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Der König ist tot, es lebe der Tod

Zum Tod von Benedikt dem XVI.

Als katholisch determinierter Mensch, war es mir nicht vergönnt, eine objektive und souveräne Meinung zu dem Glauben, der meine Kindheit bestimmte, zu entwickeln. Erst die vielen Stationen meines Lebens, die mich mit mir, den Menschen und der Kirche konfrontierten und hadern ließen, weckten in mir das Interesse, mich philosophisch mit den Lehren und Grundsätzen der katholischen Kirche und Glaubensgemeinschaften im Allgemeinen auseinanderzusetzen.

Heute, mit 46, traue ich mich deshalb erstmalig selbstbewusst an eine säkulare Reflektion von Glauben, der die Menschheit so lange in ihren Grundsätzen bestimmte und als Moralkodex ihr Handeln bestimmen sollte.

Joseph Ratzinger bzw. Benedikt der XVI. war und ist dabei für mich ein gigantischer Stolperstein der Freude. Denn sein Mut zur Meinung, den ich in seiner von ihm selbst erbetenen Dogmatik, die in dieser mitschwingt, nicht teile, provozierte zum Denken und damit notgedrungen zu kluger Argumentation, denn seine Syllogismen entbehren nicht einer ontologisch einleuchtenden Konsequenz.

Allerdings liegt auch genau hier mein Hauptkritikpunkt. Denn, zumindest in seiner konservativen Wende, wurde aus dem honorigen Ansatz des II vatikanischen Konzils, ein Dekret der selbstbewussten Rückgewandheit. All die Baustellen, die sich auftaten, wurden nicht als Neuanfang für eine neue demütige Definition der Institution selbst, sondern als Basis für eine neue Argumentation zur Bestätigung der alten Auslegung verstanden.

Man verstehe mich nicht falsch, ich finde es mutig und richtig, sich als Glaubensgemeinschaft für was auch immer, sich nicht den Massen anzubiedern, indem Forderungen blind umgesetzt werden, nur um eine breit gefächerte Zustimmung als potenzieller Hoffnungshafen der eigenen Seele zu dienen. Eine Glaubensgemeinschaft, auch die katholische, hat das Recht und die Pflicht, ein Profil zu entwickeln, das über seinen dispositivischen Charakter die Konturen erhält, an denen sich orientiert und differenziert werden kann.

Natürlich gibt es auch Facetten, die keinerlei Interpretationsspielraum lassen, wie die unzähligen Missbrauchsfälle. Aber meines Erachtens wurde darauf nicht so lapidar reagiert, wie es ihnen vorgeworfen wird. Es ist, wie ich denke richtig, die Kritik nicht in einer Schar von exemplarischen Beispielen zu konterkarieren, sondern das Problem glo0bal zu begreifen, was nicht, nur weil es auf Exemplare verzichtet, nicht weniger notwendig, eindringlich und deutlich sein kann.

Wenn in einer Gemeinschaft, die sich auf den Glauben an das Gute und an Vergebung, Unverzeihliches abspielt, muss zuvorderst darauf hingewiesen werden, dass etwas kategorisch nicht stimmt. Ratzinger als Benedikt der XVI. hat genau darauf hingewiesen. Er betonte, dass der Glaube eine gespielte egoistische Doppelmoral repräsentiert, die Ihrer eigentlichen ideale entbehrt. Dier Entschuldigung bei Opfern ist dabei ein menschenwürdiges Mittel, um sich selbst mit seinen Verfehlungen auseinanderzusetzen, aber ein Umdenken der Massen macht dies nicht notwendig.

Kein verurteilter Straftäter verändert sein Sein durch das Dogma der Strafe, sondern einzig und allein, wenn überhaupt, durch die Notwendigkeit eines Umdenkens als Einsicht, in die eigenen Schwäche und Fehlbarkeit.

