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Die Antwort auf die Not der Zeit

Sabine Happ blickt im Gastbeitrag auf die Gründung des münsterschen Studierendenwerks im Jahr 1922.

Münster nach dem Ersten Weltkrieg: Wie im restlichen Deutschland herrschen Hunger und große Not in der Bevölkerung, die Versorgungslage ist unzureichend. Der Mangel macht auch vor der Universität nicht halt, deren Studierende zur Generation derjenigen gehören, die im Krieg ihr Leben riskiert und teilweise verloren hat. Noch im Wintersemester 1919/20 beginnt das Personalverzeichnis der Universität mit einer Liste der Gefallenen. Am 23. September 1919 nimmt die „Studentenküche“ ihren Betrieb auf, die auf Antrag des AStA-Vorstands in den Sommermonaten eilends im Keller der „Alten Universität“ in der Johannisstraße eingerichtet worden war. Schon im November melden die Verantwortlichen die Ausgabe von je 300 Essen mittags und abends, im März 1920 sind es bereits 400 bis 430 Essen, womit allerdings nur circa 15 Prozent der Studierenden versorgt werden können.

Die Universitäten erfahren durch die Gründung der Weimarer Republik einen Demokratisierungsschub. Die Studierenden werden nun nicht mehr von den Studentenverbindungen vertreten, sondern von der Studentenschaft, das heißt dem Zusammenschluss aller Studierenden. Im September 1920 verkündet das Preußische Wissenschaftsministerium per Verordnung, dass es die Studentenschaften der Hochschulen staatlich anerkennt, sobald sie sich eine verordnungskonforme Satzung gegeben haben. Eine der Hauptaufgaben der Studentenschaft ist neben der Vertretung der Studierenden „die allgemeine soziale Fürsorge“. Unterstützt wird sie dabei von einem Vermögensbeirat, der neben studentischen Vertretern Mitglieder aus der Dozentenschaft hat.

Schon vor der preußischen Verordnung hat sich im Juli 1919 die „Deutsche Studentenschaft“ gebildet, eine Allianz der Allgemeinen Studentenausschüsse aller deutschen Hochschulen. Auf dem vierten Studententag vom 30. Juni bis 4. Juli 1921 in Erlangen fordert die Deutsche Studentenschaft, dass an jeder Hochschule die Gesamtheit der Wirtschaftseinrichtungen, zu denen in Münster die Studentenküche gehört, „zu einem lebensbeständigen, rechtsfähigen Wirtschaftskörper in gemeinsamer Arbeit mit Dozenten und Freunden aus dem Wirtschaftsleben“ zusammengefasst werden. Dabei ist der „Wirtschaftskörper die Antwort der Studentenschaft jeder Hochschule auf die drohende Vernichtung und die Not der Zeit“. An allen Hochschulstandorten bilden sich daraufhin „Wirtschaftskörper“, zumeist in Form von Vereinen, in einigen Fällen auch als eingetragene Genossenschaften. Münster bildet keine Ausnahme. Die Satzung des Vereins „Studentenhilfe“ datiert vom 17. Februar 1922; am 29. Mai 1922 wird er im Vereinsregister eingetragen.

Das „Studentenhaus am Aasee“ an der Bismarckallee, Anfang 1932 eingeweiht, bot viel Platz für die Studierenden, unter anderem eine Mensa mit 400 Sitzplätzen, eine Küche und einen Lesesaal mit Bibliothek./ © Universitätsarchiv MünsterDer Vorstand des Vereins besteht gemäß der Satzung aus den Mitgliedern des Vermögensbeirats der Studentenschaft sowie aus zwei weiteren gewählten Mitgliedern, von denen eines aus dem Kreis der Studentenschaft kommen muss. Mit der Zahlung ihres Beitrags zur Studentenschaft werden die immatrikulierten Studierenden automatisch Mitglieder der „Studentenhilfe“. Von den 16 Mark, die jeder Studierende als Semesterbeitrag abführen muss, werden immerhin sechs Mark der Studentenhilfe zur Verfügung gestellt. Daneben gibt es ordentliche Mitglieder, Förderer und Stifter, die sich mit unterschiedlichen Beträgen an der Finanzierung des Vereins beteiligen. Unter den 60 Gründungsmitgliedern finden sich auch 42 ordentliche Professoren der Universität, darunter der Rektor und alle Dekane, sowie 15 weitere Dozenten, zudem Oberbürgermeister Georg Sperlich, der Oberpräsident der Provinz Westfalen, Bernhard Würmeling, und Oberregierungsrat Dr. Franz Peters, der wenig später die Funktion des stellvertretenden Kurators, also des Verwaltungsleiters der Universität, übernimmt. Joseph Dortants, Direktor des Westfälischen Bankvereins Münster, beteiligt sich als Förderer mit 3.000 Mark.

Die Hilfe für „notleidende Studenten“ in Münster ist ein Anliegen, dem sich insbesondere im Ruhrgebiet Industrielle wie Gewerkschaften annehmen. Neben Mitteln des Ministeriums in Höhe von 350.000 Mark für sogenannte „Freitische“ – kostenlose Essen für besonders bedürftige Studierende – gehen von August bis Dezember 1922 Spenden zwischen 5.000 und 250.000 Mark ein. Insgesamt kommen mehr als 700.000 Mark zusammen. Der „Mülheimer Bergwerks-Verein“ spendet im November 1922 zum zweiten Mal. Schon im Oktober hatte er der Studentenküche 20.000 Mark unter der Bedingung zur Verfügung gestellt, dass „zweimal in der Woche eine kräftige Erbsensuppe, nach Möglichkeit mit einem Fleischzusatz, [...] gereicht wird“. 

Die Autorin Dr. Sabine Happ ist leitende Universitätsarchivarin an der WWU./ © WWU - Peter LeßmannAber nicht nur die Ernährung spielt eine Rolle. Im Juli 1922 wird die Darlehnskasse der Deutschen Studentenschaft gegründet, die über die örtliche Studentenhilfe Studierenden zu günstigen Konditionen Kredite gewährt. Daneben ist die Wohnsituation ein Feld, auf dem sich die Studentenhilfe betätigt. Die Themen sind bis heute nahezu die gleichen geblieben. Dabei war und ist die Studentenhilfe Münster, die ab 1953 unter dem Namen „Studentenwerk“ firmierte und 2014 in „Studierendenwerk“ umbenannt wurde, von Anfang an aufs Engste mit der Universität verbunden. 


WWU Münster

Titelbild: Auf dem Erlanger Studententag 1921 wurde die „Wirtschaftshilfe der Deutschen Studentenschaft e. V.“ gegründet. Das Foto zeigt das erste Treffen im selben Jahr in Dresden./© Deutsche Studentenhilfe