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Grüne Woche

Die Rede des Bundesministers für Ernährung und Landwirtschaft, Cem Özdemir, zur Eröffnung der Internationalen Grünen Woche am 19. Januar 2023 in Berlin:

Sehr geehrte Damen und Herren,

Russlands brutaler Angriffskrieg bringt nun seit bald einem Jahr unfassbares Leid über die Menschen in der Ukraine. Es ist bewegend und beeindruckend, mit welch unglaublichem Mut die Menschen in der Ukraine ihr Land und ihre Freiheit verteidigen. Ukrainische Soldatinnen und Soldaten drängen den Aggressor zurück. Ukrainische Ingenieurinnen und Ingenieure reparieren Stromleitungen und Wasserrohre in Rekordzeit. Landwirtinnen und Landwirte beackern unter Lebensgefahr von Beschuss und durch Minen ihre Felder.

Sie unternehmen große Anstrengungen, um die Versorgung der ukrainischen Bevölkerung mit Lebensmitteln sicherzustellen. Darüber hinaus leisten sie weiterhin einen wichtigen Beitrag, um weltweit die Ernährung von Menschen zu sichern. Ich möchte hier besonders die Initiative „Grain from Ukraine“ nennen. Im Rahmen dieser Initiative wird ukrainisches Getreide durch das Welt-Ernährungsprogramm der Vereinten Nationen an besonders von Hunger betroffenen Menschen im globalen Süden verteilt. Gerne haben wir als Bundesregierung deshalb die Transportkosten für die Verschiffung von zwei Spenden nach Äthiopien sowie in den Sudan übernommen.

Lieber Mykola, ich möchte Dir stellvertretend für alle hier meinen allergrößten Respekt ausdrücken. Deinem Land und allen Ukrainerinnen und Ukrainern gilt meine tiefste Anerkennung und unser aller Solidarität. Der Hubschrauberabsturz in Brovary hat uns zutiefst bestürzt. Unsere Gedanken sind bei den Familien und Angehörigen der Opfer, darunter der Innenminister und auch Kinder.  Wir trauern mit Präsident Selenskyj und Dir, lieber Mykola. Deutschland und seine Partner stehen an Eurer Seite und werden weiter an Eurer Seite stehen – finanziell, humanitär und auch mit der Lieferung von Waffen zu Eurer Verteidigung.

Es geht bei diesem Kampf um die Freiheit der Menschen in der Ukraine. Es geht aber auch um unser aller Zukunft in Europa. Außenministerin Annalena Baerbock hat mit Ihrem Besuch in Charkiw abermals ein starkes Signal der Unterstützung gegeben hat. Und sie hat unsere Haltung mit einem Satz auf den Punkt gebracht: „Gemeinsam sind wir stärker als dieser Krieg.“ Sei Dir dessen versichert, lieber Mykola – und nochmals danke, dass Du heute bei uns bist!

Die Ukraine und Deutschland sind seit vielen Jahren wichtige Partner im Bereich der Land- und Ernährungswirtschaft. Mit dem deutsch-ukrainische Agrarausschuss haben wir ein wichtiges gemeinsames Dialogformat geschaffen. Darüber hinaus arbeiten wir seit Jahren in bilateralen Kooperationsprojekten zusammen. Der Agrarpolitische Dialog arbeitet weiter vor Ort in Kiew und ich möchte Ihnen versichern: Wir setzen die Projektzusammenarbeit auf jeden Fall fort – jetzt erst recht! Denn nicht nur jetzt im Krieg, sondern auch beim Wiederaufbau der agrarwirtschaftlichen Strukturen werden die Projekte eine wichtige Rolle spielen.

