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84 Jahre und doch längst nicht Geschichte! Heute Nacht jähren sich die Reichspogrome.

Das russische Wort Pogrom heißt übersetzt Sturm oder Vernichtung. Eine passende Bezeichnung für unmenschliche Taten.

Am 07. November 1938 erschoss Herschel Grynszpan den deutschen Botschafter Ernst vom Rath in Paris. Grynszpan war Jude und wollte damit die Deportation Tausender Juden, worunter sich insbesondere auch dessen Familie befand, rächen. 


Zwei Tage später, am 09.November, trafen sich jährlich die Truppen der SA und der SS zur “Ehrung der alten Kämpfer”. Diese Gedenkfeier sollte an die verbündeten Hitlers erinnern, die beim Hitlerputsch 1923 ihr Leben ließen. 


Dieser Tag wird aber bereits seit der Machtübernahme der Nationalsozialisten für besonders starke Hetze gegen Menschen jüdischen Glaubens genutzt. Bereits seit Jahren hatten die jüdischen Mitbürger*innen Angst vor diesem Tag. Die Geheimpolizei “Gestapo” nahm das Attentat auf vom Rath zum Anlass, um bundesweit zu “Aktionen gegen Juden” aufzurufen. 

In Münster hatte dies zur Folge, dass vom Prinzipalmarkt aus, wo zunächst die “Ehrung” stattfand, Formationen der SA, der Sturmabteilung der NSDAP, zur Synagoge und zum Wohnhaus des Rabbiners Dr. Steinthal marschierten. Dort hielt sich ein Kaufmann auf, der geflüchtet war, als sein Geschäft mit antisemitischen Beschimpfungen beschmiert wurde. Die SA zerschoss die Fenster der Synagoge und brach die Tür auf. Sie stürmten das Haus, schossen den Kaufmann an und warfen ihn in den Kanonengraben. Den Rabbiner Dr. Steinthal schlugen die Nationalsozialisten zusammen und brachten ihn in ihre Gewalt. Er sollte die Wohnorte seiner Gemeindemitglieder verraten. 

Zeitgleich dringt ein anderer SA-Trup in die Synagoge ein, zerstört das Inventar, pfercht dieses zu einem Scheiterhaufen zusammen und setzt alles in Brand. 

Wer in dieser Nacht die Polizei oder die Feuerwehr rief, bekam als Antwort nur zu hören: “Wenn Sie Juden sind, können wir nichts tun.”

Der Arzt Dr. Levy versuchte mit seiner Frau zu fliehen, wurde von der Sturmtruppe durch die Salzstraße getrieben, bis er schließlich auf dem Prinzipalmarkt blutig zusammenbrach. 


Gebäude wurden zerstört, Wohnungen und Geschäfte geplündert, Autos in Brand gesetzt und Mitmenschen gehetzt, gejagt, misshandelt und getötet. Das alles ist in den wenigen Stunden der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 in unserer Stadt geschehen. Weil das Glas der zerstörten Schaufenster knirschte, wenn man drüber lief, nannten die Nationalsozialisten diese Nacht zynisch die “Reichskristallnacht”. 


Die zerstörten Häuser und Geschäfte waren wie eine Sehenswürdigkeit für die nationalsozialistischen Bürger*innen Münsters. 

Am nächsten Tag “besuchten” Lehrer mit ihren Schulkindern die ausgebrannte Synagoge und ließen die Kinder dort eine antisemitische Umdichtung des Heckerlieds singen: 

“Wenn der Sturmsoldat ins Feuer geht, ei, dann hat er frohen Mut, / und wenn’s Judenblut vom Messer spritzt, dann geht's nochmal so gut”. 

Um das repräsentative Stadtbild wiederherzustellen, beseitigte die Polizei die Pogromschäden schnell. Bereits am elften November wurden zerstörte Geschäfte mit Brettern vernagelt. Für die Kosten mussten die Opfer aufkommen. 

Ab da begann die “stille” Vernichtung der Juden. Fünf Jahre später, 1943, hörte die jüdische Gemeinde Münsters vorerst auf zu existieren. 


Villa ten Hompel

Historische Stadtteilführung zu Gedenken der Reichspogrome

Historikerin Michaela Kipp gab anlässlich des 84. Jahrestages der Reichspogromnacht eine historische Führung durch das Ostviertel Münsters. Dabei wurden acht Stationen besucht. Den Startpunkt machte die Gedenkstätte Villa ten Hompel, eine ehemalige Fabrikantenvilla im Erphoviertel, die zur Zeit des Nationalsozialismus als Zentrale der Ordnungspolizei diente. Von hier aus steuerte und bewachte die NS-Ordnungspolizei unter dem Befehlshaber Heinrich B. Lankenau ab 1940 unter anderem die Deportationszüge in die Vernichtungslager.


Im Verlauf des Rundgangs wurden verschiedene Orte besichtigt, an denen NS-Institutionen ihren Sitz hatten. Dazu gehörte die Gestapo-Leitstelle, die NSDAP-Geschäftsstelle, der Sicherheitsdienst der SS und die Sammelstelle zur Deportation der Jüd*innen aus Münster im ehemaligen Ausflugslokal Gertrudenhof.

ehemaliges Luftkreiskommando

Ein besonderes Augenmerk wurde bei der Stadtteilführung auch auf die Beteiligung der Universität und der Studierendenschaft an den Gräueltaten der Nationalsozialist*innen gelegt. Es wurde aufgezeigt, dass ein Großteil der Studierenden, Teil der SA oder der NSDAP waren und aktiv mit der Ordnungspolizei und den Stoßtrupps zusammengearbeitet haben. 

ehemalige Gestapo-Leitstelle

Unter anderem waren die Student*innen aktiv an den Bücherverbrennungen beteiligt, sie haben nicht NS-Ideologie-konforme Dozierende ausspioniert, boykottiert und denunziert. Auch an der Reichspogromnacht im Jahr 1938 waren die Studierenden sowie der Germanistik-Professor Dr. Karl Schulte-Kemminghausen beteiligt. Ab dem Jahr 1938 gab es weder jüdische Studierende noch jüdische Professor*innen an der Westfälischen Wilhelms-Universität.

Text & Bilder: Patricia Brüggemeier & Laura Stein

Bild Villa ten Hompel: Stadt Münster