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Rede von Bundeskanzler Olaf Scholz

beim 25. DBB Beamtenbund und Tarifunion Gewerkschaftstag 2022 am 29. November 2022 in Berlin.

Sehr geehrter Herr Vorsitzender, lieber Herr Silberbach,

sehr geehrte Delegierte und Mitglieder des DBB,

liebe Angehörige des öffentlichen Dienstes,

meine Damen und Herren,

vor einigen Wochen war ich in Gifhorn zu Besuch, um mich vor Ort mit Bürger*innen zu unterhalten, quer durch alle Alters- und Berufsgruppen. Eine Fragestellerin war die Personalratsvorsitzende des dortigen Jobcenters. Sie erzählte mir, wie sehr die geplante Reform bei der Vermittlung, Aus- und Weiterbildung die Jobcenter fordert. Und zudem, so hat die Dame mir berichtet, kümmern sich die Kolleg*innen dort jeden Tag um Ukrainer*innen, die vor dem furchtbaren Krieg in ihrer Heimat zu uns geflohen sind und die nun hier arbeiten möchten.

Von einer Zeitenwende habe ich im Februar mit Blick auf Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine und den darin liegenden Bruch der europäischen Friedensordnung gesprochen. Das Beispiel aus Gifhorn zeigt: Diese Zeitenwende ist überall in unserem Land spürbar und sie macht vor unserem Land nirgendwo halt. Sie kommt im Jobcenter in Gifhorn an, genauso wie bei denjenigen, die in den letzten Monaten neue Energieinfrastruktur geplant und genehmigt haben, die die nötigen Gesetze und Verordnungen vorbereiten, die neue Windparks oder Solaranlagen genehmigen, die Flüchtlingsunterkünfte organisieren und Willkommensklassen einrichten, die bei der Bundeswehr neues Material beschaffen oder die in Bund, Ländern und Kommunen die Entlastungspakete umsetzen, die wir in den vergangenen Monaten geschnürt haben.

Sie und Ihre Kolleg*innen sind die Gestalter*innen der Zeitenwende. Deswegen möchte ich mich auch vor dem Hintergrund mancher Diskussionen der vergangenen Tage – einige haben Sie eben zitiert – einmal gleich zu Anfang klar äußern: Deutschland braucht einen starken öffentlichen Dienst, gerade jetzt, gerade in diesen Zeiten!

Sie und Ihre fünf Millionen Kolleg*innen sind auch ein Rückgrat unseres Landes. Krisen, wie wir sie gerade erleben, sind immer auch Zeiten der Verunsicherung. Umso wichtiger ist dann ein Staat, der liefert, der spürbar an der Seite der Bürger*innen steht – zumal die Sorgen vieler Bürger*innen und Unternehmen vor Preissteigerungen, der nächsten Stromrechnung oder explodierenden Nebenkosten ganz real sind. Deshalb deckeln wir die Preise für Gas, Strom und Wärme auf ein immerhin verträgliches Maß. Deshalb sorgen wir für massive steuerliche Entlastungen. Deshalb erhöhen wir Kindergeld und Kinderzuschlag. Deshalb haben wir gerade die größte Wohngeldreform in der Geschichte unseres Landes auf den Weg gebracht.

Bei all dem geht es darum, dass diejenigen, die jeden Tag hart arbeiten, die anpacken und unser Land voranbringen, aus eigener Kraft und mit eigener Kraft durch diese Krise kommen. Das gilt natürlich auch für die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes, und besonders für diejenigen in den einstelligen Besoldungs- und Tarifgruppen.

Ich sage das auch vor dem Hintergrund der Urteile des Bundesverfassungsgerichts zur amtsangemessenen Besoldung – eben haben Sie darauf angespielt. Das Bundesinnenministerium ist gerade dabei, die Vorgaben des Gerichts durch eine Änderung des Besoldungsgesetzes umzusetzen. Das dürfte für ein Plus gerade in den unteren Besoldungsgruppen und bei Familien mit vielen Kindern sorgen. Denn auch hier gilt: Leistung und Anstrengung müssen sich lohnen – gerade auch für diejenigen, die wie Sie Ihre Arbeitskraft in den Dienst der Allgemeinheit stellen.