Parallel haben wir als direkte Reaktion auf den Angriffskrieg umfangreiche Maßnahmen auf den Weg gebracht. Wir haben die Beschaffung und Verteilung von Tierarzneimitteln und -impfstoffen in der Ukraine ermöglicht, den Aufbau eines Phytosanitär- und Veterinärlabors in Izmajil realisiert. So konnte der ukrainische Agrarexport durch die Erhöhung von Test- und Zertifizierungskapazitäten deutlich beschleunigt werden. Wir haben 14 Millionen Euro für ukrainische Landwirte bereitgestellt, um die Eigenversorgung mit Lebensmitteln aufrechtzuerhalten und wiederaufzubauen.

Wir finanzieren so Generatoren, stellen Betriebsmittel für kleinere landwirtschaftliche Betriebe in besonders vom Krieg betroffenen Regionen der Ukraine zur Verfügung. Eine erste Charge von Generatoren hat unser Agrarattaché Frank Müller an der Deutschen Botschaft in Kiew zusammen mit dem Vize-Agrarminister Denys Bashlyk und der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen kürzlich an zwei Großbäckereien übergeben. Hier haben uns das Auswärtige Amt und das Technische Hilfswerk dankenswerter Weise sehr unterstützt.

An dieser Stelle möchte ich Frank Müller persönlich ausdrücklich für sein außergewöhnliches Engagement danken. Er ist heute meines Wissens auch bei uns. Herr Müller war einer der ersten Diplomaten, der als Teil des Kernteams in die Botschaft in Kiew zurückkehrte – ist damit ein wichtiger Brückenkopf für uns! Vielen Dank für Ihren Einsatz. Passen Sie bitte weiter auf sich auf!

Danken möchte ich an dieser Stelle auch unseren Partnern aus der Ernährungswirtschaft. Sie haben mit ihren Lebensmittelspenden unsere German Food Bridge erst ermöglicht. Bereits 500 LKWs mit fast 13.000 Paletten der deutschen Ernährungswirtschaft konnten zur Versorgung der Menschen in der Ukraine geliefert. Das ist praktische Hilfe, die ankommt und direkt wirkt.

Mein besonderer Dank geht an all diejenigen in Stadt und Land, die durch ihr unermüdliches Engagement und ihr Ehrenamt den Geflüchteten aus der Ukraine bei uns helfen. Als Vorsitzender der Deutschen Stiftung für Ehrenamt und Engagement habe ich im vergangenen Jahr viele herausragende Projekte und Menschen kennengelernt. Sie stellen Wohnungen zur Verfügung, kümmern sich um Besorgungen und um die Dinge des täglichen Lebens. Es ist auch dieses Engagement unserer Bevölkerung, das die Solidarität unseres Landes mit der Ukraine tagtäglich und ganz praktisch mit Leben füllt.

Die Konsequenzen dieses Krieges gegen das ukrainische Volk gehen über die Ukraine hinaus. Sie betreffen letztlich die gesamte Weltbevölkerung. Denn die Ukraine war und ist die „Kornkammer Europas“, die viele Regionen dieser Welt mit Getreide und anderen Lebensmitteln versorgt. Und das verweist darauf, dass auch die Land- und Ernährungswirtschaft in Deutschland durch die direkten und indirekten Folgen des Krieges mit besonderen und großen Herausforderungen konfrontiert war und ist.

Im vergangenen Jahr wurden innerhalb kürzester Zeit Rohstoffe knapp, Transportwege wurden abgeschnitten und Container hingen in Häfen fest. Knappe Rohstoffe wurden entsprechend teurer, Energie und Betriebsmittel dadurch auch und zwar deutlich – damit auch unsere Lebensmittel. Wir haben erkennen müssen, dass wir Abhängigkeiten entwickelt haben, aus denen wir uns nicht so einfach lösen können.

Wir nehmen die Situation, in der sich unsere gesamte Branche befindet, sehr ernst – von der Land- und Ernährungswirtschaft über den Wald und Gartenbau bis hin zu Bäckereien, Metzgereien oder Brauereien. Auch deshalb arbeitet die gesamte Bundesregierung seit Beginn des Krieges intensiv daran, Lösungen für die vielen unterschiedlichen Herausforderungen zu finden.

