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Katar verliert

Ernüchterung nach dem Feuerwerk - Katar nicht auf WM-Niveau

Feuerwerk zischte glühend in den nachtschwarzen Wüstenhimmel - doch dann folgte die ganz große Ernüchterung. Katar hat die umstrittenste WM der Fußball-Geschichte mit der ersten Auftaktniederlage eines Gastgebers überhaupt eröffnet: Das Emirat läutete sein Multimilliarden-Projekt nach einer pompösen Show mit einem sportlich schwer enttäuschenden 0:2 (0:2) gegen Ecuador ein und muss das frühe Aus befürchten. Das geheimnisvollste Team des Turniers präsentierte sich dabei nicht annähernd auf WM-Niveau.

Enner Valencia (16., Foulelfmeter/31.) wurde mit zwei Toren zum ersten WM-Star und dämpfte die durchaus spürbare Euphorie des Asienmeisters von 2019 im "Beduinenzelt-Stadion" Al-Bayt nördlich von Doha. Zuvor hatte es eine andere vielbeachtete Premiere gegeben: Die halbautomatische Abseitserkennung, neues Hilfsmittel für die WM-Schiedsrichterinnen und Schiedsrichter, führte zur Aberkennung eines früheren Valencia-Treffers in der 3. Minute. 

Da jubelten die meisten der 67.372 Zuschauer noch, doch sie sahen ihre Mannschaft überfordert und fahrig - und verließen schon vor dem Schlusspfiff in Scharen das Stadion. Kaum eine Passfolge gelang, Katar lief ständig hinterher und wusste sich häufig nur mit Fouls zu helfen. Torhüter Saad Al-Sheeb patzte mehrfach. Das zweite Spiel der Gruppe A bestreiten am Montag der Senegal und die Niederlande.

Katar gab den Startschuss für sein politisch akribisch geplantes Schau-Objekt Weltmeisterschaft als Traum aus Tausendundeiner Nacht: mit Kamelen, Trommeln und Säbeltanz, aber auch moderneren Elementen. Durch die Zeremonie führte im 850 Millionen Dollar teuren WM-Neubau der US-Oscargewinner Morgan Freeman (85). Katar, traditionsbewusst und offen - das sollte die Botschaft sein. 

Um 19.02 Uhr Ortszeit, nach einer kurzen Rede des Emirs Tamim bin Hamad Al Thani, erfolgte mit dem Anstoß durch Katars "Starspieler" Almoez Ali der endgültige Beweis, dass mit ausreichend Geldmitteln im Sport alles zu haben ist. Der Ball rollte, und Gianni Infantino lachte in seinem weißen Ledersessel. Der FIFA-Präsident wünscht sich ein fröhliches Turnier ohne lästige Diskussionen über Menschenrechte oder unwürdige Arbeitsbedingungen.

Darüber war dem Schweizer, der einen Teil seines Lebens nach Doha verlegt hat, in den 4371 Tagen seit der Turniervergabe mehr als genug geredet worden. Doch enorme Fragezeichen bleiben, nicht nur bei den Rechten von Frauen und Personen aus der LGBTIQ-Gemeinschaft. "Willkommen, liebe Freunde!", rief Infantino.

Fünf Jahre hatte die FIFA gebraucht, um festzustellen, dass es im Sommer zu heiß für eine WM gewesen wäre. Elfeinhalb Jahre, um dem Turnier ein richtiges, singuläres Eröffnungsspiel zu geben - und nach 4369 Tagen verkündete Katar ein Bierverbot im Stadion abseits der VIP-Logen. Das war dann auch ein Schlag ins Gesicht für die FIFA.

Aber, tatsächlich, zum Fußball: Katar hatte sich seit Monaten in Europa abgeschottet und eine viel akribischere Vorbereitung als alle anderen Nationen genossen - auch, weil alle im Kader in der heimischen Liga spielen. Doch von Klasse war nichts zu sehen. Valencia nutzte die Verwirrung nach einem Torwartfehler zum vermeintlich ersten Turniertreffer, der aber sogleich wegen einer Abseitsstellung zurückgenommen wurde. 

Valencia war es dann auch, der elfmeterreif gefoult wurde und selbst lässig verwandelte. Der Stürmer von Fenerbahce Istanbul und nun älteste Torschütze in einem WM-Eröffnungsspiel traf später erneut, ein Comeback der Gastgeber erschien da bereits kaum noch vorstellbar: trotz einer ersten katarischen Großchance von Almoez Ali (45.+5). 

Ecuador dominierte auch fortan, mit Piero Hincapie von Bayer Leverkusen in der Abwehr. Katar gelang es hingegen nicht, Druck aufzubauen, wodurch das Spiel in der Wüste arg dahin plätscherte. Das schlug auch auf die Stimmung im Stadion: Der organisierte katarische Support begann zu erlahmen, viele Plätze waren plötzlich verwaist - die rund 6000 Ecuadorianer blieben allerdings lautstark.


Andreas ASEN und Jonas WAGNER / © 2008-2022 Sport-Informations-Dienst