Die Zeitenwende, die mit Russlands Krieg gegen die Ukraine und dem Angriff auf die europäische Friedensordnung verbunden ist, hat den Handlungsdruck auf uns alle erhöht. Zugleich hat sie uns in aller Klarheit gezeigt, worin die zentralen Aufgaben unseres Staates liegen. Neben der Wahrung unserer Sicherheit – nach außen wie im Innern – geht es vor allem auch darum, die größte Transformation unseres Landes seit Beginn der Industrialisierung voranzubringen, unseren Weg raus aus der Abhängigkeit von fossilen Energien.

Wir haben uns vorgenommen, bis 2045 eines der ersten klimaneutralen Industrieländer zu werden, weil Energie eben nur so sicher und bezahlbar bleibt. Schon 2030 – das ist in gerade einmal sieben Jahren – wollen wir 80 Prozent unseres Stroms aus erneuerbaren Energien produzieren. Damit wir diese Ziele erreichen, müssen wir deutlich mehr Tempo machen als bisher.

Wir haben in diesem Jahr drei große Gesetzespakete zur Planungsbeschleunigung beschlossen und dadurch zum Beispiel dem Ausbau erneuerbarer Energien Vorrang vor anderen Rechtsgütern gegeben. Das ist eine ganz konkrete Reaktion auf das Anliegen, das Sie eben ja auch formuliert haben: Wir müssen viele Genehmigungen, viele Entscheidungen schneller und zügiger zustande bringen. Das wird auch die Entscheidungsprozesse in den Verwaltungen erleichtern und beschleunigen.

Dass und wie es geht, haben wir in den letzten Monaten erlebt. In einer für unser Land fast atemberaubenden Geschwindigkeit entstehen an der Nord- und Ostsee Flüssiggasterminals, mitsamt der nötigen Infrastruktur an Land. Auch Zukunftsprojekte wie die Ansiedlung von Tesla in Brandenburg oder von Intel in Sachsen-Anhalt haben unsere Verwaltungen in Bund, Ländern und Kommunen gemeinsam hervorragend vorangetrieben.

Deshalb sage ich heute klipp und klar: Der deutsche öffentliche Dienst muss nicht beweisen, dass er Tempo machen kann. Sie machen Tempo. Sie wollen unser Land gestalten – das zeigen auch Ihre Leitanträge, die Sie hier beraten, die sich mit e-Government, Aus- und Weiterbildung, einem modernen Beamtentum oder flexiblem Arbeiten beschäftigen.

Zugleich ist mir völlig klar: Sie und Ihre Kolleg*innen in den Schulen, Ämtern, Gerichten und Krankenhäusern, bei der Polizei, beim Zoll, in der Bundeswehr, in unseren Ministerien und Behörden sind bei der Gestaltung der Veränderungen, die mit der Zeitenwende verbunden sind, auf die richtigen Rahmenbedingungen und auf politische Unterstützung angewiesen. Beides will ich Ihnen gern zusagen – auch deshalb bin ich heute hier.

Durch diese schwierige Zeit gehen wir gemeinsam. Das beginnt mit einer Selbstverpflichtung seitens der Politik: Gesetzgebung und Verwaltungshandeln dürfen nicht auseinanderfallen. Deshalb denken wir die praktische Durchführbarkeit und die digitale Umsetzung bei allen Gesetzen und Verordnungen von Beginn an mit. Wir sorgen für schlankere, schnellere Verwaltungsverfahren und Verwaltungsgerichtsverfahren bei großen Infrastrukturvorhaben. Dazu bringen wir noch im Dezember neue Regelungen auf den Weg. Wir hören auf diejenigen, die die Regelungen am Ende umsetzen müssen. Bei den Preisbremsen für Strom, Gas und Wärme haben wir neben Wissenschaftler*innen deshalb ganz bewusst auch Praktiker*innen aus den Kommunen und Stadtwerken zurate gezogen.

