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Was darf die Polizei?

Nach den Gewaltszenen beim Polizei-Einsatz in Lützerath wird viel diskutiert: Sind die Beamt*innen zu weit gegangen?

Die Demonstration in Lützerath gegen den Braunkohleabbau ist vorbei und das Dorf wurde inzwischen geräumt. Nach Angaben des Veranstalters haben sich über 30.000 Aktivist*innen am vergangenen Samstag, den 14. Januar im rheinischen Braunkohletagebau zur Großdemonstration versammelt, um für den Kohleausstieg und die Klimagerechtigkeit zu protestieren. Was zurückbleibt, sind Vorwürfe der Gewaltexzesse sowohl auf Aktivist*innenseite als auch auf Polizist*innenseite und die aufgeladene Diskussion darum, ob die Anwendung der Gewalt als Teil der Polizeiarbeit verhältnismäßig war.

Der Begriff Polizeigewalt beschreibt zunächst die physische und psychische Gewalt, die von Polizist*innen ausgeübt wird und auch Teil der Polizeiarbeit sein kann. Jedoch ist die Anwendung von Gewalt gesetzlich nur unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt und nur in einem verhältnismäßigen Ausmaß. Der Grad zwischen rechtmäßiger und rechtswidriger Gewalt ist häufig schmal und im Fall von Lützerath wurde von Aktivist*innenseite die Verhältnismäßigkeit der Gewalt stark angezweifelt.

Diese Zweifel hatte auch der 27-jährige Jurastudent Hannes, der am Samstag in Lützerath mit demonstriert hat. Im Interview erzählt er, dass er die Gewaltausschreitungen auf beiden Seiten beobachtet hat, allerdings betont er, dass der überwiegende Teil der Demonstrant*innen friedlich demonstriert hat. Der Student schildert anhand von zahlreichen Situationen, dass er die Gewalt der Polizei als sehr unverhältnismäßig und überflüssig wahrgenommen hat:

“Eine Person neben mir, alles natürlich in der Dunkelheit und auf dem schlammigen Acker und im Rückwärtsgang, hat sich beschwert, dass sie getreten wurde. Daraufhin hat der Polizist einfach nur gebrüllt, hier wird niemand getreten und hat im selben Moment weiter getreten. Die Person ist dann unter Schmerzen und Schreien zu Boden gegangen, und wir konnten der Person dann auch nicht auf die Beine helfen, weil die Polizeikette weitergeführt wurde und auch einfach über diese Person drüber.”

Aus der Perspektive des Demonstranten Hannes war es nur eine Frage der Zeit, bis die Polizei das Gelände geräumt hätte. Er beschreibt, dass der unmittelbare Zwang, also das stärkste Zwangsmittel der Verwaltungsvollstreckung von der Polizei angewandt wurde, allerdings auch bei Personen, die komplett passiv und friedlich protestiert haben und beispielsweise schon zurückgewichen sind oder sich bereits abgewandt hatten. Insofern wurde der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit des unmittelbaren Zwangs in zahlreichen Situationen, die er beobachtet hat, nicht eingehalten.

Darüber hinaus schildert der Demonstrant, dass die Polizist*innen auch sehr unterschiedlich aufgetreten sind, einige hätten besonnener gehandelt, anderen hätte man ihre Überforderung angemerkt und wiederum andere haben den Anschein gemacht, dass sie sogar Spaß daran hatten, mit besonderer Härte durchzugreifen:

“Dieses Anlauf nehmen, auf sie mit Gebrüll, ich schwinge meinen Schlagstock so hart ich kann. Eine Person weicht schon zurück, wendet sich ab und bekommt trotzdem noch einen Schlag von der Polizei ab. Auch die Schläge, die dann direkt auf den Kopf zielen, wir wurden geschubst, geschoben und gestoßen. Die eine Person neben mir wurde dann unvermittelt auf den Kehlkopf geschlagen. Es gab gar keine Notwendigkeit dafür.”

Bei solchen Beschreibungen und auch zahlreichen Videos, die man von solcher Polizeigewalt im Netz sehen konnte, war oft nicht erkennbar, was der Zweck dieser Zwangsanwendungen gegen einzelne Personen sein sollte.


Somit verbleibt Lützerath nicht nur als ein Symbol für politisch stark aufgeladene Klimapolitik, sondern es wurde im Zuge der Ereignisse des Klimaprotests auch die Forderung nach unabhängigen Untersuchungsmechanismen für polizeiliches Handeln aktueller denn je. Unter anderem Kriminolog*innen, aber auch zum Beispiel NGOs fordern eine unabhängige Stelle in Deutschland für die Untersuchung und Kontrolle der Polizei, in der Verdachtsfälle untersucht, bestätigt oder falsifiziert werden können. Amnesty International verlangt beispielsweise, dass bei Vorwürfen zu unrechtmäßiger Anwendung von Gewalt durch Sicherheitskräfte alle Menschen ein Recht auf unabhängige, unmittelbare und umfassende Untersuchungen haben müssen. Letztendlich ist das Herstellen von Öffentlichkeit ein essenzieller Teil einer funktionierenden Demokratie, um dazu beizutragen, Transparenz und Rechenschaftspflicht der Regierungsinstitutionen, wie der Polizei, sicherzustellen.


Text: Patricia B.

Foto: AFP