Sie alle kennen die Maßnahmen, um die Folgen des Krieges abzufedern: die Entlastungspakete mit einem Volumen von knapp 100 Milliarden Euro sowie den 200 Milliarden Euro starken wirtschaftlichen Abwehrschirm. Nicht zuletzt haben wir als Ministerium eine unbürokratische, 180 Millionen Euro starke Krisenhilfe für besonders betroffene landwirtschaftliche Betriebe auf den Weg gebracht. Ich glaube, damit geben wir hier bei uns die richtige Antwort auf den Aggressor Putin, der überall auf der Welt Druck aufbauen, Unsicherheit stiften und Existenzen bedrohen will.

Auf den Weg gemacht haben wir uns in den vergangenen zwölf Monaten auch, unsere Landwirtschaft nachhaltiger und resilienter zu gestalten. Welche Herausforderungen da vor uns liegen, hat das vergangene Jahr deutlich aufgezeigt. Hitze, Dürren oder Starkregen sind keine regionalen Einzelphänomene mehr, sondern eine globale Bedrohung. Dafür brauchen wir gar nicht mehr bis nach Ostafrika schauen. Es reicht ein Blick nach Frankreich und Belgien, wo historisch wenig Regen fiel. Oder auch hier nach Brandenburg, wo sich im Sommer wüstenähnliche Gebiete bildeten. Zugleich wurde uns nochmal sehr schmerzlich bewusst, dass Ernährungspolitik immer auch Friedens- und Sicherheitspolitik ist.

Daher sehen wir uns als Bundesregierung darin bestärkt, Klimaschutz, Ernährungssicherung und Frieden noch stärker als zusammenhängend zu betrachten – und entschieden alle Krisen mit der gleichen Intensität zu bekämpfen. Das bedeutet dann konkret für Deutschland, dass wir unsere Landwirtschaft krisen- und zukunftsfest gestalten müssen – nicht nur kurzfristig, sondern auch langfristig.

Dabei spielt Ernährung eine entscheidende Rolle. Denn die Art und Weise wie wir uns ernähren, hat erheblichen Einfluss auf das, was die Landwirtschaft produziert, wie sie es produziert – und welche Folgen das für Mensch, Natur und Klima hat. Wir müssen dabei die Chancen nutzen, die sich aus einem zunehmenden Konsum pflanzenbasierter Produkte ergeben. Man sieht einen langfristigen Trend, dass nicht nur die Zahl der Vegetarier und Veganer, sondern am stärksten die der Flexitarier hochgeht. In jedem Supermarkt finden wir mittlerweile einen oder mehrere Haferdrinks, Humus und Erbsen basierte Salami stehen im Kühlregal.

Die Gesellschaft verändert sich hier. Das ist nichts, was ich als Minister verfüge oder entscheide, sondern mir geht es darum, diese Veränderungen aufzugreifen. Wir reden hier über Marktchancen, die den Händlern, aber auch unseren Landwirtinnen und Landwirten neue Absatzmärkte bieten. Ein nicht unerheblicher Nebeneffekt wäre zudem, dass wir dadurch unseren bekanntermaßen viel zu hohen Fleischkonsum reduzieren. Darum werbe ich gerade stetig dafür, die Mehrwertsteuer für Obst, Gemüse, Hülsenfrüchte auf Null zu setzen. Diese Forderung knüpft auch an die Vorschläge der Zukunftskommission Landwirtschaft an. Ich glaube, dass wäre nicht nur ein wichtiges Signal für ein Essen, mit dem man gesund alt werden kann. Es wäre auch ein klares Bekenntnis zu einem Wandel in Land- und Ernährungswirtschaft, die dem Schutz von Natur und Klima gerecht wird.

