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Baerbocks Rede " Auf sie fallen tagtäglich Bomben."

Rede von Außenministerin Annalena Baerbock im Bundestag anlässlich der Haushaltsdebatte zum Haushalt 2022:

Ich möchte mich zuallererst herzlich bedanken - das haben ja einige von Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, auch schon gemacht -: In dieser besonderen Situation, die insbesondere diesen Haushalt besonders herausgefordert hat, haben wir, haben Sie gemeinsam zusammenarbeitet. Und wir konnten - das ist wirklich bemerkenswert - gemeinsam dafür sorgen, dass insbesondere die humanitäre Hilfe deutlich, um 35 Millionen Euro, gerade auch für die Ukraine, erhöht worden ist. Dafür meinen allerherzlichsten Dank! Ich möchte aber gleich zu Beginn auch sagen: Wir müssen uns darauf einstellen, dass wir das noch länger tun müssen: zusammenzustehen, aber vor allen Dingen gerade im Auswärtigen zusätzliche Mittel bereitzustellen.

Denn der russische Präsident hat seine Strategie offensichtlich fundamental verändert. Er hat anfangs gedacht, er marschiert ganz schnell ein, nimmt die Ukraine ein und dann ist alles vorbei. Das war zum Glück nicht erfolgreich. Aber deswegen setzt er jetzt darauf, dass er einen längeren Atem hat als wir, die wir die Ukraine unterstützen, einen längeren Atem als die Ukraine, und vor allen Dingen setzt er auf mehr brutale Gewalt.

Natürlich kann man da sagen: „Wir verschließen die Augen“, wie das Die Linke hier gerade noch mal unterstrichen hat, und: „Wir schauen einfach weg und tun so, als würde es das alles nicht geben“. Die Ukrainerinnen und Ukrainer können aber nicht wegschauen. Auf sie fallen tagtäglich Bomben. In ihre Städte und Dörfer rollen tagtäglich Panzer ein. Wenn Sie sich die Fernsehbilder anschauen - ja, ich glaube, es ist richtig, dass wir das tun -, dann sehen Sie, wie gerade im Donbas Stadt für Stadt, Dorf für Dorf von russischen Truppen aus sicherer Entfernung dem Erdboden gleichgemacht wird. Es ist eine neue Strategie: Es kommen erst die Raketen, dann die Flugzeuge, die Artillerie und, wenn alles schon platt ist, rollen die Panzer ein. Wir müssen uns ehrlich machen: Das ist eine neue Vernichtungswelle. Und das bedeutet, es ist auch eine Strategie der Entvölkerung, der Auslöschung der Zivilisation im Donbas. Man will die Staatlichkeit dort zerstören.

Deswegen müssen wir heute hier aus meiner Sicht klar und deutlich sagen: Wir schauen eben nicht weg, wir machen es uns nicht einfach und wünschen uns mal, es gäbe keinen Krieg. Nein, wir verteidigen die Menschen in der Ukraine, so wie wir das können, mit Waffenlieferungen. Das heißt, wir brauchen erstens einen langen Atem bei der Unterstützung der Ukraine, und wir brauchen zweitens jetzt weitere Waffenlieferungen, das heißt vor allem Artillerie, Drohnen und Flugabwehr.

Wir sind da gemeinsam mit unseren Partnern dran. Wir haben ja schon mehrfach darüber diskutiert, warum manches etwas länger dauert. Aber auch da möchte ich einmal deutlich sagen: Es dauert halt länger, weil es nichts bringt, einfach zu sagen: „Wir versprechen euch, wir schicken was“, sondern das Zeug muss auch ankommen, und vor allen Dingen müssen die Soldatinnen und Soldaten es auch bedienen können.

Ich fand es richtig, dass immer wieder kritisch hinterfragt wurde: Warum wird denn nur altes, ausrangiertes militärisches Material geschickt? Die Ukraine hat uns darum gebeten, vor allen Dingen hochmoderne Systeme zu schicken. Genau das tun wir jetzt. Deswegen werden wir ein Boden-Luftverteidigungssystem, IRIS-T, in die Ukraine liefern. Sie hatten vorhin reingerufen: „Aber das dauert dann wieder.“ - Ja, das dauert, und zwar Monate, weil es ist das Modernste, was es überhaupt gibt. Es sollte eigentlich an ein anderes Land gehen. Wir haben uns dafür eingesetzt, dass darauf verzichtet wird und das jetzt in die Ukraine gehen kann. Weil es braucht auch diese mittel- und langfristigen Signale, dass wir eben nicht in drei Monaten die Ukraine aufgeben, sondern dauerhaft verteidigen, so wie wir das können, ohne uns selbst an diesem Krieg zu beteiligen.

Ich möchte auch noch mal deutlich sagen - so geht es doch allen hier im Saal -: Jeder mit Herz und Verstand wünscht sich doch nichts Sehnlicheres, als dass dieser brutale Angriffskrieg endlich vorbei ist. Ich meine, wer zum Teufel wünscht sich Krieg? Niemand. Alle wollen in Frieden leben. Aber wir können doch Opfern von Vergewaltigung, wir können doch Opfern von Kriegsverbrechen nicht sagen: Wir haben euch mal die Daumen gedrückt. Leider ist es schiefgegangen.

