Bürgern nicht vergessen; das zeigen all die Leistungen, die wir auf den Weg gebracht haben.

Ursache für die Herausforderungen, die wir zu bewältigen hatten, die unsere eigene Volkswirtschaft betreffen, ist der furchtbare imperialistische Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine, ein furchtbarer Krieg, in dem die Grundsätze, auf die wir uns jahrzehntelang in Europa verständigt hatten, infrage gestellt worden sind. Einer dieser Grundsätze lautet: Grenzen dürfen nicht mit Gewalt verschoben werden. Das ist das, was Russland aufgekündigt hat. Das ist die Zeitenwende, von der ich hier in diesem Bundestag gesprochen habe.

Deshalb ist es richtig, dass wir eng abgestimmt mit unseren internationalen Partnern die Ukraine unterstützen: finanziell, mit humanitären Mitteln, aber eben auch mit Waffenlieferungen. Das haben wir in einem Bruch mit jahrzehntelanger Staatspraxis in Deutschland getan, und mittlerweile kann man sagen: In Europa sind es Großbritannien und wir, die die meiste Unterstützung in Form von Waffen für die Ukraine zur Verfügung stellen. Wenn man fortrechnet, welche Entscheidungen wir schon getroffen haben, kann man sagen: Deutschland wird immer vornean sein, wenn es darum geht, die Ukraine zu unterstützen. Wir sind das Land, das dies mit großer Energie und in einem großen Umfang tut.

Dazu haben wir entschieden, dass wir auch schwere Waffen liefern: die Panzerhaubitze, den Mehrfachraketenwerfer, was Artillerie betrifft. Wir haben den Flakpanzer Gepard zur Verfügung gestellt und tun das weiter sowie ein modernes Luftabwehrsystem wie IRIS-T, für das gerade neue Flugkörper geliefert worden sind. Auch weitere Systeme werden wir liefern. Wir stellen das Patriot-System zur Verfügung, wie ich vor Kurzem zusammen mit der Regierung entschiede habe. Das alles sind Maßnahmen, die dazu beitragen, dass sich die Ukraine verteidigen kann. Alle diese Entscheidungen haben wir im Einklang und in enger Kooperation mit unseren Verbündeten getroffen. Das ist der Grund, warum sie wirksam sind und warum wir sie auch treffen konnten. Das ist das Prinzip, das diese Regierung hat.

Das werden wir weiter so halten, wie jüngst bei der Entscheidung, zusammen mit den USA Schützenpanzer zu liefern: Bradley die USA und wir unseren Schützenpanzer Marder. Die Franzosen haben zur gleichen Zeit Spähpanzer bereitgestellt. Man sieht: Enge Kooperation und Abstimmung sind das Prinzip – und das ist richtig; denn es ist wirklich Krieg in Europa. Nicht weit weg von uns hier in Berlin findet er statt gegen ein großes Land, die Ukraine. Deshalb müssen wir bei allem, was wir tun, immer klarstellen, dass wir das Notwendige und das Mögliche machen, um die Ukraine zu unterstützen, dass wir aber gleichzeitig eine Eskalation des Krieges zu einem Krieg zwischen Russland und der Nato verhindern. Dieses Prinzip werden wir weiterhin immer beachten.

Dabei gibt es für diese Dinge keine mathematischen Gewissheiten. Keiner kann einem erklären, wo genau die richtigen und die falschen Entscheidungen sind. Und deshalb ist es richtig und mit voller Absicht geschehen, dass wir uns Stück für Stück vorangearbeitet haben. Dieses Prinzip werden wir auch in Zukunft weiterverfolgen. Es ist das einzige Prinzip, das in einer so gefährlichen Angelegenheit Sicherheit auch für Europa und Deutschland gewährleistet.

Das gilt jetzt auch für die jüngste Entscheidung, die die Bundesregierung getroffen hat: Wir werden der Ukraine auch Kampfpanzer vom Typ Leopard 2 zur Verfügung stellen. Das ist das Ergebnis erneut intensiver Beratungen mit unseren Verbündeten und internationalen Partnern. Ich will ausdrücklich sagen: Es war richtig und es ist richtig, dass wir uns nicht haben treiben lassen, sondern dass wir auf diese enge Kooperation in einer solchen Angelegenheit setzen und sie auch fortsetzen.

Unser Ziel ist es, rasch zwei Panzerbataillone zusammen mit unseren Verbündeten bereitzustellen. Es gibt viele Länder, die gerne mitliefern wollen, und wir werden das koordinieren und sie einbeziehen, damit das Schritt für Schritt auch möglich wird. Deutschland wird, wie gesagt, Leopard-2A6-Panzer zur Verfügung stellen, die aus den Beständen der Bundeswehr stammen. Wenn sie das weiterhin wollen, werden wir die ukrainischen Besatzungen hier in Deutschland ausbilden. Wir werden Ausbildung, Logistik, Munition und Wartung der Systeme gewährleisten und, wie gesagt, den Partnerländern ermöglichen, dass sie liefern können. Das ist das richtige Prinzip. Es geht hier um sehr wirksame Waffensysteme, und es ist richtig, dass wir diese Waffensysteme niemals alleine, sondern immer in enger Kooperation bereitstellen.

Ein Wort zum Schluss. Es gibt in diesem Land viele Bürgerinnen und Bürger, die sich Sorgen machen, auch angesichts einer solchen Entscheidung und angesichts der Dimension, die diese Waffe mit sich bringt. Und deshalb möchte ich diesen Bürgerinnen und Bürgern hier an dieser Stelle sagen: Vertrauen Sie mir, vertrauen Sie der Bundesregierung. Wir werden, weil wir international abgestimmt handeln, weiter sicherstellen, dass diese Unterstützung möglich ist, ohne dass die Risiken für unser Land darüber in eine falsche Richtung wachsen.

Das ist der Grund, warum wir das so tun, und so werden wir es auch weiter machen.

 

Bulletin 11-1 25. Januar 2023


Die Bundesregierung/ Foto Kugler