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"Energieverbrauch setzt dem digitalen Rechnen Grenzen"

Wilfred G. van der Wiel erklärt, was intelligente Materie mit den Computern von morgen zu tun hat.

Er gilt als Pionier auf dem Gebiet des materiellen Lernens: Prof. Dr. Wilfred G. van der Wiel ist Professor für Nanoelektronik und Direktor des Center for Brain-Inspired Nano Systems (BRAINS) an der Universität Twente. Eine zweite Professur hat er am Physikalischen Institut der WWU Münster. Sein Forschungsinteresse gilt unkonventioneller Elektronik für effiziente Informationsverarbeitung. Mit Christina Hoppenbrock sprach er über das Potenzial intelligenter Materie und die Zukunft des digitalen Rechnens.

Wenn wir von intelligenter Materie sprechen, stellt sich die Frage: Was bedeutet „Intelligenz“ in diesem Zusammenhang überhaupt?

Für Intelligenz gibt es keine allgemein gültige Definition. Generell kann man sagen: Sie ist das Vermögen, Informationen zu verarbeiten, zu behalten und zu einem späteren Zeitpunkt und in einem anderen Kontext zu verwenden. Bezogen auf Materie ist es eine minimalistische Definition, die nichts mit Emotionen oder Bewusstsein zu tun hat. Um zu veranschaulichen, was intelligente Materie ist, können wir Materialien in vier Stufen einteilen. Stufe eins bedeutet: Die Funktionalität ist abhängig von der Struktur des Materials. Ein Beispiel ist eine Brille mit passend geschliffenen Gläsern. Stufe zwei nennen wir „responsiv“ – das Material reagiert auf bestimmte Umweltreize, wie Brillengläser, die sich bei Sonneneinstrahlung dunkel tönen. Stufe drei heißt: Ein Material verarbeitet mehrere Umweltreize gleichzeitig und reagiert je nach Reizkonstellation unterschiedlich. Ein hypothetisches Beispiel ist eine Brille, deren Gläser sich abhängig von der Sonneneinstrahlung tönen und die ihre Farbe gleichzeitig an die Farbe der Kleidung ihres Trägers anpasst. Erst bei Stufe vier reden wir von Intelligenz – das Material „lernt“ durch Erfahrung. Solch eine Brille müsste zusätzlich zu den genannten Eigenschaften auch noch erkennen, welche Bedürfnisse der Mensch gerade hat – ob man zum Beispiel Auto fährt und in die Ferne schaut oder ein Buch liest. Sie könnte die Sehstärke dann entsprechend anpassen.

Das Gehirn ist Vorbild für eine moderne Computerarchitektur / © UT - AG Van der WielIhr Steckenpferd ist innovative Computer-Hardware. Was hat diese mit intelligenter Materie zu tun?

Die traditionelle Computer-Architektur ist für bestimmte Berechnungen gänzlich ungeeignet, zum Beispiel für künstliche Intelligenz (KI). Denn bei KI müssen extrem viele gespeicherte Daten zum Prozessor geführt und wieder abgespeichert werden – beispielsweise wenn ein Computer darauf trainiert wird, Personen auf Bildern zu erkennen. Wenn Speicher und Prozessor räumlich getrennt sind, kostet das sehr viel Zeit und Energie. Viel effizienter ist ein Netzwerk, das ähnlich arbeitet wie die Nervenzellen im Gehirn und an einem Ort Informationen speichert und verarbeitet. Wir wollen neuartige Computerbausteine aus intelligenter Materie entwickeln. Das wird ein langer Weg, aber das Gehirn ist ein Beweis dafür, dass es andere Lösungen gibt. Unsere Computerchips arbeiten mit Netzwerken von Nanopartikeln, deren Verhalten durch Moleküle gezielt beeinflusst wird. Solche Chips werden nicht nur schnelleres Rechnen erlauben, sondern auch eine deutlich verbesserte Energieeffizienz haben.

Ihr Ziel ist es, die Grenzen des digitalen Rechnens zu überwinden ...

Ja. Diese Grenzen sind derzeit exakt festgelegt, und zwar durch den Energieverbrauch. Ein Beispiel: Echtes autonomes Fahren im Alltag ist mit der derzeitigen Computertechnologie nicht sehr interessant, da die meiste Energie der Batterie für das Rechnen verbraucht werden soll.

Noch ist intelligente Materie Zukunftsmusik. Was wird sie leisten können?

Vorhersagen zu machen ist schwierig. Unsere Lösungen werden sich vielleicht erst in zehn, fünfzehn Jahren durchsetzen. Aber die Idee, sich mehr am Gehirn zu orientieren, die gibt es bereits und man sieht diesen Trend heute schon in manchen elektronischen Geräten. Ich bin überzeugt, dass sich diese Entwicklung durchsetzen wird. Wir wollen aber gar nicht alles ersetzen. Die digitale Technologie ist heute sehr gut, besonders, wenn Präzision gefragt ist. Wir wollen bestimmte Funktionen verbessern und effizienter machen.



WWU

Foto: Prof. Dr. Wilfred G. van der Wiels Forschungsinteresse gilt unkonventioneller Elektronik für effiziente Informationsverarbeitung / © WWU - Niklas Arndt