Gewiss, das macht nichts besser und schon gar nichts ungeschehen und das ist das Problem. Aber wird dieses Unfassbare nicht mehr darüber auf den Punkt gebracht, dass man verdeutlicht, dass der Glauben zur Routine wurde und die Leidenschaft für altruistische ideale zu einem leeren Versprechen geriet und genau das die Wurzel ist, an der man ansetzen muss?

Ist nicht die Besinnung darauf, dass eine notwendige Rückbesinnung auf das eigentlich wesentliche unumgänglich ist. Was bringen Entschuldigungen, wenn sie nicht einmal vom Täter selbst geglaubt werden?

Damit will ich nicht gut oder richtig reden, dass sich auch Ratzinger schwerer vergehen schuldig gemacht hat. Aus der Perspektive eines Katholiken sogar der schwersten, des Maineides. Aber dieses vergehen kann nicht von außen so an den Betreffenden herangetragen werden, dass dieser zu einem plakativen und alternativen Umdenken gezwungen wird, denn genau dann sind wir wieder in der Dilemmafalle der Ontologie, dem Steckenpferd Ratzingers, was ihm von vielen Seiten berechtigt vorgeworfen wird.

Ich glaube nicht an Gott und auch nur bedingt an die Vernunft, aber woran ich fest glaube, ist, dass die blinde Hetzjagd eines getriebenen Aktionismus nur Befriedigungen eines verletzten Egoismus herbeiführen kann und kein konstruktives Vehikel für eine nachhaltige Prophylaxe unfassbarer Gräueltaten sind.

Ich bezweifle deshalb, ob die Aufhebung des Zölibats oder der Exklusivität maskuliner Würdenträger aus der Perspektive der Rache ihre volle Konstruktivität entfalten können. Es geht darum, im sinne des II vatikanischen Konzils, das sein der Kirche neu zu definieren, indem sich auf die soften Kernkompetenzen Vergebung, Erbarmen und Hoffnung für alle konzentriert wird. Von mir aus können dabei Richtlinien bestehen bleiben, die ich persönlich für antiquiert halte, denn ich bin ja nicht gezwungen zu partizipieren.

Meine Hoffnung wäre jedoch, dass die Kirche, und ich meine in diesem Falle besonders die katholische, ihre Kernkompetenzen (s.o.)  als konfessionsübergreifende Moralmaxime für alle Menschen vertritt und auch für nicht Mitglieder der eigenen Glaubensgemeinschaft nachvollziehbar erklärt und empfiehlt. Das kein Unterschied in der Handlungsqualität gemacht wird, nur weil der Name der Autorität ein anderer ist.

Ich werde an Papst Benedikt dem XVI. vermissen, dass er bereit war, sich zu streiten und argumentativ seine Position klug zu vertreten. Für mich ist er in Bezug auf den Mut zur unpopulären Meinung ein Vorbild, das seins Gleichen sucht, aber natürlich auch ein Oppositioneller, der über intellektuelle Raffinesse den Bezug zur Weltlichkeit verloren hat.

Die Frage ist nur, glaube oder glaubte ich daran, dass ein Mensch alle Probleme der Welt oder auch nur einer gigantischen Glaubensinstitution lösen kann? Nein. Das Einzige, was ein so prädestiniertes Amt, egal ob von einer Frau oder einem Mann bekleidet, ausrichten kann, ist eine ausgestreckte Hand der Versöhnung an alle. Und das bedeutet, wie auch immer das säkular versöhnt werden kann, auch eine Versöhnung mit Tätern, die nachvollziehbar mit persönliche Wut Betroffener und Mitleidender auf den Scheiterhaufen gewünscht werden.

Aber, wer die Todesstrafe ablehnt, kann sich diesem ideal nicht verweigern. Entweder haben alle immer Menschenrechte oder keiner. Niemals.

Ich weiß, das ist ein utopischer Wunsch, aber deshalb glaube ich ja auch weder an den Glauben noch die Vernunft, aber ich tue auch nicht so, als würde ich das, um dann im Präzedenzfall, der mich vielleicht selbst ereilen wird, umzufallen.

Gott ist tot. Ertragen wir es mit Würde.


Bild: Pixabay.com