Aber der Hinweis darf nicht fehlen: Jede und jeder im Land entscheidet selbst, was auf dem Teller landet – mir geht es darum, Möglichkeiten zu schaffen. Mein politischer Anspruch ist es, so zu verändern, dass wir das Gute bewahren können. Verändern, um zu bewahren. Schützen, um zu nutzen. Aber auch nutzen, um zu schützen. Aber die Lösungen, um diesen Ansprüchen gerecht zu werden, fallen nicht vom Himmel.

Das gilt für den anstehenden Umbau der Tierhaltung, genauso wie bei der notwendigen Reduzierung des Pestizideinsatzes. Das gilt für den Schutz des Klimas durch neue wirtschaftliche Nutzungen von wiedervernässten Mooren oder den Umbau unserer Wälder. Und das gilt auch für die zukünftige Gemeinsame Agrarpolitik oder die Nutzung von Biokraftstoffen auf Basis von Getreide. Bei all diesen Herausforderungen müssen wir das Nutzen und Schützen gesellschaftlich und politisch neu verhandeln – und in Verhältnis bringen, dass auch unseren Kindern und deren Kindern eine gute Zukunft ermöglicht.

Besonders beim Umbau der Tierhaltung sind wir in einem sehr intensiven Diskussionsprozess. Ich bin davon überzeugt, dass wir da jetzt tatsächlich pragmatisch und erkennbar vorankommen. Dazu habe ich jetzt ein Gesamtpaket für den Umbau zu einer zukunftsfesten Tierhaltung aus transparenter Tierhaltungskennzeichnung, Änderungen im Baurecht und einer finanziellen Förderung auf den Weg gebracht. Jede konstruktive Kritik ist mir in dieser Situation willkommen, der Gesetzentwurf liegt ja gerade zur Beratung im Deutschen Bundestag – aber ich möchte doch zwei Gruppen unterscheiden.

Da ist die eine Gruppe, die veränderungsbereit ist, aber zugleich gute Hinweise hat, wie man es anders und möglicherweise besser machen könnte. Da ist aber auch die andere Gruppe, deren Kritik davon geleitet ist, dass sich nichts verändert, dass alles so bleibt, wie es ist, weil sie nämlich vom bestehenden System profitieren! Deren Weg kann und wird aber keine Zukunftsperspektiven schaffen, den werden wir nicht unterstützen, weil er den Ansprüchen an Veränderungen nicht gerecht.

Ich will deutlich betonen, wenn Landwirtinnen und Landwirte investieren und höhere Kosten auf sich nehmen, um mehr Tierschutz und Tierwohl in ihren Ställen zu realisieren, müssen wir das als Staat finanziell auch wertschätzen.

Wir wollen durch eine klare Herkunftskennzeichnung auch Transparenz schaffen, wo das Fleisch auf unseren Tellern herkommt. Verbraucherinnen und Verbraucher werden zukünftig honorieren können, wenn hohe Standards eingehalten und Umwelt, Natur und Klima geschützt werden. Ich möchte, dass wir hier Schritt für Schritt und zugleich zügig vorankommen, damit Landwirtschaft und unsere Tierhaltung gute Perspektiven bekommen. Unsere Bäuerinnen und Bauern sollen ausdrücklich davon profitieren, denn unser Land braucht sie! Und gerade weil wir sie brauchen, muss uns das als Politik und Verbraucher auch etwas Wert sein!

Endlich können wir in diesem Jahr den Austausch und Dialog in den Hallen unterm grün erleuchteten Funkturm wieder persönlich genießen. Ich freue mich und bin neugierig auf meine erste Internationale Grüne Woche als Landwirtschaftsminister. Meiner Ernennungsurkunde zum Minister fehlt ja noch die inoffizielle grüne Schleife einer erfolgreich absolvierten IGW. Ich wünsche Ihnen allen eine genussvolle, erkenntnisreiche, erfolgreiche und unterhaltsame Messe.

Hiermit eröffne ich die Internationale Grüne Woche 2023!


Titelbild: Cem Özdemir - Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft

Foto: Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion / Kaminski 



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