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Nicht aus süßem Schmus und leerer Symbolik

Deutschland und Frankreich feiern 60-jährige Freundschaft

Mit einem emotionalen Rückblick auf die Geschichte und einem Aufruf zu noch engerer Zusammenarbeit in Zukunft haben Spitzenpolitiker aus Deutschland und Frankreich am Sonntag die 60-jährige Freundschaft beider Länder gefeiert. "Der deutsch-französische Motor ist eine Kompromissmaschine - gut geölt, aber zuweilen eben auch laut und gezeichnet von harter Arbeit", sagte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in Paris. Der französische Präsident Emmanuel Macron rief beide Länder auf, "Pioniere der Neugründung unseres Europas" zu werden.

Am 22. Januar 1963, 18 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, hatten die Deutschland und Frankreich den Élysée-Vertrag (Wikipedia) unterzeichnet, der als das Fundament der Freundschaft beider Länder nach Jahrhunderten der Rivalität gilt. Scholz reiste gemeinsam mit 19 Ministerinnen und Ministern und etwa 120 Bundestagsabgeordneten am Sonntagvormittag nach Paris - ein so hochrangig besetztes Treffen beider Länder hatte es zumindest in jüngerer Vergangenheit nicht gegeben. 

Am Nachmittag sollte der im Oktober abgesagte gemeinsame Ministerrat nachgeholt werden. Es wurde mit Spannung erwartet, ob Scholz und Macron sich möglicherweise zur koordinierten Lieferung von Kampfpanzern an die Ukraine äußern würden. 

In ihren Reden an der Universität Sorbonne war davon zunächst nicht die Rede. Scholz bekräftigte einmal mehr die anhaltende Unterstützung der Ukraine durch die Europäer. "Wir werden die Ukraine weiter unterstützen - solange und so umfassend wie nötig. Gemeinsam, als Europäer - zur Verteidigung unseres europäischen Friedensprojekts", sagte er. 

"Putins Imperialismus wird nicht siegen", sagte Scholz. "Wir lassen nicht zu, dass Europa zurückfällt in eine Zeit, in der Gewalt die Politik ersetzte und unser Kontinent von Hass und nationalen Rivalitäten zerrissen wurde." Dafür stünde auch die jüngste Entscheidung, der Ukraine Schützenpanzer, Spähpanzer und weitere Flugabwehrbatterien zu liefern, "eng abgestimmt untereinander und mit unseren amerikanischen Freunden".

Scholz betonte zudem die Notwendigkeit der deutsch-französischen Zusammenarbeit "als Impulsgeber in einem geeinten Europa". Dabei beziehe der deutsch-französische Motor seinen Antrieb "nicht aus süßem Schmus und leerer Symbolik", sagte der Bundeskanzler.

Mehrfach benutzte er in seiner Rede französische Ausdrücke, bezeichnete Frankreich etwa als "nation indispensable" (unentbehrliche Nation). Scholz war in Frankreich dafür kritisiert worden, dass er in seiner Europa-Rede in Prag nicht auf die deutsch-französische Zusammenarbeit eingegangen war.

Macron zitierte seinerseits Goethe: "Zwei Seelen wohnen in meiner Brust" - worin er ein Bild der deutsch-französischen Beziehungen sieht. Er rief beide Länder auf, "Pioniere der Neugründung unseres Europas" zu werden. Diese Rolle komme ihnen zu, weil sie nach dem Zweiten Weltkrieg gemeinsam den Weg der Aussöhnung gegangen seien, sagte Macron. Die EU müsse ihrerseits die Rolle als "geopolitische Macht" in der Welt voll ausfüllen.

Konkret nannte Macron den Aufbau eines neuen Energiesystems "trotz unserer Unterschiede", Investitionen in die Energiewende und die Herstellung emissionsfreier Energien. Ziel sei eine Europäische Union, "die ihre Rolle als geopolitische Macht ausfüllt, sowohl bei der Verteidigung als auch bei der Raumfahrt und in der Diplomatie", sagte Macron.

Zum Auftakt des Festaktes hatten die Vorsitzende der Nationalversammlung, Yaël Braun-Pivet (Wikipedia), und  Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (Wikipedia) gemeinsam die französische Auschwitz-Überlebende, Frauenrechtlerin und Europapolitikerin Simone Veil (Wikipedia) im Pariser Pantheon (Wikipedia) geehrt. 

Braun-Pivet erinnerte in ihrer Rede an der Sorbonne an ihre in München geborene Großmutter Rosa, die vor den Nazis nach Lothringen geflohen war und später die französische Nationalität angenommen hatte. "Sie wäre heute so stolz", sagte sie mit bewegter Stimme unter anhaltendem Applaus. 

kol/ju Ulrike KOLTERMANN / © Agence France-Presse