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Rede von Bundespräsident Dr. Frank-Walter Steinmeier

Gehalten bei der Entlassung der Bundesministerin der Verteidigung, Christine Lambrecht, und der Ernennung von Boris Pistorius am 12. Januar 2023 in Berlin.

Der 24. Februar 2022 hat die Ukraine, aber auch Deutschland in eine überwunden geglaubte Zeit gestürzt, eine Zeit des Krieges und der Gewalt, eine Zeit der Unsicherheit. Dieser Epochenbruch hat Europa verändert, er hat die deutsche Politik verändert – und er hat auch die Aufgaben des Bundesministeriums der Verteidigung verändert.

Liebe Christine Lambrecht, ich möchte Ihnen heute danken – nicht nur für Ihre Bereitschaft, als Bundesministerin der Verteidigung in schwerster Zeit Verantwortung zu tragen, sondern auch für Ihr langjähriges politisches Engagement. 23 Jahre haben Sie sich als Abgeordnete im Deutschen Bundestag in unterschiedlichen Ämtern für unsere parlamentarische Demokratie eingesetzt. Sie waren rechtspolitische Sprecherin, stellvertretende Vorsitzende und Erste Parlamentarische Geschäftsführerin Ihrer Fraktion; Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium der Finanzen, Bundesministerin der Justiz, kurzzeitig dazu auch Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.

Sie haben Ihre Ämter nie in einfachen Zeiten ausgeübt. Als Justizministerin schufen Sie die Grundlage, um Hass und Hetze im Netz härter und effektiver verfolgen zu können – und wollten damit vor allem Menschen, die sich politisch und gesellschaftlich engagieren, vor Anfeindungen schützen. Wichtige Verbesserungen im Verbraucherschutz haben Sie auf den Weg gebracht. Und in den Hochzeiten der Coronapandemie war Ihre rechtliche Expertise unverzichtbar, wenn es um die Verhältnismäßigkeit von Schutzmaßnahmen ging.

Als Bundesministerin der Verteidigung waren Sie noch nicht einmal drei Monate im Amt, als Russland am 24. Februar die Ukraine überfiel. In Ihrem letzten Amt konnten Sie sich nicht auf politische Routinen verlassen. Sie haben jeden Tag aufs Neue die Lage beurteilen, Ihre politischen Schwerpunkte daran anpassen und unter Zeitdruck komplexe und weitreichende Entscheidungen treffen müssen. Und dabei erfuhr das Bundesministerium der Verteidigung neben dem enormen Bedeutungszuwachs auch riesige öffentliche Aufmerksamkeit. Ich danke Ihnen für all das, was Sie als Bundesministerin in Ihren verschiedenen Positionen auf den Weg bringen konnten; für die Bereitschaft, über so viele Jahre für unser Land, für unsere Demokratie einzustehen; sie zu verteidigen, wo sie angegriffen wird; ihre Probleme nicht nur zu beklagen, sondern auch lösen zu wollen. Diesen Dank spreche ich Ihnen heute im Namen der Bundesrepublik Deutschland aus. Alles Gute und herzlichen Dank!

Der brutale Überfall Russlands auf die Ukraine hat schreckliches Leid über Millionen von Menschen gebracht und die europäische Sicherheitsordnung zerstört. Wir stehen fest an der Seite der Ukrainerinnen und Ukrainer, wir unterstützen sie beim Kampf für ihre Freiheit und wir helfen beim Wiederaufbau ihres geschundenen Landes. Deutschland ist nicht im Krieg. Aber die Jahre der Friedensdividende, von der wir Deutschen so lange und reichlich profitiert haben, diese Jahre sind vorbei. Für Deutschland beginnt eine Epoche im Gegenwind. Wir müssen auf Bedrohungen reagieren, die auch auf uns zielen.

Was heißt das für die Bundeswehr, was bedeutet das für die Soldatinnen und Soldaten? In diesem Umfeld neuer Bedrohungen und geopolitischer Veränderungen kommt es jetzt entscheidend darauf an, die Bundeswehr abschreckungsfähig und verteidigungsbereit zu machen. Sie muss konsequent auf ihren Kernauftrag der Landes- und Bündnisverteidigung ausgerichtet werden. Dafür braucht es eine modernere und umfassendere Ausrüstung, eine effizientere Beschaffung, eine solidere Personaldecke und vor allen Dingen Aufmerksamkeit und Respekt für die Truppe.

Und bei alldem dürfen wir keine Zeit verlieren. Als starkes Land in der Mitte Europas haben wir eine Verantwortung nicht nur für uns, sondern auch für andere. Wir stehen nicht allein, sondern im Bündnis mit Partnern. Und diese Partner müssen und werden sich auf uns verlassen können.

Lieber Boris Pistorius, Sie übernehmen das Ministeramt in einer Bedrohungs- und Gefährdungslage, die Deutschland lange nicht mehr kannte – und müssen direkt loslegen bei den bereits anstehenden internationalen Terminen. Für all die kommenden Herausforderungen und notwendigen Reformen benötigen Sie jetzt einen kühlen Kopf, gute Nerven, Führungsstärke, klare Sprache und politische Erfahrung. Dass Sie all das haben, haben Sie in anderen anspruchsvollen politischen Ämtern gezeigt – darunter in zehn Jahren als Innenminister des Landes Niedersachsen. Zu Ihrer neuen Aufgabe als Bundesminister der Verteidigung gratuliere ich Ihnen herzlich und wünsche Ihnen Durchhaltevermögen, gutes Gelingen und eine glückliche Hand!


Titelfoto: Bundespräsident Steinmeier hat Boris Pistorius zum neuen Verteidigungsminister ernannt. Foto: Bundesregierung/Bergmann


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