Gemeinsam für Tempo zu sorgen, das ist der modus operandi in dieser Zeitenwende. Zwei Felder liegen mir dabei besonders am Herzen, weil sie entscheidend für einen zukunftsfähigen öffentlichen Dienst und damit zugleich für die Zukunftsfähigkeit unseres Landes sind.

Erstens: Ein starker öffentlicher Dienst muss attraktiv für die besten Köpfe sein. Hier steht die Verwaltung in einem zunehmend harten Wettbewerb mit anderen Arbeitgebern, – zumal wir im vergangenen Jahr auch angesichts der großen Aufgaben, die vor unserem Land liegen, für zusätzliche Stellen zum Beispiel bei der Bundespolizei gesorgt haben; Stellen, die nun auch mit guten Leuten besetzt werden müssen.

Hinzu kommt, dass die geburtenstarken „Babyboomer“-Jahrgänge zunehmend in den Ruhestand gehen. Nebenbei: Wenn ich uns beide, lieber Herr Silberbach, als „Babyboomer“ bezeichne, habe ich immer ein seltsames Störgefühl. Im öffentlichen Dienst betrifft das in den kommenden acht bis zehn Jahren rund 40 Prozent der Beschäftigten. Um diese Lücke füllen zu können, muss der öffentliche Dienst Frauen und Männer an sich binden, die unser Land gestalten wollen. Ein wichtiger Faktor dabei ist natürlich eine faire und wettbewerbsfähige Bezahlung. Dazu möchte ich mich heute ausdrücklich bekennen. Die Novelle des Bundesbesoldungsgesetzes habe ich ja schon erwähnt.

Aber die Attraktivität eines Arbeitsplatzes geht weit über das Finanzielle hinaus. Wer wüsste das besser als die Männer und Frauen, die sich als Teil des öffentlichen Dienstes per definitionem für die Belange der Allgemeinheit stark machen? Viele sagen: Die Attraktivität des öffentlichen Dienstes gerade in Krisenzeiten ist vor allem das Resultat eines Strebens nach Sicherheit. Doch das überzeugt mich nicht. Natürlich ist eine sichere Arbeitsstelle ein entscheidendes Merkmal einer Tätigkeit für den Staat. Aber darüber hinaus hat sich auch die Wahrnehmung des öffentlichen Dienstes verändert, nicht zuletzt, weil doch jeder sehen kann, welch große Transformationsaufgaben in den nächsten Jahren vor unserem Staat liegen und vor denjenigen, die wie Sie Staat machen. Wer sich als junge Frau oder junger Mann heute für den Klimaschutz und für erneuerbare Energien engagieren möchte, der muss sich dafür eben nicht auf Landebahnen von Flughäfen festkleben. Er und sie kann von den Bau- oder Umweltämtern der Kommunen angefangen bis hin zu den Bundesministerien, die Dinge in unserem Land ganz konkret voranbringen und verbessern. Genau das ist doch die Rolle des öffentlichen Dienstes in unserer Zeit.

Auch der öffentliche Dienst selbst ist dabei sich zu verändern, und zwar, wie ich finde, zum Besseren. Mehr Flexibilität – etwa in Sachen von Homeoffice – ist seit der Pandemie zur neuen Normalität geworden. Das erhöht die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, – etwas, das vielen Bewerber*innen heute nachvollziehbarerweise sehr wichtig ist.