Was wäre, wenn wir damit aufhören, wenn wir mit dem Ende der Solidarität für die Verteidigung aufhören, wenn wir unsere militärische Unterstützung einstellen würden? Genau das fordern Sie von der Linken und auch von der AfD ja. Wenn Sie sagen: „Na ja, jetzt sollten wir mal auf Putin zugehen und sollten mal Referenden stattfinden lassen“, dann sage ich: Wir haben in Nachbarländern der Ukraine gesehen, dass ein Ende der Gewalt eben nicht automatisch Freiheit bedeutet, sondern im Zweifel genau das Gegenteil. Wenn wir das akzeptierten oder auch nur suggerierten, wir würden das tun, würden wir, ehrlich gesagt, alles verraten, wofür die Ukrainerinnen und Ukrainer gekämpft haben, würden wir die Zivilistinnen und Zivilisten verraten.

Herr Gysi - er ist gar nicht mehr da - ach, da hinten. Danke, das freut mich umso mehr, weil ich glaube, dass man sich mit solchen Argumenten auseinandersetzen muss. Man hat doch über Jahre versucht, Autokraten ein bisschen Zuckerbrot und Peitsche zu geben. Und Sie haben mich jetzt aufgefordert, China mit Blick auf die Menschenrechtsverletzungen an den Uiguren zu sagen: „Wir bieten euch was an.“ - Das fordert doch jeden heraus: Wir machen noch ein paar mehr Menschenrechtsverletzungen, dann kriegt man vielleicht auch noch einen Bonus obendrauf.

Und ich unterscheide da nicht zwischen Uiguren in China, Ukrainerinnen und verfolgten russischen Journalisten und Menschenrechtsverteidigern, zwischen Jesiden oder Kurden. Das ist doch die Stärke der Menschenrechte: Unteilbarkeit, egal, an welchem Fleckchen der Welt man lebt.

Deswegen verteidigen wir hier gemeinsam auch unsere europäische Friedensordnung, das internationale Recht. Und all denjenigen, die sagen: „Warme Worte reichen nicht aus“, sage ich sehr deutlich: Die Ukraine verteidigt nicht nur unsere europäische Friedensordnung, die Ukraine braucht eine europäische Perspektive. Es ist richtig, dass die Kommission da für alle Staaten einen Vorschlag macht; denn unsere stärkste Waffe in diesem Moment ist die Geschlossenheit aller europäischen Länder, gemeinsam für die Ukraine und den westlichen Balkan.

Darüber hinaus ist aber klar: Mehr militärische Fähigkeiten allein werden nicht reichen, um in dieser gefährlichen neuen Welt zu bestehen; das ist vollkommen klar. Russland führt auch einen hybriden Krieg, einen Kornkrieg, einen Krieg mit Desinformationen. Deswegen ist es so wichtig, dass in diesem Haushalt - wie gesagt, ganz herzlichen Dank dafür - auch die Mittel für Cybersicherheit, für Krisenvorsorge, für Ertüchtigung, für Stabilisierung deutlich gestärkt worden sind.

Der Haushalt umfasst auch humanitäre Hilfe in Höhe von 2,7 Milliarden Euro. Diese geht eben nicht nur in die Ukraine; sie geht auch in den Sahel, nach Syrien, in den Jemen, nach Afghanistan, wo die Menschen nicht mehr wissen, was sie ihren Kindern eigentlich abends zu Essen geben können. Diese Mittel werden wir in Zukunft weiter erhöhen müssen. Das ist mein Wunsch, das ist mein eindringlicher Appell, wenn wir in ein paar Wochen wieder über den Haushalt verhandeln: Wir brauchen mehr!

Gerade wurde gesagt: Sie wissen gar nicht, wohin das Geld geht. - Das ist immer schön: im Ausschuss die eine Rede und hier die andere Rede. WHO, UNICEF, die ganzen internationalen Programme der Vereinten Nationen: Dahin geht unsere humanitäre Hilfe. Denn es geht nicht darum, dass ich mir hier auf die Brust klopfen kann und sagen kann: Die deutsche Außenministerin hat das Geld gegeben. - Nein, um Effizienz geht es, darum, dass die Mittel da ankommen - zum Beispiel in Afghanistan -, wo wir zu Recht als Deutsche nicht präsent sind, wo aber UNICEF die Kinder vor Ort versorgen kann.

Eine wertebasierte Außenpolitik heißt für uns: Sicherheit ist mehr als nur die Abwesenheit von Krieg. Sie bedeutet auch Investitionen in Bildungsarbeit, in Menschenrechtsarbeit, und sie bedeutet, pragmatisch zu sein, in den entscheidenden Momenten zu handeln. Das ist unsere gemeinsame Lehre - auch aus Afghanistan. Daher möchte ich hier einmal sehr deutlich sagen: In dem Moment, wo uns auch russische Bürgerinnen und Bürger gebraucht haben - Journalistinnen, Menschenrechtsverteidiger -, haben wir ganz pragmatisch gehandelt und gesagt: Ihr könnt ohne bürokratische Hürden nach Deutschland kommen.

Daher hier mein eindringlicher Appell - auch im Namen der Bundesinnenministerin - an alle Bundesländer, diese Menschen nicht im Stich zu lassen. Auch sie sind mutig gegen Putin aufgestanden. Sie brauchen eine deutsche Perspektive, hier in Sicherheit leben zu können.

Wir senden mit diesem Haushalt ein klares Signal an unsere Partnerinnen und Partner: Deutschland übernimmt außenpolitische Verantwortung auf Basis von Werten und mit Entschlossenheit. Und vor allen Dingen: Unsere Partnerinnen und Partner können sich auf uns verlassen. Danke, dass wir das als Demokratinnen und Demokraten gemeinsam tun."


Auswärtiges Amt

Bild: Annalena Baerbock/ MdB/ Grüne im Bundestag, S. Kaminski