Wir haben uns vorgenommen, auch die Möglichkeiten berufsbegleitender Qualifizierungs- und Weiterbildungsmöglichkeiten im öffentlichen Dienst zu verbessern, um mit Digitalisierung, Technologisierung und Transformation schrittzuhalten. Wir erleichtern Zugänge zu bestimmten Beamtenlaufbahnen und den Aufstieg, indem wir Zugangsvoraussetzungen verändern und weitere zentrale Aufstiegslehrgänge einrichten. Schließlich wächst die Attraktivität des öffentlichen Dienstes auch, wenn die Arbeitsabläufe moderner und digitaler werden. Sie haben es schon erwähnt.

Damit bin ich beim zweiten Punkt, der mir besonders wichtig ist: der Digitalisierung unserer Verwaltung. „Alle Verfahren“, so heißt es in Ihrem Leitantrag dazu, „sollen von Anfang bis zum Ende vollständig digital sein. Auf einen digitalen Antrag auf einer Bürgerseite dürfe kein analoger Prozess in der Verwaltung folgen.“ Besser hätte ich es nicht formulieren können. Es sollte nicht sein, dass man leichter per App einen Flug bucht, als eine Wohnsitzummeldung beim Bürgeramt vorzunehmen. Dafür haben die Bürger*innen in Deutschland überhaupt kein Verständnis mehr.

Dazu gehört auch, dass wir bei der Nutzung einer sicheren digitalen Identität vorankommen. Denn darin liegt der Schlüssel für digitale Behördengänge, von der elektronischen Ummeldung bis hin zur Abgabe der Steuererklärung.

Bislang war die Reihenfolge in Sachen Digitalisierung meist so: Erst kam das Gesetz, dann die Umsetzung und zuallerletzt hat man sich Gedanken gemacht, ob das auch digital funktioniert. Mit dem Digitalcheck wird das in Zukunft genau andersherum sein. Ziel ist es, Gesetze von Anfang an digitaltauglich auszugestalten. Bei der Kindergrundsicherung werden wir das zum ersten Mal ausprobieren. Ich bin sicher, dass das Schule machen wird.

Auch bei der konkreten Umsetzung digitaler Lösungen bieten wir Unterstützung an. Dafür gibt es den DigitalService des Bundes, ein Unternehmen, das nutzer*innenfreundliche Lösungen entwickelt, wie beispielsweise ein Tool zur Berechnung der Grundsteuer, das mittlerweile schon über eine halbe Million Nutzer*innen verwendet haben. Das sind Menschen, die auch so etwas wie die Corona-Warn-App entwickeln können, wenn es das nächste Mal ansteht. Jedenfalls habe ich ziemlich gute Berichte über sie bekommen.

Ich habe eingangs die Personalratsvorsitzende beim Jobcenter in Gifhorn erwähnt, die mir berichtet hatte, wie sie und ihre Kolleg*innen – in Anführungsstrichen – ganz normale Arbeit machen, zugleich noch Geflüchtete betreuen und sich zudem auf die neuen Regeln, etwa des Bürgergelds, vorbereiten. Darin lag wohlgemerkt keine Klage. Es war eher eine Feststellung: „Wir kümmern uns“, eine Feststellung, wie sie auch im Motto Ihres heutigen Gewerkschaftstags steckt: „Staat. Machen wir.“

Staat machen Sie – und das sehr gut. In diesen Zeiten, in denen wir erleben, wie sich viele Dinge schnell ändern – von der Zeitenwende habe ich ja gesprochen –, kommt es auf dieses Engagement für die öffentliche Sache, für die res publica umso mehr an. Dafür danke ich Ihnen und all Ihren Kolleg*innen von ganzem Herzen. Ganz besonders Ihnen, lieber Herr Silberbach. Herzlichen Glückwunsch zur Wiederwahl als Vorsitzender des DBB! Ihnen und Ihrem Team wünsche ich weiterhin alles Gute, viel Kraft und eine glückliche Hand.

Schönen Dank!



Titelbild: Bundeskanzler Scholz: Deutschland braucht einen starken öffentlichen Dienst, gerade jetzt, gerade in diesen Zeiten.

Foto: Bundesregierung/Kugler


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